Lokalisiertes Prostatakarzinom Bessere Risikostratifizierung gefordert

ASCO-GU 2023  Autor: Petra Eiden

Die Entwicklung neuer Tools zur Verbesserung der Diagnostik und Therapie des Prostatakarzinoms verbessert sich stetig.© crevis – stock.adobe.com

Diagnostik und Therapie des klinisch lokalisierten Prostatakarzinoms verbessern sich stetig. Expert:innen diskutierten unter anderem die Bedeutung des PSMA-PET/CT im Zuge des Primärstagings, die Entwicklung von neuen Tools zur Verbesserung der Risikostratifizierung sowie Kriterien für den Einsatz der aktiven Überwachung bei Patienten mit günstig-intermediärem Risiko.

Für Patienten mit lokal begrenztem und lokal fortgeschrittenem Prostatakarzinom spielt die initiale Risikostratifizierung eine zentrale Rolle für die weiterführende Diag­nostik und Therapie. Die Autor:innen der aktuellen Leitlinie des National Comprehensive Cancer Network (NCCN) aus dem Jahr 2023 teilen lokalisierte Tumoren in verschiedene Risikokategorien (sehr gering, gering, intermediär, hoch und sehr hoch) ein, berichtete Prof. Dr. ­David M. ­­Nanus vom New York-Presbyterian Hospital.1 Im Fall eines intermediären Risikos erfolgt eine weitere Stratifizierung in die Gruppen günstig-intermediär sowie ungünstig-intermediär.

Bedeutung des PSMA-PET/CT nimmt zu

Männer mit sehr geringem, geringem und günstig-intermediärem Risiko benötigen laut NCCN-Leitlinie keine weiterführende Bildgebung zum Primärstaging. Bei Patienten der Kategorien ungünstig-intermediär, hoch und sehr hoch sollten nach den Empfehlungen sowohl Knochen als auch Weichteilgewebe mit bildgebenden Verfahren untersucht werden.

Wie der Referent erläuterte, gibt es in verschiedenen Leitlinien unterschiedliche Empfehlungen, welchen Stellenwert die PSMA-PET/CT hier einnimmt. Das hochempfindliche bildgebende Verfahren weist Prostatakrebszellen nach, indem schwach radioaktive Liganden an PSMA binden. PSMA wird nach den Ausführungen des Experten von nahezu allen Prostatakarzinomzellen exprimiert, wobei die Expression mit höherem Grading und Stadium sowie mit dem Vorliegen einer Kastrationsresistenz zunimmt. Bei neuroendokrinen Tumoren ist sie demgegen­über sehr gering. 

Abhängig vom Stadium der Erkrankung und der Risikogruppe wird das PSMA-PET/CT inzwischen zunehmend als Alternative zu konventionellen bildgebenden Verfahren genannt oder sogar bevorzugt empfohlen. Die Autor:innen der NCCN-Leitlinie sind z.B. nicht mehr der Ansicht, dass das PSMA-PET/CT sowohl im Zuge des Primärstagings als auch des biochemischen Rezidivs erst nach der konventionellen Bildgebung eingesetzt werden sollte. Das Verfahren sei aufgrund der höheren Sensitivität und Spezifität zum Nachweis von Mikrometastasen im Vergleich zur konventionellen Bildgebung ebenso gut, wenn nicht sogar besser.

Prof. Nanus wies abschließend darauf hin, dass die Nachweisrate im PSMA-PET/CT mit steigendem PSA-Wert zunimmt. Positive Befunde sollten histologisch bestätigt werden, um falsch-positive Ergebnisse zu erkennen, die z.B. in den Rippen, den Ganglien und dem Harnleiter möglich sind. Darüber hinaus hob er hervor, dass auch andere solide Tumoren PSMA exprimieren können.

Neue Tools für die Risikostratifizierung evaluiert

Gemäß Prof. Dr. Dr. ­Phuoc T. ­Tran von der Universität Maryland, Baltimore, versuchen Wissenschaftler:innen zurzeit, die Risikostratifizierung des lokalisierten Prostatakarzinoms noch weiter zu verbessern und so eine Präzisionsmedizin zu ermöglichen.2 Insbesondere profitiere nur ein kleiner Teil der Patienten mit ungünstig-intermediärem Risiko von der zeitlich begrenzten adjuvanten Androgendeprivationstherapie (ADT) zusätzlich zur perkutanen Bestrahlung, erklärte er. Die Mehrheit der Betroffenen werde so womöglich über- und eine Minderheit auch untertherapiert, führte Prof. Tran fort. 

KI auf dem Vormarsch

Laut Prof. Tran gibt es eine Reihe weiterer moderner Ansätze zur Optimierung der Risikostratifizierung. Als Beispiel nannte er das Tool ArteraAI Multimodal Artificial Intelligence, mit dem sich Gewebeproben digital auswerten und die Ergebnisse mit klinischen Daten verknüpfen lassen. Da dies mithilfe von künstlicher Intelligenz erfolgt, kann das System „lernen“ und sich weiterentwickeln. In der Validierungsstudie NRG 9408 konnte durch die Nutzung des Tools sehr zuverlässig entschieden werden, welche Erkrankten mit ungünstig-intermediärem Risiko von einer ADT profitieren.

Eine zuverlässigere Risikostratifizierung könnte sich nach seinen Angaben aus der ergänzenden Berücksichtigung des Decipher-Tests ergeben. Hierbei handelt es sich um einen Assay, der auf transkriptomweiten Expressionsanalysen von 22 Biomarkern basiert und hochprognostisch für die Entwicklung von Fernmetastasen und die Prostatakarzinom-spezifische Mortalität ist. In der Studie NRG GU010, die im November 2021 anlief, wird gemäß Prof. Tran erstmals untersucht, ob die Kombination aus NCCN- und Decipher-Risikostratifizierung die Individualisierung der Therapie verbessern kann. Eingeschlossen werden Erkrankte mit ungünstig-intermediärem Risiko. Liegt ein Decipher-Score unter 0,4 vor, wird die Behandlung reduziert: Die Teilnehmer erhalten dann randomisiert eine Bestrahlung + ADT  oder eine alleinige Radiatio. Bei einem Decipher-Score von mindestens 0,4 erfolgt hingegen eine Intensivierung: Diese Patienten werden randomisiert zum Standard oder zur Bestrahlung kombiniert mit ADT und Darolutamid. 

Aktive Überwachung bei günstig-intermediärem Risiko

Auch die Gruppe der Männer mit günstig-intermediärem Risiko ist nach Angaben von Prof. Dr. ­Kristen R. ­Scarpato, Vanderbilt University Medical Center, Nashville, sehr heterogen.3 Hier spielt die weitere Stratifizierung eine wichtige Rolle für die Entscheidung, ob die aktive Überwachung eine Option darstellt, um eine Übertherapie zu vermeiden. 

In einer aktuellen Metaanalyse hatten Forschende das onkologische Outcome von Patienten mit intermediärem und mit geringem Risiko gemäß NCCN-Leitlinie verglichen, die eine aktive Überwachung erhalten hatten. Insgesamt schnitten Personen der intermediären Gruppe hinsichtlich des metastasenfreien Überlebens und der Prostatakarzinom-spezifischen Mortalität signifikant schlechter ab als diejenigen mit geringem Risiko. In einer weiteren Analyse ergab sich dieser Unterschied allerdings nicht für Teilnehmer der intermediären Kategorie, deren Graduierungsgruppe ≤ 2 lag. 

Demnach kann die aktive Überwachung für Männer mit günstig-intermediärem Risiko eine sinnvolle Option sein, wobei Prof. Scarpato eine weiterführende, sorgfältige, individuelle Stratifizierung für notwendig hält. Neben dem Risiko müssten die Lebenserwartung, weitere Krankheitscharakteristika, die genetische Vorbelastung, Kernspintomografie, die zu erwartenden Nebenwirkungen der Therapie und die Präferenz des Patienten einfließen, so ihr Fazit. 

Prof. Dr. ­Dr. Anthony ­D‘Amico vom Brigham and Women‘s Hospital in Boston ergänzte, dass für eine zuverlässige Selektion der Personen mit günstig-intermediärem Risiko, die für eine aktive Überwachung infrage kommen, während der PSA-Messung mögliche Störfaktoren ausgeschlossen und Komorbiditäten sorgfältig erhoben werden sollten.4 Zudem empfahl er, eine multiparametrische Kernspintomografie und im Fall einer genetischen Vorbelastung eine Keimbahnmutationstestung vorzunehmen sowie Biomarker-Panels wie den Decipher-Test zu berücksichtigen. 

Quellen:
1. Nanus DM. ASCO Genitourinary Cancers Symposium 2023; Vortrag „Novel Guidelines for PSMA PET Staging of Disease: When to Follow and When to Not“
2. Tran PT. ASCO Genitourinary Cancers Symposium 2023; Vortrag „Novel Approaches for Risk Stratification of Newly Diagnosed Localized Prostate Cancer“
3. Scarpato KR. ASCO Genitourinary Cancers Symposium 2023; Vortrag „Active Surveillance for Favorable Intermediate-Risk Disease: Pro“
4. D‘Amico AV. ASCO Genitourinary Cancers Symposium 2023; Vortrag „Active Surveillance for Favorable Intermediate-Risk Disease: Con“