Prostatakarzinom: MRT-geführte Biopsie vermeidet Überdiagnosen

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Göteborg – Der Verzicht auf eine blinde Stanzbiopsie zugunsten einer MRT-gesteuerten Biopsie hat in einer randomisierten Studie die Zahl der klinisch nicht relevanten Prostatakarzinome halbiert und damit viele Über­diagnosen vermieden.

Es kam laut der Publikation im New England Journal of Medicine (2022; DOI: 10.1056/NEJMoa2209454) jedoch auch zu einem leichten Rückgang der klinisch relevanten Befunde, so dass möglicherweise einige behandlungsbedürftige Befunde übersehen wurden. Die Gefahr könnte jedoch gering sein, da in der Ver­gleichs­gruppe bei den Stanzbiopsien überwiegend intermediäre Tumore entdeckt wurden, bei denen keine sofortige Operation oder Radiotherapie notwendig wird.

Ein PSA-Screening kann Männer vor einem Tod am Prostatakarzinom schützen. Dies ist der Fall, wenn der Krebs sich in einem frühen Stadium befindet, die histologische Untersuchung aber auf ein aggressives Wachstum hinweist. Häufiger werden jedoch Tumore entdeckt, die durch ihr langsames Wachstum das Leben der zumeist älteren Männer nicht gefährden. Eine Behandlung dieser Tumore durch eine Operation oder eine Strahlentherapie hätte für diese Männer mehr Nach- als Vorteile, da es häufig nach der Behandlung zur Harnwegsinkontinenz und einer erektilen Dysfunktion kommt.

Die Regelversorgung bei einem erhöhten PSA-Wert besteht heute in einer blinden Stanzbiopsie, bei der unter Ultraschallkontrolle 12 Proben aus allen Teilen der Prostata entnommen werden. Heute wird zusätzlich eine Magnetresonanztomografie (MRT) durchgeführt. Wenn dort ein Befund entdeckt wird, werden 3 oder 4 zusätz­­liche Gewebeproben entnommen. Die Biopsien sind schmerzhaft, gelegentlich kommt es trotz Antibiotika-Prophylaxe zu Infektionen, die in schweren Fällen einen Klinikaufenthalt erforderlich machen.

Die GÖTEBORG-2-Studie hat dieses Vorgehen mit einer rein MRT-gesteuerten Prostatabiopsie verglichen. Dabei wurden die Biopsien nur durchgeführt, wenn im MRT verdächtige Läsionen entdeckt wurden. In diesem Fall wurden dann nur 4 gezielte Gewebeproben entnommen.

Im Rahmen der Studie waren 37.887 Männer im Alter von 50 bis 60 Jahren zu einem PSA-Bluttest eingeladen worden. Insgesamt 17.980 nahmen die Einladung an. Sie wurden auf das übliche Screening mit Stanzbiopsie (zur Hälfte mit zusätzlicher MRT-gesteuerte Prostatabiopsie) oder auf eine alleinige MRT-gesteuerte Prostatabiopsie randomisiert. In beiden Gruppen wurde bei etwa 7 % der Männer ein erhöhter PSA-Wert von 3 ng/ml oder höher gefunden. Bei etwa der Hälfte dieser Männer wurde im MRT eine verdächtige Läsion in der Prostata gefunden.

Der primäre Endpunkt der Studie waren klinisch nicht relevante Befunde. Sie waren definiert als ein Gleason-Score von 3+3 in der Histologie. Diese Personen benötigen nach heutigem Kenntnisstand keine (sofortige) Operation. In der Praxis wird abgewartet, ob der PSA-Wert in den Folgejahren weiter ansteigt („Active Surveillance“).

Wie Jonas Hugosson von der Universität Göteborg und Mitarbeiter berichten, kam es in der Gruppe mit rein MRT-gesteuerter Prostatabiopsie bei 66 von 11.986 Teilnehmern (0,6 %) zu einem klinisch nicht relevanten Befund gegenüber 145 von 5.994 Teilnehmern (1,2 %) in der Referenzgruppe. Hugosson und Mitarbeiter ermitteln ein relatives Risiko von 0,46, das mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 0,33 bis 0,64 statistisch nicht signifikant war. Mit anderen Worten: Eine rein MRT-gesteuerte Prostatabiopsie halbiert die Zahl der Überdiagnosen.

Auf der anderen Seite wurden mit der MRT-gesteuerten Prostatabiopsie seltener klinisch relevante Karzinome gefunden (110 versus 126 Fälle). Das relative Risiko betrug 0,81 und war mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 0,60 bis 1,10 statistisch nicht signifikant. Die Bandbreite des 95-%-Konfidenzintervalls schließt jedoch nicht aus, dass ein Verzicht auf die blinde Stanzbiopsie klinisch relevante Krebserkrankungen übersehen könnte, was bei einer zu späten Behandlung den vorzeitigen Tod des Patienten bedeuten könnte.

Diese Gefahr ist nach Ansicht von Hugosson jedoch gering. Denn von den klinisch relevanten Tumoren in der Referenzgruppe wurden nur 10 ausschließlich in der Stanzbiopsie gefunden, die anderen wären mit einer MRT-gesteuerten Prostatabiopsie ebenfalls entdeckt worden. Alle 10 Tumore hatten einen Gleason-Score von 3+4. In diesem Fall ist eine „Active Surveillance“ möglich, für die sich 6 Patienten entschieden. Bei 3 Patienten wurde eine radikale Prostatektomie und bei 1 Patient eine Strahlentherapie durchgeführt. © rme/aerzteblatt.de