Klinische Evidenz aus versorgungsnahen Daten der Krebsregister

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Anlässlich des Deutschen Krebskongresses 2024 präsentiert die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT) zum 10. Mal die bundesweite Auswertung der Daten aus klinischen Krebsregistern. Die Analyse stützt sich auf über 3,8 Mio. Daten von an Krebs erkrankten Menschen aus den Jahren 2000 bis 2022. Insgesamt 17 Krebsarten wurden untersucht.

Aus den Daten ergeben sich wichtige Erkenntnisse zur Verbesserung der Krebsversorgung. So zeigte sich u.a., dass Patienten mit einer Darmkrebserkrankung und Lebermetastasen länger überleben, wenn die Metastasen operativ entfernt und – in bestimmten Fällen – vor der operativen Entfernung der Metastasen eine zusätzliche Chemotherapie durchgeführt wird. Beim Prostatakarzinom weisen die Daten darauf hin, dass die minimal-invasive robotergestützte radikale Entfernung des Tumors signifikant nervenschonender ist als die offene Operation und den Tumor mindestens genauso effizient vollständig entfernt. Bei der radikalen Prostatektomie besteht generell das Risiko, dass jene Nerven geschädigt werden, die für eine Erektion oder für das Wasserlassen wichtig sind.

„Die Deutsche Krebshilfe setzt sich gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren seit geraumer Zeit für die systematische Datenerfassung in klinischen Krebsregistern ein. Die Ergebnisse der Datenauswertung, die auf der 10. Bundesweiten Onkologischen Qualitätskonferenz präsentiert werden, zeigen, wie wichtig die Nutzung dieses Datenschatzes für eine Verbesserung der Versorgung krebskranker Menschen in Deutschland ist“, kommentiert Gerd Nettekoven, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Krebshilfe und einer der Vorsitzenden der Veranstaltung, die Ergebnisse.

Dank der guten interdisziplinären Zusammenarbeit und des exzellenten Knowhows der auswertenden Fachleute aus Kliniken, Krebsregistern und ADT-Mitgliedsorganisationen ist es gelungen, aus den Krebsregisterdaten wichtige Erkenntnisse abzuleiten. Dies ergänzt unser Wissen aus klinischen Studien und kommt den Betroffenen unmittelbar zugute. Das sind gute Nachrichten.“, ergänzt Prof. Sylke Zeißig, neue Vorstandsvorsitzende der ADT.

„Für die Deutsche Krebsgesellschaft sind diese verlaufsbegleitenden Daten von enormer Bedeutung für die zertifizierten Zentren und sollten dringend kontinuierlich genutzt werden“, so PD Dr. Simone Wesselmann, Bereichsleiterin Zertifizierung und stellvertretende Generalsekretärin der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) und ebenfalls im Vorsitz der 10. Bundesweiten Onkologischen Qualitätskonferenz.

Ergebnisse der Datenauswertung im Detail:

Brustkrebs: HER2-low möglicherweise keine eigenständige Krebsentität

Ergebnisse differenzierter Auswertungen zum Hormonrezeptorstatus legen nahe, dass die HER2-low Gruppe möglicherweise keine eigenständige Krebsentität darstellt. Dennoch sollten aus klinischer Sicht speziell abgestimmte Therapien für diese Gruppe angewendet werden.

Distale Gallengangskarzinome: Patienten mit großen Tumoren profitieren von einer Chemotherapie

Das distale Gallengangskarzinom ist eine seltene Subgruppe der Gallengangstumoren mit einer schlechten Prognose. Aktuell sollen alle Betroffene nach einer Operation eine Chemotherapie erhalten. Die Daten zeigen, dass nur Patienten mit großen Tumoren, mit Lymphknotenmetastasen oder mit histologisch entdifferenzierten Tumoren von einer solchen Chemotherapie profitieren. Weitere Studien sind nötig, um die Selektion von Patienten für eine Chemotherapie zu verbessern.

Kolorektales Karzinom: Überlebensvorteile durch Operation und Chemotherapie

Patienten mit kolorektalen Lebermetastasen überleben länger, wenn es möglich ist, die Metastasen operativ zu entfernen. In bestimmten Fällen ist vor der operativen Entfernung eine Chemotherapie sinnvoll. Bei Darmkrebs im höheren Stadium (Lymphknotenbefall im UICC Stadium III) führt eine vorsorgliche (adjuvante) Chemotherapie auch bei älteren Patienten (über 75 Jahren) zu einem deutlichen Überlebensvorteil. Hingegen scheinen die zielgerichteten Therapien, die in den frühen 2000 Jahren eingeführt wurden, nicht zu einer Verbesserung des Langzeitüberlebens zu führen. Erfreulicherweise konnten aber die Heilungsraten bei Enddarmkrebs in den letzten 20 Jahren durch Verbesserung von Operation (minimal-invasiv) und Radio/-Chemotherapie sowie Behandlung in zertifizierten Zentren deutlich verbessert werden.

Malignes Melanom: Besseres Überleben an zertifizierten Zentren

Die Überlebenswahrscheinlichkeit beim malignen Melanom ist deutlich erhöht, wenn die Behandlung in einem zertifizierten onkologischen Zentrum stattfindet. Dies steht in enger Übereinstimmung mit den Ergebnissen der Studie „Wirksamkeit der Versorgung in onkologischen Zentren“ (WiZen).

Neuroendokrine Tumoren der Bauchspeicheldrüse: Befallene Lymphknoten sollten entfernt werden

Die Lymphknotenentfernung bei neuroendokrinen Tumoren der Bauchspeicheldrüse (pNETs) ist noch immer umstritten. Die Registerdaten bestätigen nun, dass Lymphknotenmetastasen ein schlechteres Überleben zur Folge haben. Daher ist eine operative Entfernung befallener Lymphknoten bei fortgeschrittenen Tumoren sinnvoll.

Nierenzellkarzinom: Empfohlene Behandlung wird oft nicht durchgeführt

Viele Patienten mit einem Nierenzellkarzinom werden nach wie vor nicht mittels Bauchspiegelung, minimalinvasiv behandelt. Dies gilt sowohl bei niedrigen Tumorstadien als auch bei der kompletten Entfernung der Niere. In beiden Fällen sollen laut Leitlinie Eingriffe grundsätzlich nur laparoskopisch durchgeführt werden sollen. Die Leitlinientreue beim Einsatz immunmodulatorischer Therapien ist hingegen gut.

Vaginal- und Vulvakarzinom: Lebenslange Nachsorge ist wichtig

Die deutschlandweite Erfassung des Vaginal- und Vulvakarzinoms zeigt, dass die empfohlene lebenslange Nachsorge dringend geboten ist, da auch nach fünf und mehr Jahren gehäuft Rezidive auftreten können. Bedeutsam ist es, zukünftig insbesondere biologische und genetische Faktoren zu erfassen und deren Relevanz darzustellen.

Lungenkarzinom: Positive Effekte einer Erhaltungstherapie

Für das loko-regional fortgeschrittene Nichtkleinzellige Lungenkarzinom zeichnen sich die positiven Effekte einer randomisierten klinischen Studie zu einer Erhaltungstherapie mit Antikörpern nach einer definitiven Radiochemotherapie auch unter Routinebedingungen ab.

Kopf-Hals-Tumoren: Signifikanter Vorteil der Radiochemotherapie

Die Daten der Krebsregister untermauern den onkologischen Nutzen der adjuvanten Strahlentherapie bei Patienten mit kleinen Karzinomen (pT1/pT2) der Mundhöhle und des Oropharynx und solitärer ipsilateraler Lymphknotenmetastase. Bei älteren Patienten mit lokal-fortgeschrittenem Kopf-Hals-Karzinom zeigt sich ein hoch signifikanter Vorteil der Radiochemotherapie im multidisziplinären Gesamtkonzept, der in randomisierten Studien aufgrund geringer Fallzahlen älterer Patienten nicht nachweisbar war.

Sarkome: Leitliniengerechte Therapieempfehlungen werden erreicht

Die Vorgabe der Deutschen Krebsgesellschaft von 80% R0-Resektionen bei primären Weichgewebesarkomen wird für Sarkome an den Extremitäten mit einer Quote von 79% erreicht. Die leitlinienbasierte Verabreichung einer Doxorubicin-Monotherapie oder einer anthrazyklinbasierten Erstlinienchemotherapie wird bei ca. 80% der Patienten mit Liposarkomen oder Leiomyosarkomen angewendet.

Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren

Die ADT als Netzwerk für Versorgung, Qualität und Forschung in der Onkologie hat langjährige klinische und methodische Erfahrung in der Analyse großer onkologischer Datensätze aus verschiedenen Quellen und insbesondere mit klinischen registerbasierten versorgungsnahen Daten. Auf der seit 2006 im Zweijahresrhythmus stattfindenden Bundesweiten Onkologischen Qualitätskonferenz werden Ergebnisse dieser registerbasierten Analysen zu drängenden Versorgungsfragen und zu Ergebnissen onkologischer Behandlung gemeinsam mit Klinikern dargestellt. In der ADT-Vertrauensstelle findet das Verbinden unterschiedlicher Datenquellen statt, um strukturelle und inhaltliche Fragen, wie den Nutzen der Behandlung in zertifizierten Zentren (WiZen) und das Ergebnis unterschiedlicher Therapien für Patienten und Ärzte zu beantworten.

Die ADT versteht sich als Netzwerk der unterschiedlichen Akteure in der Onkologie und setzt Qualitätsstandards durch Aus-, Fort- und Weiterbildung zur einheitlichen Tumordokumentation/Krebsregistrierung mit Zertifikat „Tumordokumentar/in“. Gemeinsam mit anderen Experten erstellt und aktualisiert die ADT den Bundeseinheitlichen Onkologischen Basisdatensatz durch gesetzlichen Auftrag nach § 65 SGB V.

Quelle

ADT, 23.02.2024