Autor: Dr. Melanie Söchtig/Tobias Stolzenberg
Warum nur probieren Tumorpatienten immer wieder zweifelhafte Behandlungsmethoden aus und gefährden damit den Erfolg der Krebstherapie? Da hilft offenbar nur eines: Unermüdlich die verschiedenen Verfahren erklären und mit dem Patienten über Sinn und Unsinn von Komplementär- und Alternativmedizin reden.
Wenn Krebspatienten zu vermeintlich sanften Alternativen zur Schulmedizin greifen, dürfte die Angst vor einer Chemotherapie oder der Bestrahlung eine große Rolle spielen. Offensichtlich fühlen sich diese Menschen dann bei Heilpraktikern und Homöopathen besser aufgehoben als beim Onkologen, vermuten Prof. Dr. Jutta Hübner vom Universitätsklinikum und Prof. Dr. Franz-Josef Prott von der RNS Gemeinschaftspraxis in Wiesbaden.
Um aber den Erfolg einer Krebsbehandlung nicht durch das Auslassen oder Verzögern wichtiger Therapien oder durch die Neben- und Wechselwirkungen alternativer Verfahren zu gefährden, ist eine offene und wertschätzende Kommunikation mit den Patienten das A und O, schreiben die beiden Experten. Dabei gelte es, die parallele Nutzung von komplementären und alternativen Methoden abzufragen und die Krebskranken umfassend aufzuklären. Ziel müsse es sein, seine Patienten zu einer gesunden Ernährung und körperlicher Aktivität zu bewegen. Evidenzbasierte Naturheilverfahren können begleitend eingesetzt werden, um die Lebensqualität zu verbessern.
Eine ausgewogene Ernährung ist in der Regel ausreichend, um auch bei Krebs den Bedarf an Mikronährstoffen zu decken, erklären die Autoren. Zwar kann es in Einzelfällen durchaus zu Mangelzuständen oder erhöhtem Bedarf kommen, etwa beim Vitamin B12 unter Pemetrexed oder nach Gastrektomie. Eine Substitution sollte aber erst dann erfolgen, wenn ein Defizit tatsächlich nachgewiesen ist, da zu hohe Mikronährstoffspiegel mit erhöhter Mortalität und schlechterer Prognose einhergehen.
Spiegelbestimmungen sind nur bei begründetem Verdacht sinnvoll. Eine Ausnahme bildet die Überprüfung des Vitamin-D-Status, um das Osteoporoserisiko gegebenenfalls durch Substitution zu mindern. Darüber hinaus ist ein Vitamin-D-Defizit bei bestimmten Tumoren mit einer schlechteren Prognose assoziiert.
Bei Patienten mit fortgeschrittenem Kopf-Hals-Tumor oder Gebärmutter- oder Cervixkarzinom kann die Gabe von Selen im Verlauf einer Strahlentherapie sinnvoll sein. Aufgrund der protektiven Eigenschaften bei radiotherapieassoziierten Nebenwirkungen an der Mukosa im Kopf-Hals- bzw. Beckenbereich ist in diesen Fällen die Einnahme von Natriumselenit (500 µg/d) empfehlenswert.
Für andere Mikronährstoffe wie Antioxidanzien, sekundäre Pflanzenstoffe und proteolytische Enzyme konnten bislang keine überzeugenden Wirksamkeitsnachweise beim onkologischen Patienten erbracht werden. Vielmehr finden sich gewisse Hinweise darauf, dass etwa hoch dosiertes Vitamin C, Vitamin E, Curcumin und andere sekundäre Pflanzenstoffe als Nahrungsergänzungsmittel die Wirkung einer Chemo- oder Strahlentherapie abschwächen könnten. All diese Stoffe sollte sich der Patient nicht mittels Extrakten zuführen, sondern in Form von Obst, Gemüse und Salat, als Gewürze oder Tee verzehren, stellen die beiden Autoren klar.
In Deutschand stehen die verschiedensten Phythotherapeutika zur Verfügung, teils als Medikament, teils als Nahrungsergänzungsmittel. Entsprechend unterschiedlich ist die Qualität der Produkte. Oft finden sich starkt unterdosierte Erzeugnisse, was insbesondere für homöopathische Präparate gilt, in denen sich der Wirkstoff nicht mehr nachweisen lässt. Einige für die Onkologie interessante Heilpflanzen sind:
- Ingwer (Zingiber officinale) scheint die Wirkung der meisten Antiemetika zu unterstützen. Möglicherweise bestehen negative Wechelwirkungen mit Aprepitant. Keinesfalls ersetzt Ingwer die leitliniengemäße Antiemese.
- Ginseng (Panax ginseng) bessert womöglich die tumorbedingte Fatigue, darf aber nicht bei Patientinnen mit hormonsensiblen Tumoren zum Einsatz kommen.
- Extrakte der Traubensilberkerze (Cimicifuga racemosa) mildern menopausale Symptome wie Hitzewallungen; sie sind auch bei hormonsensiblen Tumoren sicher.
- Wirkstoffe der Mariendistel (Silybum marianum) könnten die Hepatotoxizität von Tumormedikamenten mindern, womöglich auch eine hepatische Metastasierung beeinflussen. Belege hierfür stehen aber aus.
Viele Tumorpatienten möchten ihr Immunsystem stärken und greifen zu Mistelerzeugnissen (s. Kasten) oder zu anderen Immunstimulanzien wie Thymuspräparaten, sogenannten Heilpilzen und anderen Produkten mit komplexen Kohlenhydratverbindungen. Dem ausstehenden Nachweis eines Nutzens steht das ungeklärte Schadenspotenzial gegenüber, denn möglicherweise verstärken diese Präparate die immunbedingten Nebenwirkungen einer Krebsbehandlung. Auch eine Aktivierung der Tumorzellen bei Leukämie und Lymphomen erscheint möglich.
Mystische Mistel
Zur immunstimulierenden Therapie mit Präparaten aus der Mistel (Viscum album) liegen zahlreiche Untersuchungen vor, darunter randomisierte klinische Studien, systematische Reviews und Metaanalysen. Die Wirksamkeit mit Blick auf Krankheitsverlauf und Lebensqualität ist aber weiterhin umstritten.
In einer Arbeit mit Melanompatienten verschlechterte sich die Prognose unter Misteltherapie. In einer weiteren Studie mit 18.000 Patientinnen mit invasivem Mammakarzinom sank die Überlebenswahrscheinlichkeit, wenn die Frauen Mistelpräparate nahmen.
Während sich komplementäre Verfahren durchaus sinnvoll zur Patientenaktivierung einsetzen lassen, sehen Prof. Hübner und Prof. Prott die Methoden der Alternativmedizin ausnahmslos kritisch. So fehlen etwa für Amygdalin, fälschlicherweise oft als Vitamin B17 bezeichnet, für Präparate aus Katzenkralle (Uncaria tomentosa) oder die ketogene Diät die Nutzennachweise vollkommen. Bestenfalls investieren der Patient und seine Angehörigen unnötigerweise Zeit, Geld und Hoffnung. Schlimmstenfalls kommt es im Fall des Amygdalins oder der ketogenen Ernährung zur lebensbedrohlichen Cyanidintoxikation bzw. zur extremen Mangelernährung.