Urintest zur Risikostratifizierung beim Prostatakarzinom

Eine aktuelle Studie evaluierte den Nutzen eines nicht-invasiven Urintests zur Risikostratifizierung bei Prostatakarzinompatienten.

Prostata




Hintergrund

Die Progressionsaktivität von Prostatakarzinomen ist heterogen. Die Risikobestimmung bei Diagnosestellung ist daher ein kritischer Schritt in der Therapie der Erkrankung. Basierend auf prätherapeutischen Informationen werden Schlüsselentscheidungen, die die wahrscheinliche Krankheitsprogression beachten und den besten Therapieverlauf zum Ziel haben, gefällt.

Zur Einschätzung der biologischen Aggressivität existiert die Einteilung gemäß d’Amico in Tumore mit niedrigem, intermediärem und hohem Risiko. Sie basiert auf dem Gleason Score, dem PSA-Wert und dem klinischen Stadium des Patienten. Dieser Score wird insbesondere in Großbritannien, Europa und Amerika verwendet. Den Patienten mit einem geringen und ausgewählte Patienten mit einem intermediären Risiko wird meist eine aktive Überwachung (active surveillance) angeboten, während Patienten mit einem ungünstigen Risikoprofil, also denen mit einer ungünstigen intermediären oder Hoch-Risiko Erkrankung, in der Regel eine radikale Therapie empfohlen wird. Ferner existieren noch andere Klassifikationssysteme, wie beispielsweise der CAPRA-Score, die noch weitere klinische Informationen mit verwenden.

Das Prostatakarzinom tritt häufig multifokal auf. Im Rahmen der TRUS-Biopsie wird das Krankheitsstadium häufig unterschätzt, wohingegen es im Rahmen von multiparametrischen MRT-Aufnahmen überschätzt wird. Eine neue vielversprechende Entwicklung stellen nicht-invasive Urintests dar, mit denen man Prostatamaterial untersuchen kann.

Zielsetzung

Die Kollegen um Connell setzten sich zum Ziel, eine Risikoklassifizierung zu entwickeln, die extrazelluläre Vesikel (EV)-RNA benutzt, die aus dem Urin stammt. Damit sollen diagnostische Informationen bezüglich des Krankheitsstadiums vor der Biopsie und prognostische Informationen der Betroffenen, die sich unter aktiver Überwachung befinden, gewonnen werden.

Methodik

Die Studie verwendete EV-RNA-Expressionsprofile, die aus Urinproben gewonnen wurden, die nach einer digital-rektalen Untersuchung abgegeben worden waren. Diese wurden mittels einem NanoString-Panel abgefragt.

Es wurde ein LASSO-basiertes Continuation Ratio-Model benutzt, um vier Prostata-Urin-Risiko (PUR)-Signaturen zu erhalten. Mit Hilfe dieser vier Signaturen kann die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von normalem Gewebe (PUR-1), Gewebe mit geringem Risiko gemäß d’Amico (PUR-2), mit intermediärem Risiko gemäß d’Amico (PUR-3) und Gewebe mit hochriskantem Prostatakarzinom gemäß d’Amico (PUR-4)  vorhergesagt werden. Die Summe der vier PUR Signaturen bei jedem Patienten betrug 1 (PUR1+PUR2+PUR3+PUR4=1). Als primäre Signatur wurde die überwiegende Signatur des jeweiligen Patienten bezeichnet.

Dieses Model wurde zur diagnostischen Evaluation an einer Test-Kohorte (n=177) angewandt. Ebenso wurde die prognostische Vorhersagekraft an einer „Active Surveillance“-Sub-Kohorte (n=87) evaluiert

Klinische Progressionszeichen waren definiert als: PSA-Anstieg >1 ng/ml/Jahr oder ungünstige Histologie bei einer Folgebiopsie (GS>4 oder 50% krebspositive Kerne). Als multiparametrische MRT-Progressionskriterien galten: Detektion von >1cm3 Prostatakarzinom, eine Volumenzunahme von >100% bei Läsionen zwischen 0,5 und 1cm3 oder T3/T4-Krankheitsstadium.

Ergebnisse

Insgesamt wurden 535 Urin-Proben, die nach digital-rektaler Untersuchung der Männer gewonnen wurden, untersucht. Es wurden Männer ohne Prostatakarzinom (n=92) und lokalisiertem Prostatakarzinom (entsprechend der TRSU-Biopsie, n=443) untersucht. Die Patienten des lokalisierten Prostatakarzinoms wurden ferner in die drei Risikokategorien entsprechend der d’Amico-Kriterien geringes Risiko (n=134), intermediäres Risiko (n=208) und hohes Risiko (n=101) eingeteilt. Patienten mit einem metastasierten Prostatakarzinom wurden aus der Studie ausgeschlossen.

Die Arbeitsgruppe konnte zeigen, dass die primäre PUR-Signatur (PUR1-4) signifikant mit der korrespondierenden klinischen Kategorie assoziiert war (p<0,001). Jede der vier PUR-Signaturen konnte die Anwesenheit einer signifikanten Erkrankung (d’Amico-Risiko: >intermediär) vorhersagen (Fläche unter der Kurve >0,68). Am zutreffendsten konnte dies für die PUR1 (Fläche unter der Kurve =0,77; 95% Konfidenzintervall [CI]: 0,70-0,84)- und PUR4 (Fläche unter der Kurve =0,81; 95% CI: 0,77-0,85)-Signaturen gezeigt werden. 

Die Verwendung des PUR führte zu einem Benefit gegenüber der aktuellen klinischen Praxis.
In der Patientengruppe der „aktiven Überwachung“ (n=87), die im Mittel 5,7 Jahre (5,1-7,0 Jahre) bis zum Follow-Up überwacht wurde, konnte gezeigt werden, dass die PUR-Profile der Patienten, die eine Progression zeigten (n=23) sich von denen, die ein stabiles Krankheitsstadium aufwiesen (n=49) signifikant unterschieden (p<0,001, Wilcoxon rank sum test).

Die Sub-Kohorte der aktiven Überwachungsgruppe (n=87) wurde genutzt, um den Nutzen der PUR-Signaturen bezogen auf ihre prognostische Vorhersagekraft zu untersuchen. Die PUR-Signaturen der Männer, die einen Progress zeigten (n=23), unterschieden sich signifikant von denen, die keinen Progress aufwiesen (n=49; p<0,001, Wilcoxon rank sum test).

Der Anteil der PUR-4-Signatur zeigte sich signifikant mit der Zeit zur Progression assoziiert (Interquartile Range Hazard Ratio 5,87; 95% CI: 1,68-20,46; p<0,001). Es wurde ein PUR-4-Grenzwert definiert, der die Gruppe der Active Surveillance zweiteilte. Die Patientengruppe konnte somit in eine Gruppe mit einer Progressionsrate von 10% (gute Prognose) und eine Gruppe mit einem hohen Progressionsrisiko (5-Jahres Risiko 60%, schlechte Prognose) 5 Jahre nach der Urinsammlung aufgeteilt werden (HR 8,23; 95% CI: 3,26-20,81; p<0,001).

Bei zusätzlicher Verwendung von multiparametrischen MRT-Progressionskriterien konnten der primäre PUR-Status und die dichotomisierende PUR-Schwelle signifikant eine mögliche Progression vorhersagen.

Fazit

Die Studienautoren schlussfolgern, dass PUR-Signaturen, die aus Urin gewonnen wurden, in der Lage sein können, aggressive Prostatakarzinome zu entdecken und die Notwendigkeit für therapeutische Interventionen bei Männern, die sich unter Active Surveillance befinden, vorhersagen können. Insbesondere scheint der Urintest für die Vorhersage der Progression wertvolle Informationen zu liefern. Das PUR stellt zusammenfassend einen neuen vielseitigen Biomarker dar. Schlussendlich vermuten die Kollegen, dass sich durch diesen Biomarker signifikante Änderungen in dem derzeitigen Therapiemanagement von Prostatakarzinompatienten ergeben könnten.

Autor: Dr. Ute Walliczek-Dworschak (Ärztin)