Dr. Bettina Albers Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie e. V.
Diagnose und Therapie einer Krebserkrankung führen während der Behandlungsphase, aber auch oft noch danach zu einer ausgeprägten Abnahme der Lebensqualität. Meistens kommt es auch zu einer deutlich reduzierten körperlichen Aktivität. Bewegung, Sport und gezieltes Training sind jedoch zunehmend – nicht nur zusätzlich zur Therapie, sondern als zusätzliche, eigenständige Therapie – weltweit Gegenstand vieler Studien. Ein jüngst veröffentlichtes Review der aktuellen Studienliteratur zeigt eindrucksvolle Daten – nicht nur für die Lebensqualität, sondern auch für Therapieergebnisse, Mortalität und Rückfallraten.
Beobachtungsstudien zeigten für verschiedene Krebsformen, dass
körperliche Aktivität sowie gezieltes Training mit einem Rückgang des
Krebsrückfall-Risikos und sogar der Mortalität einhergehen.
Gleichermaßen scheint Bewegung und gezieltes Training die Wirksamkeit
aller gezielten Krebstherapien zu verstärken, d. h. der Chemo- und
Immuntherapien sowie der Strahlentherapie. Eine aktuelle
Übersichtsarbeit [1] fasste die präklinische und klinische Evidenzlage
zusammen und legt mögliche Erklärungen für die zugrundeliegenden
Wirkmechanismen dar.
Krebsprogression (Tumorwachstum) und Metastasierung sind abhängig von
der Bildung neuer Blutgefäße (Angiogenese bzw. Neovaskularisation).
Diese findet jedoch, anders als in gesunden Geweben, bei Krebs planlos
und ungeordnet statt. Es entstehen sehr dünne, verknäuelte, unreife,
teilweise undichte Gefäße und außerdem viele Kurzschlussverbindungen
(sogenannte Shunts), die dazu führen, dass sich das sauerstoffreiche
Blut nicht ausreichend im Tumorgewebe verteilen kann, sondern abfließt.
Es kommt zu Sauerstoffmangel (Tumorhypoxie) und Übersäuerung des
Tumorgewebes – es entsteht ein Mikromilieu oxidativen Stresses im Tumor
–, was wiederum die tumoreigene Gefäßneubildung sowie die Aggressivität
der Krebserkrankung anregt. Weitere Begleiterscheinungen dieses
Mikromilieus ist u.a. auch das häufig auftretende Tumor-Fatigue-Syndrom.
Das zeichnet sich durch eine allumfassende Erschöpfung, Kraft- und
Antriebslosigkeit sowie ständige Müdigkeit aus, die sich durch Schlaf
nicht bessert. Konzentrationsschwäche, Angst, Depressivität und weitere
Symptome können hinzukommen und das tägliche Leben der Betroffenen stark
einschränken.
„Die Fatigue-Problematik gilt als eine Hauptursache einer reduzierten
Lebensqualität (QoL) und ist eine häufige Begleiterscheinung einer
Tumortherapie und der Tumorbehandlung“, erklärt Frau Prof. Dr. Stephanie
Combs, DEGRO-Pressesprecherin. „Auch unter Strahlentherapie kann es zum
Fatigue-Syndrom kommen.“
Es gibt derzeit keine Medikamente, die gezielt und nachweislich ein
Fatigue-Syndrom heilen können, aber wirksame Möglichkeiten, die Symptome
zu bessern bzw. aufzuhalten, sind Bewegung bzw. körperliche Aktivität
und gezielte, sportliche Betätigung. Sport trägt zu einer
nicht-pharmakologischen Modulierung bzw. Regulierung des Mikromilieus im
Tumor bei. Der Review-Artikel gibt eine Zusammenfassung über die
biochemischen und zellulären Mechanismen dieser Effekte:
– Körperliches Training erhöht die Spiegel des Wachstumsfaktors VEGF
(„vascular endothelial growth Factor“) und normalisiert die
Blutgefäßstrukturen im Tumor, es kommt zu einer gleichmäßigeren
Gefäßdichte, verbesserten Durchblutung und Sauerstoffversorgung. Damit
einher geht eine bessere Verteilung von Chemotherapeutika im Tumor, aber
auch die Wirksamkeit einer Bestrahlung nimmt deutlich zu, da Hypoxie
bzw. oxidativer Stress bekanntermaßen die Strahlensensibilität von
Krebszellen verschlechtert.
– Es konnte gezeigt werden, dass gezieltes Training zu einer
dreifachen Abnahme von 8-OHdG (8-Hydroxydesoxyguanosin, einem Biomarker
für oxidativen Stress) im Tumor führt. Das Sportprogramm bewirkte einen
Anstieg der „anti-oxidativen Kapazität“ im Blut um 41% und eine Abnahme
von Oxidationsprodukten um 36%. Diese Änderungen korrelierten mit der
Fatigue-Symptomatik.
– Sport aktiviert außerdem nachweislich die Immunabwehr. Die Zahl der
weißen Blutkörperchen (Leukozyten und Lymphozyten) nimmt zu, so z. B.
die Zahl der sogenannten NK-Zellen (natürliche Killerzellen) um das
Zehnfache. Auch die Produktion von Zytokinen, wie z. B. Interleukin-6
(IL-6), wird durch Sport angekurbelt. IL-6 fördert die Ausbildung
verschiedener Oberflächenmerkmale auf den Tumorzellen, z. B.
Immun-Rezeptoren, wodurch die Einwanderung von Immunzellen in das
Tumorgewebe gefördert wird.
– Auch der Tumorstoffwechsel (Energieversorgung, Insulinspiegel,
Glukosemetabolismus) verändert sich und verschiedene Entzündungsmarker
im Blut sinken. Patienten, die während der Chemotherapie ein
Sportprogramm absolvierten, wiesen neben sinkenden Entzündungswerten
auch bessere geistige (neurokognitive) Leistungen auf.
„Die Evidenz zu den positiven Effekten sportlicher Aktivität gilt heute
als so stark – besonders bezüglich Fatigue und Lebensqualität, aber
zunehmend auch hinsichtlich des Ansprechens von Chemo- und
Strahlentherapien, einer Rückfallprophylaxe und dem Überleben, dass wir
als Fachgesellschaft allen Bestrahlungspatienten/innen sportliche
Aktivität empfehlen“, so Prof. Dr. Wilfried Budach, Düsseldorf,
Präsident der DEGRO.
Grundsätzlich wird eine Kombination aus Ausdauer- und allgemeinem
Krafttraining empfohlen. Es sollte eine individuell geeignete Sportart
gefunden und das Anforderungsniveau allmählich gesteigert werden. Am
besten geeignet ist ein Training unter Anleitung auf dem aktuellen
Leistungsstand. Das kann zunächst ein täglicher 10-minütiger Spaziergang
sein, aber auch dreimal wöchentliches Joggen. Natürlich können
bestimmte Situationen Trainingspausen erfordern, wie frische Wundheilung
oder Komplikationen wie Fieber oder Infektionen. Bei Knochenmetastasen
besteht unter Umständen eine erhöhte Frakturgefahr durch ungeeignete
Sportarten. Manchmal müssen bei/nach einer Bestrahlung spezielle
Gegebenheiten berücksichtigt werden, denn starkes Schwitzen, reibende
Kleidung oder Chlorwasser können die Haut zusätzlich reizen.
„Die Erkenntnisse zum positiven Einfluss von körperlicher Bewegung und
Sport bei Krebspatienten sind ganz besonders wichtig bei der
Patientenberatung; leider raten einige Onkologen und Hausärzte noch
immer eher zu körperlicher Schonung“, betont Frau Prof. Dr. Combs
abschließend.