Prostatakrebs: neuer Index zur Prognose der Tumoraggressivität

Testauswertung

Anhand umfassender molekularer Analysen von frühen Tumoren und deren Korrelation mit der Tumoraggressivität identifizierten Forscher vier Gruppen von Tumoren, die sich im Verlauf der Erkrankung unterscheiden. Die aggressivste Gruppe umfasst Tumoren mit einer Mutation von ESPR1, einem neuartigen Onkogen.

Schwierige Entscheidungsfindung für notwendige Therapie

Allein in Deutschland wird jährlich bei etwa 60.000 Männern Prostatakrebs diagnostiziert. Viele Betroffene stehen nach dieser Diagnose vor einer schwierigen Entscheidung: Ist eine Operation oder eine Strahlentherapie notwendig oder reicht es, lokal begrenzte Tumoren aktiv zu überwachen? Dies ist für viele Patienten eine Option, um die teilweise erheblichen Nebenwirkungen der invasiven Behandlung zu vermeiden.

Forscher analysierten Mutationsprozesse und Entwicklung von Prostatatumoren

Die Erkennung der frühesten somatischen Veränderungen bei Prostatakrebs kann wichtige Erkenntnisse über die Tumorentwicklung liefern und hilft bei der Stratifizierung der Krebserkrankungen nach hohem und niedrigem Risiko.

Clarissa Gerhäuser und Kollegen vom DKFZ analysierten zusammen mit Wissenschaftlern von der Universität Kopenhagen sowie vom European Molecular Biology Laboratory (EMBL), dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, dem Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik sowie der Charité Universitätsmedizin in Berlin das gesamte Genom, das Transkriptom sowie das Methylom von 292 Prostatatumoren im Frühstadium. Die Gewebeproben stammten von Patienten, bei denen die Diagnose im Alter ≤55 Jahren gestellt worden war.

Frühe kontinuierlich fortschreitende, enzymvermittelte Mutationsprozesse

Die Forscher fanden altersbedingte Genomveränderungen und einen mit der Zeit fortschreitenden, enzymvermittelten Mutationsprozess, der zu den frühesten Mutationen beim Prostatakrebs beiträgt. Der Mutationsprozess wird vermutlich von APOBEC3-Enzymen ausgelöst. Die Gruppe der APOBEC-Enzyme ist Bestandteil des angeborenen Immunsystems der Säugetiere. Sie schädigen das Erbgut bestimmter Viren und reduzieren so deren Lebensfähigkeit.

Andererseits sind überaktive APOBEC-Enzyme bereits als Ursache krebsfördernder Mutationen aufgefallen. „Wir gehen davon aus, dass APOBEC die Prostatazellen langsam, aber konstant mit jeder Zellteilung verändert. So sammeln sich im Verlauf von vielleicht 20 Jahren vielleicht 10 bis 20 Mutationen an“, sagt Koautor Jan Korbel vom EMBL.

Vier molekulare Untergruppen mit unterschiedlichem Risiko

Anhand von epigenetischen Markern entwickelte Clarissa Gerhäuser „PEPCI“, einen epigenetischen Prostatakrebs-Index, der eine einfache Vorhersage der Tumoraggressivität erlaubt. Mithilfe einer integrativen Analyse von epigenetischen Markern und Genexpressionsmustern identifizierten die Forscher vier molekulare Untergruppen von Tumoren, die sich im Verlauf der Erkrankung unterscheiden.

ESRP1-Locus: möglicher Prognosemarker

Bei einer besonders aggressiven, sehr schnell teilenden Untergruppe von Tumoren treten Duplikationen und eine erhöhte Expression des ESRP1(epithelial splicing regulatory protein 1)-Gens auf. Diesen Zusammenhang validierten die Forscher anhand von 12.000 Gewebeproben. Die ESRP1-Mutation stellt daher einen aussichtsreichen Kandidaten für einen Prognosemarker dar, der bereits im frühen Stadium der Krebserkrankung nachweisbar ist.

DNA-Sequenzierungsdaten ermöglichen Vorhersage des klinischen Verlaufs

Die Forscher führten die Informationen über die molekularen Charakteristika und über das gruppenspezifische Risiko der Krankheitsentwicklung in einem Computermodell zusammen. PRESCIENT wird derzeit in der Charité in Berlin in die klinische Versorgung implementiert. Die Wissenschaftler möchten dem Modell noch Daten von mehreren tausend Patienten hinzufügen. In etwa zwei bis drei Jahren könnte das Modell als integraler Bestandteil der Klinikprozesse umgesetzt sein und helfen vorherzusagen, wie sich Prostatakrebs bei einem bestimmten Patienten entwickeln wird.

Autor: Dr. Elke Schlüssel (Medizinjournalistin)

Stand: 20.12.2018Quelle:

  • Gerhäuser et al.: Molecular evolution of early onset prostate cancer identifies molecular risk markers and clinical trajectories. Cancer Cell 2018, DOI: 10.1016/j.ccell.2018.10.016
     
  • Deutsches Krebsforschungszentrum, Pressemitteilung, 11. Dezember 2018