Mannheim/Heidelberg – Bei vielen Krebspatienten treten Metastasen erst dann auf, wenn der ursprüngliche Krebsherd chirurgisch entfernt worden ist. Mediziner haben aus dieser Beobachtung das Konzept der „begleitenden Resistenz“ (concomittant tumor resistance) abgeleitet.
Eine Erklärung für dieses Phänomens hat jetzt eine Arbeitsgruppe vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und von der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg entwickelt. Die Forscher stellen sie im Journal of Experimental Medicine vor (2023; DOI: 10.1084/jem.20202595).
Die Arbeitsgruppe konzentrierte sich bei der Arbeit auf einen Botenstoff namens „Angiopoietin-like 4“ (ANGPLT4). „Wir sind auf ANGPLT4 aufmerksam geworden, weil zu diesem Faktor viele widersprüchliche Veröffentlichungen vorliegen“, erläuterte Hellmut Augustin, einer der Leiter der Arbeitsgruppe.
Während ANG-PLT4 zunächst als fördernd für die Gefäßneubildung und damit auch als krebsfördernd beschrieben wurde, berichteten danach andere Arbeitsgruppen, dass ANGPLT4 die Entstehung von Metastasen hemmt.
In umfassenden Versuchsreihen an Tumoren von Mensch und Maus hat das Heidelberg-Mannheimer Team jetzt einen Mechanismus aufgeklärt: ANGPLT4 wird von Zellen des Primärtumors gebildet und fördert lokal dessen Wachstum. Wird der Botenstoff jedoch in die Blutbahn abgegeben, dann wird er gespalten. Die beiden Spaltprodukte werden als nANGPLT4 und cANGPLT4 bezeichnet.
Aus bislang noch nicht ganz verstandenen Gründen findet sich im Serum fast ausschließlich das n-Fragment (nANGPLT4). nANGPLT4 bindet jedoch an einen anderen Rezeptor als das intakte Molekül oder das c-Fragment. Dieser Rezeptorwechsel führt dazu, dass das Gefäßwachstum und damit auch das Auswachsen von Makrometastasen unterdrückt wird.
Das belegten die Forscher in zahlreichen Versuchsansätzen – auf Mäuse übertragene Tumoren bildeten zum Beispiel nach Behandlung mit dem n-Fragment weniger Absiedlungen und die Tiere überlebten länger.
„Natürlich bleibt die chirurgische Entfernung der Primärtumoren der Goldstandard bei der Behandlung der meisten Krebsarten. Aber wir verstehen jetzt, dass damit gleichzeitig die Quelle für das metastasenunterdrückende n-Fragment versiegt“, sagte Moritz Fecht, ebenfalls Leiter der Gruppe.
Die Wissenschaftler plädieren dafür, ANGPLT4 weiter präklinisch und danach klinisch zu erforschen, um möglicherweise einen Wirkstoff zu erhalten, der Metastasenbildungen hemmt. © hil/aerzteblatt.de