Was bringt die Radiotherapie bei de novo metastasiertem kastrationssensitiven Prostatakarzinom?

 Beispiel für eine Therapieplanung zur Strahlentherapie der Prostata. Grafik: Thomas Hecker – stock.adobe.com

Die Autoren der PEACE-1-Studie plädieren für eine Tripeltherapie als Standard bei de novo diagnostiziertem metastasierten kastrationssensitiven Prostatakarzinom (mCSPC) mit geringer Tumorlast. Diese soll eine Androgendeprivationstherapie (ADT), Abirateron und die Bestrahlung der Prostata (Radiotherapie, RT) umfassen.

Sie schließen dies aus ihren Ergebnissen bezüglich der RT in dieser multizentrischen, internationalen Phase-III-Studie mit 2×2-Design. Alberto Bossi vom Institut Gustave Roussy in Villejuif bei Paris (Frankreich) präsentierte die Analyse der Studie am 04.06.2023 beim Jahreskongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO) in Chicago (USA).

PEACE-1 hat bereits gezeigt, dass die Kombination von ADT und Docetaxel mit Abirateronacetat plus Prednison (AAP) sowohl das Gesamtüberleben (OS) als auch das radiologische progressionsfreie Überleben (rPFS) bei Männern mit De-novo-mCSPC verbessert. Die beim ASCO vorgestellte Analyse bezieht sich auf den zweiten vorab geplanten primären Endpunkt von PEACE-1 in der Studienpopulation mit geringer Tumorlast: die Auswirkungen der RT bei Männern, die eine intensivierte systemische Behandlung erhalten.

In der Studie wurden Patienten mit De-novo-mCSPC (≥1 Knochenmetastase) per Zufall auf vier Gruppen verteilt: Behandlungsstandard (standard of care, SOC), SOC+AAP, SOC+RT und SOC+AAP+RT. Wie Bossi in Chicago darstellte, hat sich SOC seit Beginn der 2010er-Jahre rapide verändert, was auch die PEACE-1-Studie beeinflusste. So galt als SOC bis 2017 ADT allein oder ADT plus Docetaxel nach Ermessen des Prüfarztes. Danach wurden nur noch Männer in die Studie aufgenommen, die ADT + Docetaxel (75 mg/m² alle 3 Wochen über 6 Zyklen) als SOC erhielten. Die Patienten, die einer RT zugewiesen waren, erhielten eine Strahlenenergiedosis von 74 Gy in 37 Fraktionen, im Fall einer Docetaxel-Therapie im Anschluss an die Chemotherapie. AAP wurde mit 1000 mg/Tag zusammen mit Prednison in der Dosierung 10 mg/Tag bis zum Fortschreiten der Erkrankung oder bis zur Unverträglichkeit verabreicht.

Zwischen 11/2013 und 12/2018 wurden 1172 Männer randomisiert. 584 von ihnen erhielten SOC (±AAP) und zusätzlich RT, 588 SOC (±AAP) ohne RT. 505 Patienten hatten ein geringes Krankheitsvolumen, definiert als 0–3 Knochenmetastasen mit oder ohne Lymphknotenmetastasen, 252 in den beiden Studienarmen mit RT und 253 in den Studienarmen ohne RT. Die Ausgangsmerkmale waren in allen Studienarmen ähnlich. Innerhalb der medianen Nachbeobachtungszeit von 6,1 Jahren traten in der Population mit geringem Krankheitsvolumen 303 rPFS- und 214 OS-Ereignisse auf.

Synergieeffekt von Abirateron und Radiotherapie – aber kein Vorteil im Gesamtüberleben

Da die statistische Analyse für das rPFS eine qualitative Interaktion zwischen RT und AAP ergab (p=0,026), bewerteten die Wissenschaftler jeden Versuchsarm einzeln. Es zeigte sich, dass RT als Zugabe zur SOC den Median des rPFS nicht verbesserte (SOC: 3,0 Jahre [99,9%-Konfidenzintervall {KI} 2,3–4,8]; SOC+RT: 2,6 Jahre [99,9%-KI 1,7–4,6]; Hazard Ratio [HR] 1,12 [99,9%-KI 0,68–1,85]). Im Einzelvergleich zur SOC verbesserte sich der Median des rPFS aber durch die Tripeltherapie aus SOC+AAP+RT (7,5 Jahre [99,9%-KI 4,0 bis nicht abschätzbar [NE]); HR 0,49 [99,9%-KI 0,28–0,87]; p<0,0001), und er verbesserte sich grenzwertig durch SOC+AAP (4,4 Jahre [95%-KI 2,5–7,6]; HR 0,74 [95%-KI 0,44–1,26]; p=0,066). Die HR zwischen den AAP-Armen betrug 0,66 (95%-KI 0,36–1,19). „Es gibt eine Art Synergieeffekt mit klaren globalen p-Werten, der statistisch signifikant ist“, sagte Bossi (p<0,0001). „Und das gilt auch für die Gruppe mit oder ohne Abirateron.“

Bei der OS-Analyse wurde der vordefinierte Schwellenwert für eine statistische Interaktion nicht erreicht (p=0,11), sodass in der Analyse die beiden RT-Arme zusammengefasst wurden. RT konnte das OS nicht verbessern: Das mediane OS betrug 6,9 Jahre (95,1%-KI 5,9–7,5) ohne RT vs. 7,5 Jahre (6,0–NE) mit RT (HR 0,97 [95,1%-KI 0,74–1,27]; p=0,81). Der Median des OS betrug im SOC-Arm 7,1 Jahre und wurde im Tripeltherapie-Arm noch nicht erreicht.

Radiotherapie schützt offenbar vor schweren urogenitalen Ereignissen

Bossi präsentierte in Chicago auch Daten zur Vermeidung ernst zu nehmender urogenitaler Ereignisse (sekundärer Endpunkt). Solche liegen etwa vor, wenn ein Katheter, ein Doppel-J-Stent oder eine Nephrostomie notwendig werden. Die Daten zeigen für die Patienten mit niedriger Tumorlast, dass durch die Kombination von AAP+RT ein Vorteil entsteht. Wenn die Therapiearme ohne und mit Strahlentherapie in der Analyse zusammengefasst wurden, zeigte sich ein erheblicher Effekt durch die RT an sich: 52 Ereignissen in der Gruppe mit SOC±AAP (n=200) standen weniger als halb so viele (24) in der Gruppe mit zusätzlicher RT (n=198) gegenüber (p=0,0006). „Wir überprüften das in der Gesamtpopulation, weil wir der Meinung waren, dass dies sehr interessante Ergebnisse waren“, sagte Bossi. Auch hier zeigte sich, „dass die RT allein einen Überlebensvorteil bringen kann, indem sie die Zeitspanne bis zu schwerwiegenden urogenitalen Ereignissen verlängert“ (SOC±AAP: n=458; 106 Ereignisse vs. SOC±AAP+RT: n=451; 58 Ereignisse; p=0,0001). Der Wissenschaftler sprach erneut von einer „synergistischen, additiven Wirkung von Abirateron plus Strahlentherapie“. Dies beobachteten die Studienautoren auch bei einem weiteren sekundären Endpunkt der Studie, der Zeit bis zur Kastrationsresistenz. Hier ergab sich ebenfalls ein Vorteil durch Hinzunahme der RT, sowohl bei geringem Tumorvolumen als auch in der Gesamtpopulation.

RT wird insbesondere von Urologen oft kritisch wegen möglicher Nebenwirkungen beurteilt. In der PEACE-1-Studie war in Bezug auf Toxizitäten 3. und 5. Grades offenbar kein Nachteil zu verzeichnen. „Eine RT der Prostata führt in unserem Fall nicht zu einer Erhöhung der Toxizität. Dies gilt insbesondere für die typische RT-Toxizität, die bei diesen Patienten zu erwarten ist: Es gab nicht mehr gastrointestinale Beschwerden und rektale Hämorrhagien“, so Bossi. „Für unsere Patienten und ihre Familien ist dies sehr beruhigend, wenn Sie Ihnen eine solche Behandlung vorschlagen.“

“Gute Argumente, eine Strahlentherapie vorzuschlagen“

„Die Kombination einer Prostata-RT mit einer intensivierten systemischen Behandlung, AAP mit oder ohne Docetaxel, verbessert das rPFS und das Überleben ohne kastrationsresistenten Prostatakrebs bei Männern mit de novo metastasiertem kastrationssensitiven Prostatakrebs mit geringer Tumorlast bei minimaler zusätzlicher Toxizität“, fasste Bossi zusammen. Es gebe jedoch keinen erkennbaren Einfluss der Prostata-RT auf das OS. „Aber unserer Meinung nach ist noch wichtiger, dass PEACE-1 erstmals auch eine Rolle der RT bei der Prävention schwerwiegender urogenitaler Ereignisse etabliert – und das unabhängig von der Metastasenbelastung“, ergänzte der Wissenschaftler. „Daher denke ich, dass wir (…) gute Argumente haben, unseren Patienten eine lokale Strahlentherapie vorzuschlagen.“

ASCO-Experte mit vorsichtiger Einschätzung 

„Die Phase-III-Studie PEACE-1-lieferte wertvolle Erkenntnisse und bestätigte die Ergebnisse früherer Studien wie HORAD und STAMPEDE, dass die Bestrahlung der Prostata das OS bei Patienten mit geringvolumigem De-novo-mHSPC nicht verbessert“, kommentiert ASCO-Experte Bradley McGregor vom Dana Farber Cancer Institute an der Harvard University in Boston (MA, USA). „Die besten Ergebnisse wurden jedoch beobachtet, wenn die RT zusätzlich zur SOC und AAP erfolgte. Dies deutet darauf hin, dass die Rolle der RT zwar nicht entscheidend für das OS ist, aber dennoch ein wichtiges Element in einem umfassenderen, personalisierten Behandlungsansatz sein könnte.“