Prostatakarzinom: MRT-gesteuerte Biopsie kann Zahl der Überdiagnosen halbieren

Mikroaufnahme eines Prostatakarzinoms (Vergrößerung 80:1) /dpa

Stockholm – Eine MRT-gesteuerte Biopsie könnte bei der Vorsorgeuntersuchung des Prostatakarzinoms die Zahl der Operationen halbieren, ohne dass klinisch relevante Krebserkrankungen übersehen werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine randomisierte Studie, die auf einer Tagung der European Association of Urology vorgestellt und im New England Journal of Medicine (2021; DOI: 10.1056/NEJMoa2100852) publiziert wurde.

Obwohl ein Screening die Sterblichkeit am Prostatakarzinom – nach den Ergebnissen der ERSPC-Studie um etwa 20 % – senken kann, bietet bisher nur ein einziges Land (Litauen) allen älteren Männern die Früherkennung an. Der Grund ist zum einen ein hoher Anteil von diagnostizierten Krebserkrankungen, die das Leben der Männer nicht gefährden. Zum anderen wird nach einem verdächtigen Serumwert des prostataspezifischen Antigens (PSA) eine schmerzhafte und mit einem bestimmten Infektionsrisiko verbun­dene Stanzbiopsie notwendig.

Inzwischen gibt es Bestrebungen, die Zahl der Biopsien durch eine vorgeschaltete Magnetresonanzto­mografie (MRT) zu senken. Die Aufnahmen zeigen, ob tatsächlich ein Tumor in der Prostata vorhanden ist, der dann gezielt biopsiert werden kann. Forscher am Karolinska Institut in Stockholm haben außer­dem einen erweiterten Screening-Test entwickelt.

„Stockholm 3“ umfasst klinische Variablen (Alter, Familienanamnese und früherer Biopsiestatus), einen genetischen Risikoscore (der nach bestimmten Genvarianten auf der DNA sucht) und 5 Serumwerte: Neben dem Gesamt-PSA ist dies das freie PSA, das humane Kallikrein 2, das Mikroseminoprotein beta und das Makrophagen-hemmende Zytokin 1.

In der STHLM3MRI-Studie wurde untersucht, ob MRT und „Stockholm 3“ die Zahl der Biopsien senken können, ohne dass klinisch relevante Prostatakarzinome übersehen werden. An der Studie nahmen 1.532 von 12.750 Männern im Alter von 50 bis 74 Jahren teil, bei denen in einer Blutprobe ein PSA-Wert von 3 ng/ml oder höher gefunden wurde. Die Männer wurden in einem 2:3 Verhältnis auf 2 Strategien rando­mi­­siert.

In der konventionellen Strategie wurden alle 603 Männer zu einer Stanzbiopsie eingeladen, bei der systematisch an 10 bis 12 Orten der Prostata Gewebeproben entnommen wurden. Nur 438 Männer (73 %) ließen die Biopsie bei sich durchführen. Die anderen entschieden sich, teilweise nach Beratung mit ihrem Urologen, dagegen.

In der 2. Strategie wurden bei 929 Männern vor der Biopsie der Stockholm 3-Test und eine Magnetreso­nanz­tomografie (MRT) durchgeführt. Danach war nur bei 338 von 929 Männern (36 %) eine Biopsie not­wendig, also halb so häufig wie bei der 1. Strategie. Für die Biopsie wurde die Prostata zudem nur an 3 Stellen punktiert statt an 10 bis 12 unter der 1. Strategie.

Die Biopsien waren vermutlich nicht nur weniger schmerzhaft (was nicht gemessen wurde), es kam auch zu weniger Komplikationen: Nach dem konventionellen Vorgehen erlitten 4 % der Patienten eine Infek­tion. Nach der MRT war dies nur bei 2 % der Fall. Die Infektionen machten in den meisten Fällen eine Hospitalisierung erforderlich. Todesfälle traten jedoch nicht auf.

Der primäre Endpunkt der Studie war der Anteil der Männer in der „Intention to treat“-Population (die die Biopsie-„Verweigerer“ einschließt), bei denen ein klinisch signifikanter Krebs (Gleason-Score 7 oder höher) diagnostiziert wurde.

Dies war nach Angaben von Martin Eklund vom Karolinska Institut in Stockholm und Mitarbeitern unter der neuen Strategie mit MRT und „Stockholm 3“-Test bei 192 Männern (21 %) der Fall gegenüber 106 Männern (18 %) unter dem konventionellen Vorgehen. Es wurden mit der neuen Strategie also mehr Tumore entdeckt, die operiert werden sollten. Die Differenz von 3 %-Punkten war mit einem 95-%-Konfidenzintervall von -1 bis 7 %-Punkten zwar nicht signifikant. Eine vor der Studie festgelegte Non-Inferioritätsmarge von -4 %-Punkten wurde jedoch nicht „gerissen“. Die Gefahr, dass ein Risiko der neuen Strategie übersehen wurde, dürfte deshalb gering sein.

Der Anteil der klinisch nicht relevanten Krebserkrankungen (Gleason-Score 6) war unter der neuen Strate­gie mit 4 % gegenüber 12 % deutlich geringer. Der Unterschied von 8 %-Punkten war mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 5 bis 11 Punkten signifikant. Die neue Strategie könnte demnach die Zahl der Überdiagnosen senken und das Screening auch für politische Entscheider vertretbar machen.

Die Studie bestätigt die Ergebnisse der europäischen PRECISION-Studie. Sie hatte vor 3 Jahren ebenfalls gezeigt, dass eine MRT-gesteuerte Diagnostik die Zahl der Biopsien vermindert und trotzdem mehr klinisch relevante Prostatakarzinome entdeckt. Zu einem ähnlichen Ergebnis war die jüngst publizierte kanadische PRECISE-Studie (JAMA Oncology, 2021; DOI: 10.1001/jamaoncol.2020.7589) gekommen. © rme/aerzteblatt.de