New York – Das starke Oxidationsmittel Menadion, das trotz der Bezeichnung als Vitamin K3 für gesunde Menschen toxisch ist, könnte das Wachstum des Prostatakarzinoms verlangsamen. Darauf deuten präklinische Studien hin, deren Ergebnisse in Science (2024; DOI: 10.1126/science.aadk9167) publiziert wurden. Menadion könnte auch bei einer seltenen angeborenen Störung, der X-chromosomalen myotubulären Myopathie, wirksam sein.
Antioxidative Substanzen wie Selen oder Vitamin E galten Anfang der 2000er Jahre als mögliche natürliche Mittel zur Vorbeugung von Krebserkrankungen. Das US-National Cancer Institute startete 2001 „die bisher größte randomisierte Placebo-kontrollierte Studie zur Prostatakrebsprävention“. An der SELECT-Studie („Selenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial“) nahmen mehr als 35.000 Männer teil. Doch die Erwartungen erfüllten sich nicht.
Die Studie musste nach wenigen Jahren abgebrochen werden. Es hatte sich herausgestellt, dass die Teilnehmer der Vitamin E-Gruppe nicht seltener, sondern häufiger am Prostatakarzinom erkrankten. Später wurde auch für Selen ein solches Sicherheitssignal gefunden.
Forscher am Cold Spring Harbor Laboratory auf Long Island bei New York nahmen die krebsfördernde Wirkung von anti-oxidativen Substanzen zum Anlass, die mögliche krebshemmende Wirkung von pro-oxidativen Substanzen zu prüfen.
Zu diesen Substanzen gehört Menadion-Natriumbisulfit (MSB). MSB ist ein synthetisches K-Vitamin, das gelegentlich in der Viehzucht zur Prophylaxe eines Vitamin K-Mangels eingesetzt wird. Beim Menschen darf MSB nicht eingesetzt werden, da es toxisch ist.
Diese Toxizität könnte jedoch zur Behandlung des Prostatakarzinoms genutzt werden, wenn klinische Studien die Befunde eines Teams um Lloyd Trotman vom Cold Spring Harbor Laboratory bestätigen sollten. Die Forscher haben RapidCaP-Mäuse, einem Modell für das metastasierte Prostatakarzinom, MSB ins Trinkwasser gemischt. Das Krebswachstum konnte dadurch vermindert werden.
Weitere Untersuchungen ergaben, dass MSB die Krebszellen durch einen bisher unbekannten Mechanismus abtötet. MSB blockiert das Protein Vps34 („vacuolar protein sorting 34“). Vps34 befindet sich in den Endosomen. Über diese Vesikel gelangen Stoffe von außen in die Zellen. Endosomen sind aber auch an der Autophagie beteiligt, die der Abfallbeseitigung dient.
Das Enzym Vps34 bildet das Protein PI(3)P. Dieses wird für die Markierung von Substanzen benötigt, die abgebaut werden sollen. Ohne PI(3)P bekommen die Zellen laut Trotman ein Müllproblem. Sie schwellen an und explodieren regelrecht, berichtet Trotman in der Pressemitteilung. Ob diese Triaptose, wie die Forscher den Prozess nennen, auf die Krebszellen beschränkt bleibt oder auch gesunde Zellen schaden nehmen, müsste in klinischen Studien geklärt werden.
Ein Gegenspieler von Vps34 in den Zellen ist Myotubularin. Mutationen im Myotubularin-Gen sind die Ursache der sehr seltenen X-chromosomalen myotubulären Myopathie. Die Kinder kommen bereits mit einer Muskelschwäche zur Welt, die schon bald Atmung und Fütterung erschwert. Die meisten Patienten sterben in den ersten Lebensmonaten.
Trotman hat in einem weiteren Experiment untersucht, ob die Blockade von Vps34 durch MSB das Gleichgewicht wieder herstellen könnte. Tatsächlich konnten die histologischen Veränderungen bei KO-Mäusen, denen das Myotubularin-Gen fehlt, durch MSB abgeschwächt und die Lebenszeit verlängert werden. Auch hier müsste die Sicherheit und Wirksamkeit zunächst in klinischen Studien belegt werden. Von individuellen Heilversuchen wird wegen der bekannten Toxizität von MSB abgeraten. © rme/aerzteblatt.de