Von wegen Sport ist Mord – auch bei Krebs hilft Bewegung

Petra Kittner Medizinische Nachrichten 27.02.2024

Sportliche Betätigung und Krebs widersprechen sich nicht. Ganz im Gegenteil: Schon seit Jahren weisen Studien darauf hin, dass eine angemessene Bewegungstherapie für Krebspatienten signifikante Vorteile mit sich bringt. Trotzdem hat es immer noch bei den notwendigen Versorgungsstrukturen und Abrechnungsmöglichkeiten gehakt. Doch inzwischen gibt es auch hier gute Fortschritte.

Schon in der Prävention gegen viele Krebserkrankungen kann Sport oder ganz einfach Bewegung eine wichtige Rolle spielen. Ist ein Mensch körperlich aktiv, so erkrankt er statistisch gesehen seltener an bestimmten Krebsarten als der Durchschnitt der Bevölkerung.

Doch es geht nicht nur um körperliche Aktivität als Krebsprävention. Auch für bereits akut an Krebs Erkrankte und in der Nachsorge ist eine individuell angepasste sportliche Betätigung ein wichtiger Baustein für das weitere Vorgehen.

Angemessener Sport auch während und nach der Krebstherapie wichtig

Bewegungsangebote in der Nachsorge und Rehabilitation gibt es für Krebspatienten in Deutschland schon seit 1981. Inzwischen existieren in Deutschland etwa 2000 Rehabilitations-Sportgruppen. Weniger positiv sieht es beim Thema Sport während einer Krebstherapie aus. Betroffene und Pflegende sind teils verunsichert, ob Bewegung und Krebs tatsächlich zusammenpassen.

Zum einen hieß es lange, dass man sich bei einer Krebserkrankung besonders schonen solle. Gleichzeitig kann auch der hohe Leidensdruck dazu führen, dass Patienten unwohl bei dem Gedanken ist, ihren Körper mehr als notwendig zu belasten. Doch regelmäßige, moderate und individuell angepasste Bewegung tut Krebserkrankten gut und kann Lebensqualität und Lebenserwartung positiv beeinflussen. Das bestätigen seit etlichen Jahren zahlreiche wissenschaftliche Studien.

So verwies Prof. Dr. Freerk Baumann, Leiter der Arbeitsgruppe Onkologische Bewegungsmedizin am Universitätsklinikum Köln, in einem Vortrag auf Fachtagung GI-ONCOLOGY 2022 auf aktuell über 1000 randomisierte klinische Studien und zirka 8000 Publikationen zum Thema Bewegung und Krebs. Dieser Studienlage nach führen sowohl systematische als auch individuell gesteuerte Bewegungstherapien unter anderem dazu, dass Therapieziele sicherer erreicht werden und weniger Nebenwirkungen auftreten.

Für eine bessere Versorgung mit Bewegungsangeboten

Baumann und andere Kollegen sind schon seit langen Jahren aktiv, um eine bessere Versorgungsstruktur für Krebspatienten mit speziell angepassten Bewegungsangeboten bereitzustellen. So existiert bereits seit über 10 Jahren das Netzwerk Onkoaktiv, gegründet am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg. In ihm sind Trainings- und Therapieeinrichtungen mit Erfahrung in der Trainingsbetreuung von Krebspatienten organisiert.

Das Ziel ist es, den Erkrankten während und nach der Krebstherapie die Teilnahme an Bewegungsprogrammen in der Nähe ihres Wohnortes zu ermöglichen. Über Onkoaktiv ist es zum Beispiel unkompliziert möglich, nach Einrichtungen zu suchen, die die von Freerk Baumann speziell für Patienten vor, während und nach der medizinischen Behandlung entwickelte sogenannte Onkologische Trainings- und Bewegungstherapie (OTT) anbieten.

OTT als maßgeschneiderte Bewegungstherapie

Die Verfügbarkeit von flächendeckenden Bewegungsangeboten nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen für Krebspatienten in Deutschland lässt immer noch zu wünschen übrig. Hier setzt OTT an: Das translationale Modellprojekt am Centrum für Integrierte Onkologie (CIO) Aachen Bonn Köln Düsseldorf möchte Versorgung, Ausbildung und Wissenschaft verbinden und dafür sorgen, dass neueste Erkenntnisse in die Patientenversorgung einfließen und aus der Praxis gewonnene Erkenntnisse nicht verloren gehen.

Die OTT-Versorgung orientiert sich an den aktuellen onkologischen S3-Leitlinien, und richtet sich an krebskranke Menschen vor und während der medizinischen Behandlung, in der Rehabilitation sowie in der chronischen Phase. Unter anderem soll die begleitende Bewegungstherapie Nebenwirkungen der Behandlung wie Fatigue, Polyneuropathie, Schmerzen, Lymphödem oder Gewichtsverlust verringern. Meist ist die OTT an ein onkologisches Spitzenzentrum angebunden. Die Therapie dürfen nur zertifizierte Sport- und Physiotherapeuten unter dem Namen OTT® anbieten. Die Verordnung erfolgt über eine ärztliche Verordnung.

Probleme durch fehlende Versorgungsstrukturen und Abrechnungsmöglichkeiten

Problematisch für den weiteren Ausbau ausreichender Versorgungsstrukturen ist die bis heute teilweise fehlende Vergütung durch die Krankenkassen. Bisher übernehmen die AOK Rheinland, die AOK Hamburg und zahlreiche private Versicherungen die Behandlungskosten, weitere Gespräche laufen.

Dabei ist die Erstattungsfähigkeit von Bewegungstherapie für onkologische Patienten schon lange ein lebhaft diskutiertes Thema. So beklagte bereits 2018 auf dem 33. Deutschen Krebskongress in Berlin der damalige Direktor des CIO Köln/Bonn, Professor Michael Hallek, nicht nur einen Mangel an speziell in diese Richtung ausgebildeten Sport- und Physiotherapeuten, sondern auch, dass Sporttherapie nicht im Heilmittelkatalog aufgeführt sei. Dieser enthält nur Physio- und Ergotherapie.

Mehr Bewegung auch in den Expertenleitlinien

Die gewonnenen Erkenntnisse zur Bewegungstherapie haben inzwischen ihren Weg in die Empfehlungen und Klinischen Leitlinien nationaler und internationaler Fachgesellschaften gefunden. So trafen sich 2018 internationale Experten in den USA zum “International Multidisciplinary Roundtable on Exercise and Cancer Prevention and Control”, organisiert vom American College of Sports Medicine (ACSM) und veröffentlichten im nächsten Jahr entsprechende Empfehlungen.

Die Experten kamen zu dem Schluss, dass körperliches Training und notwendige körperliche Tests sicher für Krebspatienten sind und erstellten eine Liste von krebsbezogenen Gesundheitsbeeinträchtigungen, bei denen Bewegung mit hoher klinischer Relevanz einen therapeutischen Nutzen für den Patienten darstellt. Dazu zählen etwa Angstzustände, depressive Symptome, Müdigkeit, Einschränkungen der körperlichen Leistungsfähigkeit, Lymphödeme und Lebensqualität.

Die Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH) erstellte zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft Netzwerk ActiveOncoKids und anderen Fachgesellschaften und Organisationen eine S2k-Leitlinie „Bewegungsförderung und Bewegungstherapie in der pädiatrischen Onkologie“. In der Präambel der Leitlinie schreiben die Autoren ausdrücklich, dass bewegungstherapeutischen und bewegungsfördernden Angeboten in der Kinderonkologie in Deutschland eine zunehmende Bedeutung beigemessen wird.

Im März 2022 fand ein Kick-off-Meeting zur Entwicklung der S3-Leitlinie „Bewegungstherapie bei onkologischen Erkrankungen“ statt, deren Fertigstellung für 2024 geplant ist. Ziel der Leitlinie ist es, die Bewegungstherapie als integrativen Bestandteil einer interdisziplinären onkologischen Behandlung zu etablieren und zum abrechenbaren Standard zu machen.

Fortschritt mit Förder- und Forschungs-Programmen

Im Programm INTEGRATION, das deutschlandweit in elf Onkologischen Zentren in acht Bundesländern realisiert wird, erhalten Krebserkrankte therapiebegleitend eine kombinierte Ernährungs- und Bewegungstherapie. Eine Bewertung erfolgt hinsichtlich des Versorgungsbedarfs zu Beginn und am Ende der Tumortherapie sowie anhand von Nebenwirkungen und Langzeitfolgen der Tumortherapie, Therapieadhärenz, medizinische Behandlungskosten und Rehabilitationspotential.

Deutsche Krebshilfe. Bewegung und Krebs 2021.
https://www.krebshilfe.de/informieren/ueber-krebs/krebs-vorbeugen/bewegung-und-krebs/

Netzwerk OnkoAktiv
https://netzwerk-onkoaktiv.de/

Ärzteblatt Feb. 2018. Bewegungstherapie hilft Krebspatienten, aber Versorgungsstrukturen fehlen.
https://www.aerzteblatt.de/treffer?mode=s&wo=1041&typ=1&nid=89468&s=Bewegungstherapie

Campbell K et al. Exercise Guidelines for Cancer Survivors: Consensus Statement from International Multidisciplinary Roundtable. Medicine & Science in Sports & Exercise 2019, 51(11): 2375-2390.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8576825/

Ärzteblatt Okt. 2021. Neue Leitlinie zur Bewegungstherapie in der pädiatrischen Onkologie.
https://www.aerzteblatt.de/treffer?mode=s&wo=1041&typ=1&nid=128333&s=Bewegungstherapie

AWMF online. Angemeldetes Leitlinienvorhaben Bewegungstherapie bei onkologischen Erkrankungen.
https://www.awmf.org/leitlinien/detail/anmeldung/1/ll/032-058OL.html

INTEGRATION – Integrierte Bewegungs- und Ernährungstherapie bei Krebs. https://www.integration-programm.de/integration-programm