Prostatakarzinom – Neues Prädiktionsmodell entwickelt

Forscher:innen entwickelten ein Prädiktionsmodell zur Vorhersage des individuellen Risikos eines Prostatakarzinoms.© passionart – stock.adobe.com

Obwohl das Prostatakarzinom eine starke erbliche Komponente aufweist und bereits zahlreiche ursächliche Genvarianten identifiziert wurden, fehlt bislang ein Instrument zur Vorhersage des individuellen Erkrankungsrisikos, insbesondere bei Männern aus belasteten Familien. Ein britisches Forscher:innenteam schließt nun diese Lücke: Es entwickelte und validierte ein entsprechendes Prädiktionsmodell.

Das Prostatakarzinom tritt wie kaum ein anderes Krebsleiden familiär gehäuft auf, schreiben Kolleg:innen um Dr. Tommy Nyberg von der Universität Cambridge. Außer seltenen pathogenen Varianten in Genen wie BRCA1, BRCA2 oder HOXB13, die die Erkrankungsgefahr mäßig bis stark erhöhen, existieren einige Hundert häufigere Genvarianten, die allerdings mit einem geringeren Tumorrisiko einhergehen. Die Beratung von Männern im Hinblick auf ihr Prostatakarzinomrisiko beruht im Wesentlichen auf der Analyse der familiären Belastung in Kombination mit dem für die jeweilige Ethnizität spezifischen Hintergrundrisiko. Wünschenswert wäre ein umfassendes Modell, das die Effekte sowohl bekannter als auch unbekannter genetischer Faktoren zur Stratifizierung berücksichtigt, schreiben die Forschenden. Für Mamma- und Ovarialtumoren existieren solche Instrumente bereits.

Um diese Lücke zu schließen, konstruierten die Wissenschaftler:innen ein Prostatakrebs-Prädiktionsmodell, das sowohl die Familienanamnese als auch alle bekannten pathogenen Varianten und polygenetischen Scores beinhaltet. Die Entwicklungskohorte umfasste 16.633 Männer mit einem Prostatakarzinom aus belasteten Familien, die zwischen 1993 und 2017 in die britische UK Genetic Prostate Cancer Study (UKGPCS) eingeschlossen worden waren. Rund 30 % der Teilnehmer hatten erst- oder zweitgradige Verwandte, die ebenfalls an Prostatakrebs erkrankt waren. 

Das von den Forschenden vorgeschlagene Risikomodell berücksichtigt folgende Parameter: Varianten in den Genen BRCA2, HOXB13 und BRCA1, einen polygenetischen Score auf der Basis von 268 Niedrig-Risko-Varianten sowie ein hypothetisches, rezessiv vererbtes Allel und eine polygene Komponente mit altersabhängiger Standardabweichung. Die letzten beiden Faktoren bilden dabei das familiäre Restrisiko ab.

Erstellung des Risikomodells

Mittels komplexer Segregationsanalyse entwickelten die Forschenden anhand des Prostatakarzinom-Vererbungsmusters der einzelnen UKGPCS-Familien verschiedene Risikomodelle. Sie gingen dabei davon aus, dass die Tumorinzidenz von pathogenen Hochrisiko-Varianten in den BRCA1-, BRCA2- und HOXB13-Genen sowie einer polygenen Komponente, welche das familiäre Restrisiko abbildet, abhängt. Einige Modelle berücksichtigten zusätzlich ein hypothetisches Hauptgen, welches je nach Modell einem rezessiven, dominanten oder multiplikativen Erbgang folgte. Die Häufigkeit von Mutationsträgern der genannten pathogenen Genvarianten im Studienkollektiv schätzten die Autor:innen anhand externer Daten ab.

Wie gut dieses Modell funktioniert, prüften die Wissenschaftler:innen anschließend anhand einer externen, unabhängigen Validierungskohorte. Diese umfasste 170.850 Teilnehmer der prospektiven UK-Biobank-Studie, die bei Einschluss zwischen 2006 und 2010 nicht an einem Tumor erkrankt waren. Alle Männer hatten Angaben zu ihrer familiären Krebsbelastung gemacht und sich einer Genanalyse unterzogen. Innerhalb von fünf bzw. zehn Jahren Nachbeobachtungszeit erkrankten 3.456 bzw. 7.624 von ihnen an einem Prostatakarzinom. 

Individuelles Risiko durch neues Prädikationsmodell

Das von den Autor:innen vorgeschlagene Modell hatte eine gute diskriminative Leistungsfähigkeit: Damit gelang es, gesunde Personen von solchen mit zukünftiger Tumor­erkrankung zu unterscheiden. Der C-Index bezüglich der prospektiven Krebsdiagnose innerhalb von fünf bzw. zehn Jahren betrug 0,790 und 0,772. Die Mehrzahl (86,3 %) der innerhalb von zehn Jahren inzidenten Prostatakarzinome betraf diejenigen 50 % der Männer mit dem höchsten prognostizierten Risiko

Mit dem vorgestellten multifaktoriellen Modell steht nun erstmals ein validiertes Instrument zur Abschätzung des individuellen Prostatakrebsrisikos von europäischstämmigen Männern aus belasteten Familien zur Verfügung, schließen die Wissenschaftler:innen. Sie hoffen, dass ihre Forschungsergebnisse zukünftig die Beratung von Risikopatienten erleichtern und zur Entwicklung risikoadaptierter Interventionen wie Screeningstrategien beitragen werden.

Quelle:
Nyberg T et al. J Clin Oncol 2022; JCO2201453; DOI: 10.1200/JCO.22.01453