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Napoleon, sein Tod und seine Hosen

  • Dr. med. Thomas Kron
  •  Medizinische Nachrichten
  •  07.05.2021

Kernbotschaften

 Nach den Obduktionsberichten des Leibarztes von Napoleon Dr. Francesco Antommarchi und den bei der Autopsie anwesenden britischen Ärzten lässt der pathologische Befund von Napoleons Magen stark auf eine bösartige Magenneoplasie schließen. Dennoch gibt es auch heute noch Rätsel um den Tod des Kaisers. Erhöhte Arsenkonzentrationen in Napoleons Haaren ließen die Hypothese einer Arsenvergiftung aufkommen. Eine andere Vermutung zur Todesursache ist eine chronische Gastritis in Verbindung mit einer Anämie aufgrund von gastrointestinalen Blutungen. Die Diagnose Magenkrebs wird oft mit folgenden Argumenten angezweifelt: die Magenläsion sei nicht bösartig; wäre sie bösartig, dann nur in einem frühen Stadium und letztlich nicht die Todesursache; Napoleons klinische Anamnese sei nicht mit Magenkrebs vereinbar; der zweite Autopsiebericht von Antommarchi sei ein Plagiat. Zum zweihundertsten Todestag Napoleons hat ein internationales Wissenschaftler-Team um den Berner Pathologen und Napoleon-Spezialisten Professor Alessandro Lugli die verschiedenen Autopsieberichte neu analysiert und auf ihre medizinische Zuverlässigkeit hin untersucht. Die „Botschaft” der Wissenschaftler zur Todesursache des Korsen ist eindeutig.

Giftmord durch einen gehörnte Ehemann?

Wie Alessandro Lugli in einem Interview mit Nathalie Matter von der Universität Bern erklärt, beruht die Vergiftungsthese auf einer Publikation von 1961 im Journal „Nature“. In einem Haarbüschel von Napoleon wurde eine erhöhte Arsenkonzentration gefunden. Das ist erst einmal nur ein Fakt und heisst noch gar nichts. Eine historische Betrachtung aufgrund seiner Memoiren ergab dann, dass Napoleon angeblich eine Affäre mit der Frau seines Exilgefährten hatte, mit Albine de Montholon. Ihr Mann, der Génréral de Montholon, sei eifersüchtig gewesen und habe Napoleon dann langsam chronisch vergiftet. Dies mit der Unterstützung des britischen Gouverneurs, Sir Hudson Lowe, dem das Exil von Napoleon auf St. Helena mit dem Unterhalt seiner ganzen Gefolgschaft zu teuer geworden sei.

Aus historischer Sicht gibt es dieser These zwei Dinge entgegenzusetzen: erstens war Montholon ein überzeugter Bonapartist und unterstützte nach dem Exil Napoleon III., wofür er sogar im Gefängnis landete. Er hatte also gar keinen Vorteil von diesem angeblichen Mord. Der zweite Punkt war, dass Napoleon sehr darauf achtete, nicht vergiftet zu werden, vor allem während des Russlandfeldzuges. Daher ist es sehr unwahrscheinlich, dass man ihn chronisch vergiften konnte – wenn, dann akut.

Napoleons Haarbüschel wurden wahrscheinlich in Arsen konserviert

Die Vergiftungsthese konnte sich sehr lange halten, bis ins Jahr 2008, als eine Gruppe von italienischen Physikern nachweisen konnte, dass eine erhöhte Arsenkonzentration auch in einem Haarbüschel von Napoleon als Kind zu finden war, ebenso bei seiner Frau Joséphine und sogar bei seinem Sohn, Napoleon II. Arsen fand man also überall. Nun war die Frage: woher kam es? Dazu gibt es verschiedene Erklärungen, die wahrscheinlichste ist diese: Früher schnitt man gestorbenen Königinnen und Königen Haarbüschel ab und bewahrte diese als Andenken auf. An der freien Luft kann man sie nicht aufbewahren wegen der Läuse. Nun erwies sich Arsen als sehr gutes Konservierungsmittel. Menschliches Gewebe lässt sich darin sehr gut konservieren – es ist aber hochgiftig. Deshalb wird heute Formalin verwendet. Wahrscheinlich wurden die Haarbüschel in Arsen aufbewahrt und sogen sich damit voll.

Napoleons Hose und das Luglis Ehefrau

Alessandro Lugli fand jedoch schon vorher einen Weg, um die Vergiftungsthese zu widerlegen: mit Napoleons Hosen. Die Idee dazu kam von seiner Frau. Ihr Interesse an Napoleon ist eher marginal, aber sie sagte ihm, dass der Taillenumfang, also die Bundweite von Hosen mit dem Gewicht einer Person korrelieren müsse. Nun war die Größe von Napoleon bekannt – zwischen 1,67 und 1,68 Metern. Wenn der BMI mit der Grösse der Hosen korreliert und die Körpergrösse bekannt ist, kann man das Gewicht ermitteln. Dazu musste zuerst gezeigt werden, dass der Hosenumfang bei Männern mit dem BMI korreliert. Lugli und seine Frau baten in ihrem Bekanntenkreis alle Männer, ihren Hosenumfang zu messen und ihren BMI anzugeben. Alessandro Lugli: „Das haben sie gerne gemacht, weil man daraus nicht sofort auf das Gewicht schliessen konnte.  So konnten wir zeigen, dass bei Männern aus ganz Europa der BMI mit dem Hosenumfang korreliert.“

Über die französischen Historiker erhielten das Ehepaar dann die Erlaubnis, zu Randzeiten in die Museen zu gehen, bei Fontainebleau und Malmaison bei Paris, und die Hosen von Napoleon aus den verschiedensten Lebensabschnitten auszumessen. Anschliessend konnte der Wissenschaftler anhand der Kurve, die er dank der Kontrollgruppe hatte, auf Napoleons BMI schliessen. Dann brauchte es nur noch eine einfache Rechnung, um das Gewicht zu bestimmen.

Starker Gewichtsverlust in wenigen Monaten

Der schlanke, langhaarige General Bonaparte war rund 68 Kilogramm schwer bei 1,68 Metern Körpergrösse. Später, als er an Macht gewann, hatte er kurze Haare und wurde fülliger. Er hatte sogar noch während des Exils zugenommen, er wog bis zu 91 Kilo. In den letzten sechs Monaten seines Lebens fiel sein Gewicht runter auf 67 bis 80 Kilo. Er verlor also 10 bis 14 Kilo in sechs Monaten! Dieser Gewichtsverlust ist eines der möglichen Symptome der eigentlichen Todesursache: Magenkrebs.

Symptome passen zur Diagnose Magenkrebs

Napoleon ist am 5. Mai 1821 gestorben, die Autopsie fand am nächsten Tag statt. 17 Personen waren anwesend, darunter acht Fachpersonen: Napoleons Leibarzt Francesco Antommarchi, der ein schlechter Kliniker war, aber ein guter Anatom, und sieben englische Ärzte. Daraus resultierten ein französischer und ein englischer Autopsiebericht, die zwar nicht in allen Punkten übereinstimmten, aber medizinisch waren sie sich einig: Die Todesursache war eine bösartige Läsion des Magens, sehr gut vereinbar mit einem Magenkarzinom. Dazu passen auch die Symptome, die man aus den Memoiren seiner Diener und Exilgefährten kennt: Erbrechen, Gewichtsverlust, Kraftlosigkeit, Mühe mit Schlucken – er konnte zweitweise nur flüssige Nahrung zu sich nehmen. 

Chronische Gastritis, aber auch Magenkrebs

Eine weitere Theorie war, Napoleon sei an Gastritis gestorben. Dazu muss man laut Lugli Folgendes sagen: Als der Magen bei der Autopsie geöffnet wurde, war er voller „Kaffeesatz“. Dieser entsteht immer dann, wenn sehr viel Blut mit Magensäure in Kontakt kommt. Das bedeutet, Napoleon ist innerlich verblutet. Jetzt ist die Frage: Woher kommt sie? Leibarzt Antommarchi beschrieb zwei Befunde: ein grosse Läsion, die sich vom Mageneingang bis zum Ausgang zieht, sowie eine Geschwulst am Magenausgang. Dies passt von der Ursache her sehr gut zu einer Gastritis. Wenn diese nicht behandelt wird und chronisch wird, verändert sich die Magenschleimhaut so stark, dass sie entartet. Napoleon hatte also bestimmt eine Gastritis, aber die grosse Verletzung kann nie und nimmer eine Gastritis sein. Hier handelte es sich um einen bösartigen Befund.

In der aktuellen Publikation anlässlich des 200. Todestages haben zahlreiche renommierte Pathologinnen und Pathologen die Autopiseberichte noch einmal geprüft; ihre gemeinsame Schlussfolgerung: „Die kurz nach Napoleons Autopsie am 6. und 8. Mai von den britischen Ärzten und Francesco Antommarchi unterzeichneten Autopsieberichte erlauben eine endgültige Diagnose mit hoher Evidenz: Todesursache war eine fortgeschrittene bösartige Magenneoplasie in Verbindung mit einer oberen gastrointestinalen Blutung. Napoleon verlor seinen letzten Kampf gegen einen Feind, der leider auch in unseren Tagen noch mächtig ist: Krebs, der Kaiser aller Krankheiten.“

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