Krebs-Therapien: Sofa statt Sport war gestern – Folge 3

Dr. Angela Speth   Medizinische Nachrichten   20.02.2023

Zumindest ein Stück weit kann man dem Krebs davonlaufen – mit moderatem Ausdauer- und Krafttraining, das in eine Bewegungstherapie eingebettet ist. Denn mit hoher Evidenz ist nachgewiesen, dass diese unterstützende Maßnahme Nebenwirkungen der Krebstherapie abschwächt, körperliche, psychische und psychosoziale Probleme bewältigen hilft und damit die Lebensqualität verbessert. Zwei Expertenteams erörtern in ihren Publikationen die aktuellen Empfehlungen und haben konkrete Tipps für Ärzte und Patienten.[1,2]

Jährlich erhalten rund 500.000 Menschen in Deutschland eine Krebsdiagnose, und ihre Zahl steigt ständig. Zugleich wird aber die Prognose besser: Rund zwei Drittel leben mittlerweile länger als 5 Jahre. So umreißen Dr. Nora Zoth vom Centrum für Integrative Onkologie CIO an der Uniklinik Köln und ihre Kollegen die epidemiologische Tragweite. Dass es immer bedeutsamer wird, akute ebenso wie langfristige Folgen der Erkrankung und ihrer Therapie in den Griff zu bekommen, betonen auch Sportwissenschaftler um Dr. Stefanie Siebert, ebenfalls vom CIO Köln.

Schonung nicht out, aber auch kein generelles Muss

Noch bis in die 1990er Jahre stand für Krebs-Paatienten Schonung obenan, doch inzwischen belegen über 700 klinische Studien eindeutig die Wirksamkeit individualisierter Bewegungstherapie während bis lange nach der Erkrankung. Messungen zeigen den positiven Effekt auf die Leistung von Herz und Lunge, Muskelkraft und -masse, auf Immunzellen, Geschlechtshormone, Insulin-, Lipid- und Zuckerstoffwechsel. Und vor allem senkt Sport das Rezidivrisiko sowie die allgemeine und krebsspezifische Letalität.

Daher bemüht sich die Gesundheitspolitik, allen onkologischen Patienten eine Bewegungstherapie zur Verfügung zu stellen. Ergänzend wird derzeit eine eigene S3-Leitlinie erarbeitet, deren Abschluss für Dezember 2024 geplant ist.

Im Idealfall motiviert das medizinische Team die Patienten direkt nach der Diagnose zur Bewegungstherapie. Als Bestandteil eines Supportivkonzepts aus psychoonkologischer Betreuung, Ernährungs-, Musik- oder Kunsttherapie kann sie in Reha- oder anderen qualifizierten Einrichtungen erfolgen. Sie sollte immer ärztlich verordnet und von Sport- oder Physiotherapeuten angeleitet werden. Für diese Fachkräfte wurde 2015 die Fortbildung „Onkologische Trainings- und Bewegungstherapie OTT“ begründet mit dem Ziel, ein qualitätsgesichertes Verfahren anzubieten.

Rezepte für Häufigkeit, Intensität, Dauer und Sportart

Das American College of Sports Medicine hat über die FITT-Kriterien (Frequency, Intensity, Time, Type) definiert, wie die hauptsächlichen Beschwerden am besten bekämpft werden: durch ein moderates Ausdauertraining – 3-mal wöchentlich jeweils mindestens 30 min für 8 bis 12 Wochen – kombiniert mit einem Krafttraining 2-mal wöchentlich, bestehend aus 2 Sätzen à 8 bis 15 Wiederholungen, ausgeführt mit 60% des One-Repetition-Maximums. 1 RM ist das maximale Gewicht, das eine Person einmal bei einer Bewegung schafft.

Um die Sicherheit und Effektivität zu gewährleisten, sollten Inhalt und Intensität täglich an Tumorart, Behandlung, Nebenwirkungen sowie die Wünsche der Patienten. angepasst werden. Zuvor wird eine ausführliche Diagnostik empfohlen, auch um absolute und relative Kontraindikationen auszuschließen, die Zoth und ihre Kollegen in einer Tabelle auflisten, darunter Blutungen, Infektionen, niedrige Thrombozyten- oder Hämoglobinwerte, starke Schmerzen, Körpertemperatur über 38 °C oder die ersten 48 h nach Applikation von Herceptin plus Chemotherapie.

Für ihre sportlichen Anstrengungen werden die Patienten mit einem Plus an körperlichem und seelischem Wohlbefindens belohnt: So gehen durch Bewegungstherapie die psychischen Probleme zurück, die der Schock der Krebsdiagnose häufig auslöst. In einer Studie litten körperlich aktive Patienten signifikant weniger an Depressionen und Ängsten als eine inaktive Kontrollgruppe.

Mehr Selbständigkeit bei der Lebensführung

Nachweislich bessert Bewegungstherapie auch die körperlichen Funktionen während und nach der Krebstherapie. Sie bremst den Verlust an Kraft und Körpergewicht (Tumorkachexie), so dass es den Patienten leichter fällt, ihre täglichen Aufgaben zu erledigen.

Speziell Krafttraining beugt einerseits sekundären Lymphödemen vor und andererseits wirkt es entwässernd, wenn sie sich bereits gebildet haben. An sich verleitet diese häufige Nebenwirkung einer Brustkrebstherapie, die mit einem Anschwellen der Arme und Beine, Schmerzen, Schwere- und Engegefühl sowie Unbeweglichkeit einhergeht, die Patientinnen zur Schonung. Damit aber handeln sie sich den Nachteil ein, dass die Muskelpumpe wegfällt, die den Lymphfluss fördert. Aus diesem Grund stellt Bewegung ein wichtiges Gegenmittel dar.

Eine Bewegungstherapie während und nach Zufuhr neurotoxischer Zytostatika mildert die Chemotherapie-induzierte periphere Polyneuropathie. Dadurch bessern sich die Taubheits- und Kribbelgefühle in Händen und Füßen, die Gleichgewichtsstörungen und der schwankende Gang.

Rechenaufgaben im Einbeinstand

Um Nerven und Muskeln wieder in Einklang zu bringen, eignen sich besonders sensomotorische Übungen, die Sinneswahrnehmungen – Sehen, Hören, Fühlen – mit Bewegungen kombinieren. Siebert und ihre Kollegen schlagen den Patienten vor, den Gleichgewichtssinn mit preisgünstigen und einfachen Hilfsmitteln zusätzlich zu Hause zu trainieren, beispielsweise den Einbeinstand, erst auf festem, dann auf wackligem Untergrund und mit Zusatzaufgaben wie Schließen der Augen oder Aufsagen des kleinen Einmaleins.

Ein Vibrationstraining mildert ebenfalls neurologische Symptome: Die Patienten stehen auf einer Platte, die mit einer Frequenz von 5 bis 60 Hz schwingt und dadurch die Muskeln zu Dehnreflexen und Kontraktionen anregt. So werden Balance, Kraft und Koordination gesteigert, Stürze geschehen seltener.

Bewegungstherapie eignet sich weiterhin zum Abfangen von Schäden durch kardiotoxische Medikamente. Hypertonie, Arrhythmien oder Myokarditis können sich zeitnah manifestieren, chronische Formen erst Jahrzehnte später, als erniedrigte linksventrikuläre Ejektionsfraktion bis hin zu Herzinsuffizienz.

In einer Studie hatten Brustkrebspatientinnen nach einem 16-wöchigen Kraft- und Ausdauertraining parallel zur Anthrazyklintherapie eine signifikant höhere kardiopulmonale Leistung (VO2peak) als eine Vergleichsgruppe, und selbst 2 Jahre später waren ungünstige kardiale Biomarker deutlich niedriger.

Videos für Heimtraining von Kölner OTT-Therapeuten

Da noch keine speziellen Empfehlungen vorliegen, schlagen die Autoren als Ausweg vor, dass Bewegungswissenschaftler zusammen mit Kardiologen und Onkologen individuelle Trainingspläne erstellen.

Gegen die krebsbedingte Fatigue sind Mind-Body-Verfahren wie Tai-Chi und Qigong nach Studien vor allem mit Brustkrebs-Patientinnen eine gute Wahl, zudem bessern sie  die Lebensqualität und vermindern Schlafstörungen. Sie durchbrechen den Teufelskreis aus rascher Ermüdung und Bewegungsmangel, der das Erschöpfungsgefühl immer mehr steigert.

Insgesamt hebt ein moderates Kraft-Ausdauer-Training während und nach einer Behandlung die gesundheitsbezogene Lebensqualität. Die Wirkung beruht darauf, dass Sport unabhängig von der Tumorart Beschwerden bessert, die wesentliche Elemente der Lebensqualität ausmachen: Ängste, Depressionen, Fatigue und das Nachlassen körperlicher Funktionen.

Am Ende ihres Beitrags präsentieren Zoth und ihre Kollegen Internet-Adressen, unter denen Patienten Anregungen zu eigener Initiative finden: Smartwatches und Fitnesstracker, Videos mit Anleitungen fürs Training zu Hause, zertifizierte Rehasportgruppen in Vereinen, OTT-Therapeuten und von der Krankenkasse zugelassene Apps zu Ernährung und Bewegung.