Dr. med. Petra Kittner
Personalisierte Medizin bedeutet im Wesentlichen, individuelle Eigenschaften eines Patienten bei der Diagnose, Therapie und Prävention zu berücksichtigen. Dabei rückt der Mensch mit seinen einzigartigen Merkmalen in den Mittelpunkt dieses medizinischen Ansatzes.
Durch den Einsatz modernste Technologien wie Genomik, Proteomik und Metabolomik sowie durch verbesserte Bildgebungsverfahren können Krankheiten besser verstanden und Behandlungen präziser auf den einzelnen Patienten abgestimmt werden. Die Analyse molekularer Profile ermöglicht es, Krankheitsverläufe und Therapieerfolge genauer vorhersagen zu können.
Ein zusätzlicher Nutzen dieser datengetriebenen Ansätze ist die Entdeckung neuer Zielstrukturen, die direkt zur Entwicklung innovativer Medikamente beitragen können. Diese Ansätze eröffnen somit neue Möglichkeiten für die Entwicklung von Therapien für bisher schwer behandelbare Erkrankungen wie Krebs, Demenz und kardiovaskuläre Krankheiten.
Ziel ist es, die Effektivität von Therapien zu steigern, Nebenwirkungen zu reduzieren und langfristig Kosten zu senken. Dabei wird jeder Patient wird als einzigartig betrachtet, mit individuellen genetischen Unterschieden und weiteren Faktoren wie Umwelt und Lebensstil, die eine personalisierte Behandlung erfordern. Somit soll für jeden Patienten die optimale Therapie zum bestmöglichen Zeitpunkt in der richtigen Dosierung gefunden werden.
Diagnostische Tests in der personalisierten Medizin
Diagnostische Tests in der personalisierten Medizin ermöglichen es, gezielte Entscheidungen zu treffen, indem sie drei wesentliche Prognosen liefern: die Wirksamkeit eines Medikaments beim jeweiligen Patienten, die Verträglichkeit und die optimale Dosierung. Diese Ansätze stehen im Zentrum moderner, individualisierter Therapien.
Ein Beispiel ist die HIV-Therapie mit dem Wirkstoff Abacavir. Obwohl Abacavir häufig in Kombinationstherapien gegen HIV eingesetzt wird, vertragen etwa 3 % der Patienten diesen Wirkstoff aufgrund einer genetischen Besonderheit (HLA-B*5701) nicht.
Ein Gentest auf diese Variante, der seit 2008 verpflichtend ist, ermöglicht es, Patienten mit erhöhtem Risiko für schwere Nebenwirkungen zu identifizieren. Nur Patienten, bei denen die Variante nicht vorliegt, erhalten Abacavir, während bei positivem Testergebnis alternative Behandlungsoptionen gewählt werden müssen.
Ein weiteres Beispiel findet sich in der Onkologie, insbesondere bei der Behandlung von Darmkrebs. Hier hängt der Erfolg von Therapien wie Cetuximab oder Panitumumab von der genetischen Beschaffenheit des Tumors ab, insbesondere vom Status des KRAS-Gens.
Etwa 60 % der Patienten haben ein unmutiertes KRAS-Gen, was Voraussetzung für die Wirksamkeit dieser Medikamente ist. Ein Gentest an Tumorgewebe, der mittlerweile Standard ist, bestimmt, ob die Patienten von diesen Medikamenten profitieren oder eine andere Therapie erhalten sollten.
Diese Beispiele verdeutlichen, dass in der personalisierten Medizin Therapie und diagnostische Tests Hand in Hand arbeiten. Jedoch sind solche Vortests wie bereits erwähnt nicht nur entscheidend für die Auswahl der geeigneten Therapie, sondern auch für die Minimierung von Nebenwirkungen und die Optimierung der Dosierung..
Für bestimmte Medikamente, die als personalisiert gelten, sind diagnostische Vortests vorgeschrieben oder empfohlen. Insgesamt gibt es aktuell 115 solcher Wirkstoffe. Von diesen erfordert die Mehrheit (105 Wirkstoffe) einen obligatorischen Test, während bei weiteren 10 Wirkstoffen ein Test empfohlen wird. Die aktuelle Liste dieser Wirkstoffe findet sich beim Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (vfa). Alleine für Brustkrebs sind dort derzeit 22 Wirkstoffe verzeichnet.
Zusätzlich gibt es Medikamente, wie Clopidogrel oder Statine, bei denen genetische Besonderheiten die Wirkung beeinflussen können, ohne dass ein Test ausdrücklich vorgeschrieben wird.
CAR-T-Zelltherapie als Beispiele für Präzisionsmedizin
Die CAR-T-Zelltherapie hat aufgrund ihres Erfolgs bei der Behandlung von pädiatrischen Patienten mit akuter B-Zell-Leukämie große Aufmerksamkeit erlangt. Dabei werden patienteneigene T-Zellen mithilfe von viralen Vektoren genetisch modifiziert, um chimäre Antigenrezeptoren (CAR) zu exprimieren. Nach einer vorbereitenden Chemotherapie werden diese veränderten T-Zellen dem Patienten zurückgegeben, wo sie sich vermehren und gezielt Tumorzellen angreifen.
Diese Form der Gentherapie ist für die Behandlung von akuter lymphoblastischer Leukämie bei Patienten bis 25 Jahren sowie für das diffus-großzellige B-Zell-Lymphom bei Erwachsenen zugelassen. Eine zweite CAR-T-Zelltherapie wurde mittlerweile für Erwachsene mit refraktärem oder rezidivierendem großzelligem B-Zell-Lymphom zugelassen.
Obwohl prospektiv randomisierte Studien noch fehlen, ist bekannt, dass diese Therapie schwere Nebenwirkungen hervorrufen kann, darunter der sogenannte „Zytokin-Sturm“, neurologische Störungen und eine B-Zell-Aplasie, die zu Immunschwäche führt.
Derzeit sind in Deutschland und anderen europäischen Ländern diese zwei Formen der CAR-T-Zell-Therapie zugelassen: Axicabtagene Ciloleucel und Tisagenlecleucel. Sie zielen auf den Oberflächenmarker CD19 auf Tumorzellen. Daher können diese Therapien nur bei Tumorerkrankungen eingesetzt werden, bei denen dieser Marker nachweisbar ist, d.h. bei B-Zell-Erkrankungen.
Big Data in der Medizin: präzise Diagnosen und personalisierte Therapien
Big Data, also die Speicherung, Verarbeitung und Analyse großer Datenmengen, hat die Medizin revolutioniert und die personalisierte Medizin vorangebracht, indem es umfangreiche Datenquellen wie digitale Patientenakten, genetische Profile und Echtzeitüberwachungen integriert. Diese Daten werden genutzt, um präzisere Diagnosen zu stellen und individuelle Behandlungspläne zu entwickeln.
Durch die Analyse der Daten können nicht nur der aktuelle Gesundheitszustand eines Patienten erfasst, sondern auch zukünftige Entwicklungen vorhergesagt werden. Diese datengetriebene Methode ermöglicht es, Krankheiten frühzeitig zu erkennen, Behandlungen zu überwachen und die Gesundheitsversorgung insgesamt zu verbessern. Eine zentrale Rolle spielt dabei die digitale Patientenakte, die alle relevanten Informationen bündelt und den Zugang zu wichtigen Daten erleichtert.
- Personalisierte Medizin: Big Data ermöglicht in der personalisierten Medizin die Entwicklung maßgeschneiderter Therapien, die auf den individuellen Gesundheitszustand und die genetischen Profile der Patienten abgestimmt sind. Dies führt zu einer höheren Wirksamkeit der Behandlungen und minimiert Nebenwirkungen. Die digitale Patientenakte erleichtert die Koordination dieser individuellen Behandlungsansätze.
- Datenintegration und -verwaltung: Eine der größten Herausforderungen der modernen Medizin ist die Integration und Verwaltung von Gesundheitsdaten aus unterschiedlichen Quellen, wie Krankenhäusern, Labors und Wearables. Um diese Daten effizient zu nutzen, müssen einheitliche Standards für die Datenerfassung und -speicherung entwickelt werden. Ein zentrales System für digitale Patientenakten hilft dabei, ein umfassendes Bild des Patienten zu erstellen, erfordert jedoch robuste IT-Infrastrukturen und effektive Datenmanagementstrategien. Gleichzeitig ist der Datenschutz entscheidend: Moderne Verschlüsselungstechnologien und strenge Zugriffsregelungen sind notwendig, um die sensiblen Daten der Patienten zu schützen und ihr Vertrauen zu erhalten.
- Prädiktive Analytik: Prädiktive Analytik nutzt historische Daten und aktuelle Trends, um zukünftige Krankheitsausbrüche und gesundheitliche Risiken vorherzusagen. Dies ist besonders in der Epidemiologie wertvoll, wo solche Vorhersagen zur Planung und Bekämpfung von Epidemien beitragen. Auch in der Patientenversorgung hilft prädiktive Analytik dabei, den Bedarf an bestimmten Behandlungen besser einzuschätzen, was zu einer effizienteren Ressourcennutzung und Kosteneinsparungen im Gesundheitssystem führt.
- Herausforderungen im Datenschutz: Die Nutzung großer Gesundheitsdatensätze bringt erhebliche Datenschutz- und Sicherheitsanforderungen mit sich. Um die sensiblen Daten der Patienten zu schützen, sind moderne Verschlüsselungstechnologien und strenge Sicherheitsprotokolle unerlässlich. Zudem müssen gesetzliche Vorschriften wie die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) eingehalten werden. Schulungen für medizinisches Personal und regelmäßige Sicherheitsüberprüfungen sind wichtig, um den Datenschutz sicherzustellen und das Vertrauen der Patienten zu bewahren.
Deutsches Netzwerk für Personalisierte Medizin
Das Deutsche Netzwerk für Personalisierte Medizin (DNPM) ist eine bundesweite Kooperation von 26 Universitätskliniken, die gemeinsam daran arbeiten, die Therapie und Lebensqualität von Patienten mit fortgeschrittenen oder seltenen Krebserkrankungen zu verbessern. In diesem Rahmen werden an allen teilnehmenden Standorten Zentren für Personalisierte Medizin (ZPM) eingerichtet, die zusammen mit bereits bestehenden Zentren in Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm das DNPM bilden.
Ziel des Netzwerks ist es, Patienten in ganz Deutschland einen einheitlichen und transparenten Zugang zur personalisierten Medizin zu ermöglichen. Einrichtungen wie das Zentrum für Personalisierte Medizin (ZPM) Heidelberg bieten spezialisierte molekulardiagnostische Untersuchungen an, die in molekularen Tumorboards diskutiert werden, um individuell angepasste Therapieempfehlungen zu entwickeln.
Das ZPM ergänzt hierdurch die umfangreichen klinischen und wissenschaftlichen Leistungen des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg.