Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) arbeitet intensiv an der Zukunft der Krebsmedizin: Im April und Mai starten mehrere Studien für neue maßgeschneiderte Medikamente gegen Krebs. „Wir wissen heute, dass es hunderte Krebserkrankungen gibt, die sich gegeneinander abgrenzen lassen. Jede dieser Einzelerkrankungen kann sich zudem von Patient zu Patient unterscheiden und im Verlauf der Erkrankung weiter verändern. Die moderne, sog. personalisierte Krebsmedizin, schneidet die gesamte Behandlung optimal auf den einzelnen Patienten zu“, sagt Prof. Dr. Martin Bornhäuser, Geschäftsführender Direktor am NCT/UCC Dresden und Direktor der Medizinischen Klinik I des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden im Vorfeld des am 4. Februar stattfindenden Weltkrebstages.
Neben dem Einsatz maßgeschneiderter medikamentöser
Therapien entwickelt das NCT/UCC Dresden auch entsprechende Konzepte für
den OP, bei denen Patientendaten zum Planen und Ausführen operativer
Eingriffe herangezogen werden. Z.B. sollen innovative Systeme künftig
die optimale Schnittführung oder Risikostrukturen in Echtzeit anzeigen.
Damit Patienten unmittelbar von den neuesten wissenschaftlichen
Erkenntnissen profitieren, arbeiten am NCT/UCC Dresden Ärzte und
Wissenschaftler des Universitätsklinikums Dresden, der Medizinischen
Fakultät Carl Gustav Carus der TU Dresden, des Helmholtz-Zentrums
Dresden-Rossendorf (HZDR) und des Deutschen Krebsforschungszentrums
(DKFZ) Hand in Hand. Alle Kräfte im Kampf gegen Krebs zu bündeln, ist
auch das Ziel der Bundesregierung. Das Bundesforschungsministerium hat
deshalb am 29. Januar die „Nationale Dekade gegen Krebs“ ausgerufen.
Die Krankheit Krebs ist so individuell wie die Menschen, die daran
erkranken. „Die Krebsmedizin der Zukunft gleicht daher einem Maßanzug,
der für jeden Patienten mit höchster Präzision individuell angepasst
wird. Denn die enorme Vielfalt von Krebserkrankungen sorgt dafür, dass
ein Therapie-Anzug von der Stange bei keinem Patienten exakt sitzt“,
sagt Prof. Dr. Mechthild Krause. Die Geschäftsführende Direktorin am
NCT/UCC Dresden und Direktorin der Klinik für Strahlentherapie und
Radioonkologie des Universitätsklinikums Dresden ist eine der
Referentinnen zum Thema personalisierte Onkologie beim 1. Deutschen
Krebsforschungskongress, bei dem Vertreter des NCT/UCC am 4. und 5.
Februar mit zahlreichen führenden Wissenschaftlern zu den neuesten
Forschungsansätzen diskutieren.
Basis der personalisierten Krebstherapie sind u.a. neue diagnostische
Methoden wie die molekular-genetische Untersuchung von Tumorgewebe oder
Blut. „Wir suchen nach Veränderungen, die Ursache für die Entstehung,
das Wachstum oder die Metastasierung von Tumoren sind. Sie sind eine
wichtige Grundlage – eine Art Schnittmuster – für die maßgeschneiderte
Behandlung. Denn im Idealfall lässt sich die Tumorzelle genau an dieser
veränderten Stelle mit zielgerichteten Therapien angreifen“, erklärt
Prof. Dr. Hanno Glimm, Geschäftsführender Direktor am NCT/UCC Dresden
und Leiter der Abteilung Translationale Medizinische Onkologie.
Personalisierte Immuntherapien bedeuten wichtigen Fortschritt
Am NCT/UCC Dresden nutzen Ärzte und Wissenschaftler spezifische
biologische Merkmale von Tumoren beispielsweise dazu, um das Immunsystem
passgenau gegen die Krebserkrankung in Stellung zu bringen. So können
hier seit Mitte letzten Jahres Patienten des Universitätsklinikums
Dresden mit der innovativen CAR-T-Zell-Therapie behandelt werden. Die
bislang bundesweit nur an wenigen Zentren verfügbare Immuntherapie
bietet Hoffnung für Patienten mit aggressivem Lymphom und bestimmten
Leukämie-Formen, deren Tumorzellen den Oberflächenmarker CD19 tragen.
Körpereigene Immunzellen, gegen die sich Tumoren meist sehr erfolgreich
tarnen, werden hierzu im Labor mit einem künstlichen Molekül versehen,
das wie ein Navigationssystem zu dem spezifischen Oberflächenmerkmal
leitet. Das Immunsystem wird so in die Lage versetzt, die Tumorzellen zu
erkennen und zu beseitigen. „Bei etwa 40% der Patienten, bei denen
zuvor alle konventionellen Therapien versagten, verschwindet der Krebs
langfristig. Das ist einer der größten Fortschritte der Krebsmedizin
seit langem“, sagt Dr. Martin Wermke, Leiter der Early Clinical Trial
Unit am NCT/UCC Dresden.
Dresdner Wissenschaftler treiben diese therapeutische Innovation mit
voran: So entwickeln Forscher um Prof. Dr. Michael Bachmann, Direktor
des Instituts für Radiopharmazeutische Krebsforschung am HZDR und Prof.
Dr. Gerhard Ehninger, ehemals Direktor der Medizinischen Klinik I am
Universitätsklinikum Dresden, neben bispezifischen Antikörpern eine
spezielle CAR-T-Zell-Therapie, bei der sich die Aktivität der
veränderten Immunzellen an- und ausschalten und gegen verschiedene
Oberflächenmarker richten lässt. „Unseren Patienten am
Universitätsklinikum können wir ein außergewöhnlich breites Spektrum von
personalisierten Immuntherapien anbieten. Im Rahmen von Studien kommen
ab April weitere Therapien mit T-Zell-Rezeptor-modifizierten T-Zellen,
bispezifischen Antikörpern sowie tumorinfiltrierenden Lymphozyten
hinzu“, sagt Dr. Wermke. „Mit den jetzt beginnenden Studien stellt die
Dresdner Hochschulmedizin ihre Stärke als einer der führenden Standorte
für translationale Forschung in der Krebsmedizin unter Beweis. Das
intensive und sehr kollegiale Miteinander von Ärzten und
Wissenschaftlern ist eine unserer Kernkompetenzen, die ein Schlüssel für
die erfolgreiche Überführung von Grundlagenforschung in die
Krankenversorgung ist“, betont Prof. Dr. Michael Albrecht, Medizinischer
Vorstand des Dresdner Uniklinikums.
Zielgerichtete Medikamente können aber auch ohne Aktvierung des
Immunsystems auf Prozesse der Krebsentwicklung einwirken. Sie verhindern
beispielsweise, dass Wachstums- und Vermehrungssignale in der
Tumorzelle ankommen oder sich Blutgefäße bilden, die die Tumorzelle mit
Nährstoffen und Sauerstoff versorgen. Prof. Dr. Christian Thomas, neu
berufener Direktor der Klinik für Urologie am Universitätsklinikum
Dresden, forscht etwa an einem Protein, das normalerweise für die
Regulierung von Zellteilung und Zellwachstum zuständig ist. Beim
Prostatakarzinom wird angenommen, dass sich der Tumor die Eigenschaften
des Stat5-Proteins zunutze macht und durch dessen vermehrte Bildung das
eigene Wachstum anregt. Die Höhe des Anteils von Stat5 im Prostatagewebe
des Krebspatienten gibt dem Arzt einen Hinweis auf die Aggressivität
und das fortgeschrittene Stadium des Prostatakarzinoms. In mehreren
experimentellen therapeutischen Studien konnte der Wissenschaftler
darüber hinaus aufzeigen, dass sich Stat5 durch molekularbiologisch
wirkende Medikamente zielgerichtet ausschalten und das Tumorwachstum
damit verlangsamen lässt.
Weniger Nebenwirkungen durch individualisierte Behandlung
Maßgeschneiderte Therapieansätze spielen auch bei der Reduktion von
Nebenwirkungen eine wichtige Rolle. So untersuchen Ärzte und Forscher
des NCT/UCC Dresden und des NCT Heidelberg in einer aktuellen Studie, ob
sich Tumoren des Mund-Rachen-Bereiches, die durch humane Papillomviren
(HPV) hervorgerufen wurden, mit einer verringerten Strahlendosis genauso
wirksam behandeln lassen, wie mit der bislang standardmäßig
verabreichten Strahlenmenge. „Wir senken die Strahlendosis in einem
engmaschig überwachten, zweistufigen Verfahren ab, das höchstmögliche
Sicherheit für die Patienten garantiert. So hoffen wir, langfristige
gravierende Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, Schluckbeschwerden und
Störungen des Geruchs- und Geschmackssinns deutlich reduzieren zu
können“, erklärt Studienleiterin Krause.
Auch in der Krebschirurgie sind immer präzisere, nebenwirkungsärmere
Eingriffe möglich. Wissenschaftler und Ärzte am NCT/UCC Dresden
entwickeln computergestützte Assistenzsysteme, die den Chirurgen
ausgehend von den individuellen Patientendaten beim Planen und Ausführen
operativer Eingriffe unterstützen sollen. „Wir bieten dem Chirurgen
intelligente Hilfen für seine Arbeit an – ähnlich wie ein
Navigationssystem im Auto. Während einer Operation sollen die Systeme
beispielsweise in Echtzeit die optimale Schnittführung oder
Risikostrukturen anzeigen“, erklärt Prof. Dr. Stefanie Speidel, Leiterin
der Abteilung für Translationale Chirurgische Onkologie. „Voraussetzung
für die Entwicklung solcher Assistenzsysteme sind vernetzte
Operationssäle, wie sie aktuell im Dresdner NCT-Neubau, aber auch im
neuen Chirurgischen Zentrum des Uniklinikums (Haus 32) entstehen. Hier
sind eine Vielzahl an Daten verknüpft – z.B. Planungsdaten, während der
Operation erzeugte Bilder oder Informationen über den Patienten und
aktuelle Vorgänge im OP“, sagt Prof. Dr. Jürgen Weitz,
Geschäftsführender Direktor am NCT/UCC Dresden und Direktor der Klinik
für Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie.
Die personalisierte Krebstherapie, die heute vielfach noch in der
Entwicklung ist, wird sich in den kommenden Jahren immer mehr
durchsetzen. Besonders konsequent werden ihre Möglichkeiten aktuell
bereits im NCT-MASTER-Programm ausgelotet und umgesetzt. Junge
Krebspatienten und Patienten mit sehr seltenen Krebserkrankungen haben
im Rahmen des Programms die Möglichkeit, das Erbgut ihres Tumors
umfangreich analysieren zu lassen. Auf dieser Basis suchen
fächerübergreifende molekulare Tumorboards anschließend nach einer
maßgeschneiderten Therapie. „Bei vielen Patienten können wir hierdurch
bemerkenswerte Erfolge erzielen“, sagt Glimm. Bislang wurden rund 1.300
Patienten der NCT-Standorte Heidelberg und Dresden sowie der Standorte
des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung (DKTK) in
das Programm einbezogen. „Personalisierte Therapie muss nicht bedeuten,
dass für jeden Patienten ein neues Medikament entwickelt wird. Vielmehr
wird die Behandlung individuell auf die Biologie des jeweiligen Tumors
angepasst. Um dies zu ermöglichen, ist es unser langfristiges Ziel, die
detaillierte genetische Diagnostik in die normale Krebsversorgung
einzubetten“, so Glimm.
Quelle: Nationales Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) und Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden