PSA-Tests nehmen in den USA wieder zu – in allen Altersgruppen

24. November 2021

 Der PSA-Test wird in den USA wieder häufiger angewendet – sinnvoll oder nicht? Foto: ©Arif Biswas – stock.adobe.com

Nachdem die US Preventive Services Task Force (USPSTF) im Jahr 2017 ihre Empfehlung gegen ein Prostatakrebs-Screening auf Basis des Prostataspezifischen Antigens (PSA) geändert hat, sind in den USA wieder deutlich mehr PSA-Tests durchgeführt worden – auch in den jüngeren und älteren Altersgruppen, in denen dies nicht empfohlen wird. Dies ergibt eine aktuelle Untersuchung in “JAMA Oncology”.

Die USPSTF hatte 2012 explizit von einem PSA-Screening auf Prostatakrebs bei allen Männern abgeraten (Empfehlungsgrad D). Grund waren Studien, in denen das PSA-Screening zu keinem Überlebensvorteil, aber zu Überdiagnostik und Übertherapie geführt hatte. Dann erwiesen sich diese Studien zum Teil als ungültig, während andere wiederum eine Risikoreduktion durch das Screening bezüglich Überleben, Progression und Metastasierung zeigten. Daher änderte das Gremium seine Empfehlung dahingehend, dass sich jeder Mann im Alter von 55-69 Jahren nach seinem persönlichen Dafürhalten nach Beratung individuell entscheiden sollte (Grad C). Die Empfehlung wurde im April 2017 als Entwurf und im Mai 2018 endgültig publiziert.

Michael S. Leapman von der Yale School of Medicine, New Haven, Connecticut (USA), und Kollegen haben jetzt analysiert, wie sich die PSA-Testraten nach den Überarbeitungen der USPSTF-Leitlinie zum Prostatakrebs-Screening geändert haben. (1) In ihre retrospektive Kohortenstudie bezogen sie anonymisierte Daten von Leistungsempfängern des US-amerikanischen Versicherungsbündnisses “Blue Cross Blue Shield Association” ein.

Die Patienten waren 40 bis 89 Jahre alt. Die Daten stammten aus dem Zeitraum 01.01.2013 bis 31.12.2019. Dieser Zeitraum wurden in zweimonatige Intervalle aufgeteilt. Aus den Rohdaten bewerteten die Autoren den Teststatus für jeden Patienten innerhalb jedes zweimonatigen Zeitraums und berechneten die altersbereinigten PSA-Testraten pro 100 Personenjahre. Sie ermittelten die absolute und relative Veränderung der PSA-Testraten aus einem vollständigen Kalenderjahr vor und nach der Leitlinienänderung (2016 und 2019).

Die Wissenschaftler verwendeten zudem die Methode der Analyse unterbrochener Zeitreihen, ein Design, das weit verbreitet ist, um die Auswirkungen politischer Einflüsse zu untersuchen, die zu diskreten Zeitpunkten stattfinden. Damit bewerteten sie mögliche Assoziationen des Entwurfs (April 2017) und der veröffentlichten USPSTF-Leitlinie (Mai 2018) mit den PSA-Testraten. Die Veränderungen wurden bei den Leistungsempfängern innerhalb der in der Leitlinie abgebildeten Alterskategorien weiter untersucht: 40-54 Jahre, 55-69 Jahre und 70-89 Jahre.

Relativer Anstieg von insgesamt 12,5 Prozent

Der Median der Anspruchsberechtigten für jeden Zweimonatszeitraum lag bei 8.087.565 (Spanne: 6.407.602-8.747.308), und das Durchschnittsalter betrug 53 Jahre (IQR 47-59 Jahre). Zwischen 2016 und 2019 stieg die mittlere (SD) Rate der PSA-Tests von 32,5 (1,1) auf 36,5 (1,1) Tests pro 100 Personenjahre, was einem relativen Anstieg von 12,5% (95%-KI 1,1-24,4%) entspricht. Im gleichen Zeitraum stiegen die mittleren (SD) Raten der PSA-Tests von 20,6 (0,8) auf 22,7 (0,9) Tests pro 100 Personenjahre bei Männern im Alter von 40-54 Jahren (relativer Anstieg 10,1%; 95%-KI –2,8% bis 23,7 %), von 49,8 (1,9) bis 55,8 (1,8) Tests pro 100 Personenjahre bei Männern im Alter von 55 bis 69 Jahren (relativer Anstieg 12,1%; 95%-KI −0,2% bis 25,2%) und von 38,0 (1,4) auf 44,2 (1,4) Tests pro 100 Personenjahre bei Männern im Alter von 70-89 Jahren (relative Zunahme 16,2%; 95%-KI 4,2-29,0%). Die Zeitreihenanalyse zeigte einen signifikant steigenden Trend der PSA-Tests nach April 2017 bei allen Leistungsempfängern (0,30 Tests pro 100 Personenjahre für jeden Zweimonatszeitraum; p0,001).

Diese große nationale Kohortenstudie ergab also, dass die Raten von PSA-Tests nach dem geänderten Leitlinienentwurf der USPSTF im Jahr 2017 gestiegen sind. Damit hat sich der Trend umgekehrt, der nach der früheren Leitlinienempfehlung gegen PSA-Tests für alle beobachtet wurde. Bemerkenswert finden die Autoren, dass vermehrte Tests auch bei älteren Männern beobachtet wurden, die möglicherweise weniger von einem Prostatakrebs-Screening profitieren.

Hamdy: PSA-Tests mit systematischer Biopsie sind antiquiert

In einem begleitenden Kommentar, zu dem Freddie C. Hamdy von der University of Oxford (Großbritannien) eingeladen worden war, sieht der britische Urologe das Ergebnis der Studie auch denkbar kritisch: “Wann wird die Nachricht an die Öffentlichkeit, an Kliniker und an medizinisches Fachpersonal gelangen, dass unangemessene PSA-Tests außerhalb evidenzbasierter Empfehlungen eingestellt werden sollten?”

Zwar hatten viele Mediziner nach dem USPSTF-Verdikt von 2021 beklagt und auch in Studien nachgewiesen, dass Prostatakrebs nunmehr später entdeckt wurde und sich Patienten häufiger mit fortgeschrittenen oder aggressiveren Krebsformen vorstellten. Doch sei das Risiko der Überdiagnostik und Übertherapie bei der PSA-basierten Prostatakrebsdiagnostik nach wie vor nicht von der Hand zu weisen, so Hamdy in seinem Kommentar, und zwar auch nicht durch immer ausgefeiltere Protokolle der Aktiven Überwachung. “Dies ist der falsche Ansatz”, ist der Prostatakrebs-Experte überzeugt, denn: “Immer wenn ein asymptomatischer Mann die Diagnose Prostatakrebs erhält, unabhängig von dessen indolenter Natur, erhält er eine ‘neue’ Identität: ein Krebspatient zu werden.” Dieser “Krebspass” sei eine erhebliche Belastung für den – jetzigen – Patienten. Hamdy führt Studien an, die belegen, dass die Lebensqualität bei beobachteten und behandelten Patienten gleichermaßen beeinträchtigt ist, was dafür spricht, dass nicht die Behandlung, sondern die Krebsdiagnose an sich den Patienten belastet.

“Es zeigt sich nun, dass die langjährige Praxis eines PSA-Tests mit anschließender systematischer Biopsie der Prostata antiquiert ist”, schließt der Experte. Es sei wahrscheinlich, dass mittels Bildgebung und gezielter Biopsien das Risiko einer Überdiagnostik und Überbehandlung minimiert wird. Die Mediziner würden sich dann auf die Identifizierung von Erkrankungen im Frühstadium konzentrieren, die mit maßgeschneiderten Therapien behandelt werden können, so seine Zukunftsvision.

(ms)

https://biermann-medizin.de

Literatur:

  1. Leapman MS et al. Changes in Prostate-Specific Antigen Testing Relative to the Revised US Preventive Services Task Force Recommendation on Prostate Cancer Screening. JAMA Oncol Nov 11, 2021.
  2. Hamdy FC et al. Prostate-Specific Antigen Testing for Prostate Cancer Screening—Is the Message Getting Through? JAMA Oncol Nov 11, 2021.