Rezidivangst bei Krebs-Überlebenden ist enorm

Doris Maugg Medizinische Nachrichten 29.11.2023

Die Angst, dass ein Tumor zurückkehrt oder in andere Körperteile gestreut hat, beschäftigt etwa ein Drittel der Krebs-Überlebenden und beeinträchtigt ihre Lebensqualität. Mit über 57% sei bei Krebsüberlebenden die Rezidivangst das „Top Item“, sagte Dr. Thomas Schulte, Ärztlicher Direktor der Klinik für onkologische Rehabilitation und Anschlussrehabilitation in Bad Oexen, auf der DGHO-Jahrestagung 2023 in Hamburg.

Trotz der Relevanz von Angst unter „Cancer Survivors“ gibt es bisher keinen Standard für ein Assessment, für eine Diagnostik oder Therapie. Schulte bezeichnete dies in seinem Vortrag als „Flop im Gesundheitssystem“: Wenn es keine routinemäßige Erfassung der Rezidivangst gibt, werde es auch keine Personalstellenpläne durch die Kostenträger geben.

Ein Drittel der Krebs-Überlebenden leidet unter starker Rezidivangst

Die Rezidivangst (Fear of Cancer Recurrence) ist ein häufiges Problem bei Krebs-(Langzeit-)Überlebenden: Bis zu 38% der Patienten berichten von dieser Angst, wie in früheren Studien gezeigt wurde. Darin wurden körperliche Beeinträchtigungen, psychische Belastung und geringere Lebensqualität mit einer höheren Rezidivangst in Verbindung gebracht. Die Angst wirkte sich wiederum auf das Gesundheitsverhalten, auf psychologische Reaktionen und auf die Funktionalität der Patienten aus.

Schulte stellte Zahlen aus Befragungen zu Rehabilitationsbeginn von weit über 8.000 Patientinnen und Patienten der Klinik Bad Oexen vor. Darunter waren über 2.000 Patientinnen mit Brustkrebs und über 2.000 Patientinnen mit anderen Krebserkrankungen. Die Frage, wie stark sie die Angst vor einem Wiederauftreten oder Fortschreiten der Krebserkrankung belaste, bewerteten die Patienten auf einer Skala von 0 (sehr niedrig) bis 10 (sehr stark). Dabei gaben als stark bzw. sehr stark (Cut-Off bei >6/10) an:

  • 39,2% der Frauen und 30,0% der Männer insgesamt,
  • 37% bzw. 41,8% der Frauen bzw. Männer unter 50 Jahren,
  • und 26% bzw. 28,4% der Frauen bzw. Männer unter 60 Jahren.

Unterschiede zwischen den Geschlechtern gingen aus der Befragung nicht hervor; jüngere Patienten seien stärker von Rezidivangst betroffen als ältere, so Schulte.

Verhaltenstherapie kann Rezidivangst senken

Mit Hilfe einer gemischt-kognitiven Verhaltenstherapie bei hoher Rezidivangst konnten in der SWORD-Studie Therapieerfolge erzielt werden. An der randomisiert-kontrollierten Studie, die Schulte vorstellte, nahmen 88 Krebsüberlebende nach Brust-, Prostata- oder Darmkrebs mit hoher Rezidivangst zwischen sechs Monaten und fünf Jahren nach der Krebsbehandlung teil. Die Teilnehmenden füllten bei Studienbeginn und drei Monate später Fragebögen aus; die Interventionsgruppe erhielt in diesem Zeitraum die Verhaltenstherapie.

Das primäre Ergebnis war der Schweregrad der Rezidivangst, der mit der Cancer Worry Scale bewertet wurde. Diese war in der Interventionsgruppe signifikant reduziert. Zudem konnte eine klinisch signifikante Verbesserung von 29% unter dem Cut-Off-Wert (deutliche Verbesserung der Angst-Skala) erreicht werden, in der Selbstbeurteilung der Teilnehmenden lag die Verbesserung sogar bei 71%.

Wie mit Rezidivangst in der Nachsorge umgehen?

Angst sage wenig darüber aus, was der Patient oder die Patientin an Therapie benötige, so Schulte, weshalb er eine Differenzierung vorschlägt. So könne unterschieden werden zwischen Patienten mit:

  • Rezidiv-Progredienzangst bei vorbestehender Angststörung,
  • funktionaler Rezidiv-Progredienzangst (mit oder ohne Unterstützungsbedarf), die sich nicht auf den Alltag auswirkt,
  • dysfunktionaler Rezidiv-Progredienzangst (mit oder ohne Unterstützungsbedarf), die sich auf den Alltag auswirkt, und
  • Rezidiv-Progredienzangst mit F-Diagnose (Vorliegen einer psychischen Erkrankung, u.a. Depression, Anpassungsstörung, Angststörung).

Als Nachbehandler könne man der Frage nachgehen, inwieweit sich eine Rezidivangst auf den Alltag des Patienten auswirkt. Leide dieser zum Beispiel an einer Depression, dann stehe die Behandlung der Depression im Vordergrund, so Schulte.

Er betonte das Fehlen einer routinemäßigen Erfassung der Angst trotz der hohen Relevanz und verwies auf die Konsequenzen: Werde das Ausmaß der Rezidivangst nicht zum Beispiel im Entlassungsbrief festgehalten, würden die Leistungsträger auch keine adäquaten Personalstellen bereitstellen. „Diese Kritik bezieht sich nicht auf uns Ärzte, sondern auf das System. Wir können nicht noch mehr leisten, wir brauchen Unterstützung in Form von Technik und Personal.“

Angst-Instrumente in der Entwicklung

Schulte äußerte sich beim Blick in die nahe Zukunft dennoch optimistisch. In der Survivorship-Forschung tue sich viel, die Medizin werde sich mit den Folgeproblemen befassen. Auf internationaler Ebene werden Screening-Instrumente zur Erfassung der Lebensqualität (Cancer Survivorship Core Questionnaire) und unterstützende digitale Erfassungssysteme entwickelt.

Eine zeitökonomische Erfassung von Angst könne mit Hilfe des Generalized Anxiety Disorders Scale-Fragebogens (GAD-2) bereits in der Praxis umgesetzt werden. Zudem könne eine Rezidivangst-Skala oder eine einzelne Dezimalskala genutzt werden.

Zu der Frage, wie eine optimale Versorgung seiner Meinung nach im Gesundheitssystem aussehen könnte, betonte er die Rolle der Psychotherapie bei einer F-Diagnose. Sollte keine F-Diagnose vorliegen, seien Krebsberatungsstellen gut etablierte Anlaufstellen. Eine flächendeckende Abdeckung hält er darüber für möglich, zum Beispiel über Gruppenangebote zur Angstintervention. „Genügend Patienten gibt es“, so Schulte.