Patientengespräch: Gute Kommunikation ist wichtig für die Genesung


Redaktion

  • Jessica Braun

Qualitätssicherung

  • Marc Shaffi (BARMER)

Aufmerksam zuhören, Bedürfnisse ausdrücken, Missverständnisse aufklären: Mit einem anderen Menschen über die Gesundheit zu sprechen, ist nicht einfach. Diese Erfahrung machen Patientinnen und Patienten, aber auch die Behandelnden. Ein vertrauensvoller Umgang trägt jedoch messbar zur Therapie bei. Wie lässt sich dieser fördern?

Wer sich untersuchen lässt, entblößt sich – knöpft das Hemd auf, um die Lunge abhören zu lassen, oder lässt sich in die Ohren schauen. Vor allem aber geben Patientinnen und Patienten während der Untersuchung Persönliches über sich preis. Es geht um Schmerzen, um Ängste, vielleicht auch um Dinge, für die sie sich schämen. Vertrauen in die behandelnde Person zu haben, macht es nicht nur einfacher, sich zu öffnen. Es kann auch den Erfolg der Therapie beeinflussen, wie Studien zeigen.

„In der Alltagsmedizin ist eine transparente, verständliche Kommunikation auf Augenhöhe entscheidend für den Behandlungserfolg“, sagt der Gesundheitswissenschaftler Prof. Dr. Tobias Esch. Denn nicht nur Medikamente oder Operationen machen gesund. Auch die Art und Weise, wie diese verordnet werden, kann heilsam sein. „Menschliche Zuwendung ist ein Zaubermittel, das aus einem chemischen Nichts einen biologischen Vorgang macht“, schreibt der Mediziner Professor Dietrich Grönemeyer in seinem Buch „Mensch bleiben“. Und dieser Effekt ist manchmal sogar messbar: Ein vertrauensvoller Umgang wirkt sich einer Erhebung zufolge langfristig positiv auf die Werte bei Blutdruck, Fettstoffwechsel und Diabetes aus.

In manchen Untersuchungszimmern jedoch kränkelt die Beziehung zwischen Arzt und Patient. Die Gründe dafür sind vielfältig: Es ist zu viel los in der Praxis. Mitarbeitende fehlen. Organisation und neue Technologien verlangen Aufmerksamkeit. Die Zeit, die einer Psychotherapeutin oder einem Allgemeinmediziner für die Behandlung zur Verfügung stehen, nimmt deshalb seit Jahren stetig ab. Kommt dann ein Notfall dazwischen, gerät der Tagesablauf schnell durcheinander. Das macht sich im Gespräch bemerkbar. Einer Studie zufolge bleiben Patientinnen und Patienten durchschnittlich nur 19 Sekunden, um ihre Symptome zu schildern. Dann werden sie unterbrochen. Aus Sicht der Behandelnden ist das sogar verständlich: Sie möchten das Gespräch beschleunigen – schließlich ist das Wartezimmer voll. Die meisten Patientinnen und Patienten reden jedoch gar nicht endlos: Im Schnitt beenden sie ihre anfängliche Schilderung nach 60 bis 90 Sekunden von alleine.

Manchmal ist einer oder sind beide Beteiligte auch einfach mit der Situation überfordert. Die Beziehung zu einem kranken Menschen kostet Kraft. Das ist menschlich, aber durchaus folgenschwer. Verlässt eine Patientin die Praxis mürrisch, weil sie sich nicht ernst genommen fühlt, sucht sie sich vielleicht eine andere Ärztin. Hat sie vor Ärger über das unergiebige Gespräch nicht mitbekommen, in welcher Dosis sie das verschriebene Medikament einnehmen soll, birgt das aber ein Gesundheitsrisiko. Ein Patient, der nicht versteht, was sein Arzt ihm erklärt, nickt möglicherweise erst mal alles ab und googelt die Fachbegriffe dann zuhause. Ohne die Zustimmung des Patienten darf der Arzt jedoch keine Therapie anwenden. Ob das Gesagte verstanden wurde, ist also keine Bagatelle.

Informiert entscheiden statt unsicher hinnehmen

Die Prämisse, dass die beiden Menschen, die im Untersuchungszimmer oder am Krankenhausbett aufeinandertreffen, gleichberechtigt sind, ist eine verhältnismäßig neue. Fachwissen galt früher als Domäne der Behandelnden. Wer krank war, hatte zuzuhören und sich der Verordnung entsprechend zu verhalten. „Lange Zeit ging es in der Medizin tatsächlich fast nur um somatische Fakten: Wie ist der Puls, wie ist der Blutdruck, wie sind die Blutwerte, all sowas. Alle anderen Facetten wurden ausgeblendet, der Mensch wurde nicht als Ganzes gesehen“, sagte der Sprachwissenschaftler und Experte für medizinische Kommunikation, Dr. Sascha Bechmann in einem Interview.

Erst in den Siebziger Jahren entwickelte sich ausgehend von den USA eine internationale Patientenrechtsbewegung, die für eine neue Stellung von Patientinnen und Patienten im Gesundheitswesen eintrat. Eines ihrer Ziele: Menschen Zugang zu Wissen zu ermöglichen, damit diese in Bezug auf ihre Therapie informierte Entscheidungen treffen können. Viele der Gesetzesänderungen, die darauf abzielten, änderten jedoch erstmal nur etwas auf dem Papier. Einen Paradigmenwechsel kündigte 2001 das Globale Seminar in Salzburg an. Unter dem Motto „Nichts über mich ohne mich“ trafen sich dort Forschende, Patientenvertretungen, Kunst- und Medienschaffende aus 29 Ländern, um die Gesundheitsversorgung neu zu denken. Sie entwarfen ein fiktives Land namens PeoplePower. Dort führen Patientinnen und Patienten ihre Krankenakten gemeinsam mit den Angehörigen der Gesundheitsberufe. Indem alle Beteiligten untereinander kontinuierlich Informationen austauschen, tragen sie aktiv zu einer besseren Versorgung aller bei. Der Beginn der Transparenzbewegung im Gesundheitswesen.

Ein wichtiges Forschungsprojekt, das daraus entstand, heißt Open Notes. Open Notes startete 2010 als Studie in drei US-Bundesstaaten. Über ein sicheres Patientenportal konnten Patientinnen und Patienten dort erstmals nach jedem Praxisbesuch einsehen, was ihre Ärztin oder ihr Arzt in ihrer Karteikarte notiert hatte. Das Projekt kam bei den Beteiligten so gut an, dass es schnell wuchs. Bis 2020 konnten 50 Millionen Menschen in den USA und Kanada diese Informationen abrufen. Im Jahr darauf wurde dieser Zugang für alle Bürgerinnen und Bürger gesetzlich verankert.

Auch deutsche Patientinnen und Patienten haben Anspruch auf ihre eigenen Gesundheitsinformationen. So steht es im Patientenrechtegesetz, das 2013 in Kraft getreten ist. Das Medium dafür: die elektronische Patientenakte, kurz ePA. Doch diese ist noch nicht ausreichend technisch etabliert, sagt Bérengère Codjo, BARMER Projektmanagerin ePA: „In vielen Praxen und Kliniken ist die nötige Technik zwar vorhanden. Sie verfügen in ihren Verwaltungssystemen aber oft noch nicht über die nötigen Funktionen, um die elektronische Patientenakte zu befüllen.“ Die Apotheken haben dieselben Schwierigkeiten.

Bessere Ergebnisse durch Kommunikation auf Augenhöhe

Als erste medizinische Einrichtung in Deutschland hat sich 2021 die Universitätsambulanz für Integrative Gesundheitsversorgung und Naturheilkunde in Witten deshalb der Open-Notes-Bewegung angeschlossen. Tobias Esch leitet dort das Institut für Integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung. Bis 2015 war der Neurowissenschaftler und Gesundheitsforscher selbst in Boston im Open-Notes-Team tätig. Von dort brachte er das Thema mit nach Witten. Über ein Gesundheitsportal können Patientinnen und Patienten der Universitätsambulanz online datenschutzgerecht auf ihre Akte zugreifen: auf Laborwerte, Ultraschallbilder, Befunde aber auch Audio- oder Videoaufzeichnungen und Notizen des Behandlungsteams. „Unser Anspruch ist hundertprozentige Transparenz“, so Esch.

Erfahrungen aus den USA hätten gezeigt, dass diese das Verhältnis von Behandelnden und ihren Patientinnen und Patienten auf mehreren Ebenen fördere. „Sie begegnen sich auf Augenhöhe. Das stärkt die Beziehung.“ Patientin oder Patient fühlten sich stärker in die Therapie eingebunden und beteiligt. Sie seien dadurch mehr bei der Sache – und engagierter, den besprochenen Maßnahmen zu folgen. Klar: Wer versteht, warum ihm dieses Medikament oder jene Bewegungsübung hilft, der bleibt auch eher dabei. „Das Zutrauen verändert sich dramatisch, wenn ich das Gefühl habe, dass ich verstanden habe und verstanden wurde“, so Esch. Der Fachbegriff für dieses Verhalten lautet Compliance, auf Deutsch Therapietreue. Bei Menschen mit einer chronischen Erkrankung wie Diabetes oder Koronarer Herzkrankheit liegt diese Erhebungen zufolge zum Beispiel nur bei etwa 50 Prozent. In Folge ist ihr Gesundheitszustand schlechter als er sein müsste. Sie erhalten mehr Behandlungen als eigentlich nötig wären und müssen häufiger ins Krankenhaus. Das ist nicht nur ein gesundheitlicher, sondern auch ein wirtschaftlicher Faktor: Allein die mangelnde Compliance beim Einnehmen von Medikamenten verursacht in Deutschland Schätzungen zufolge jährlich Kosten von bis zu 10 Milliarden Euro.

Aber wollen Patientinnen und Patienten wirklich volle Transparenz? Immerhin sind nicht alle Informationen, die während einer Visite zur Sprache kommen können, gute Nachrichten. Tobias Esch hat dies bei Open Notes untersucht: Nur zehn Prozent der Teilnehmenden hatten demnach Sorge, sie könnten etwas erfahren, dass sie lieber nicht gewusst hätten. „Die Mehrheit der Menschen möchte wissen, was mit ihnen los ist“, so Esch. „Selbst, wenn das belastend sein kann.“ 

Verantwortung teilen, gemeinsam entscheiden 

„Die Ärztin ist Expertin für medizinische Belange. Aber die Patientin ist Expertin für sich selbst.“ Auf dieser Annahme basiert ein recht junger Ansatz in der Medizin, das Shared Decision-Making, auf Deutsch partizipative Entscheidungsfindung. In diesem Prozess übernehmen beide Parteien Verantwortung: Die Ärztin erklärt – das ist ihre gesetzliche Pflicht – verständlich die Diagnose und geht mit der Patientin mögliche Behandlungswege und deren Vor- und Nachteile durch. Die Patientin äußert sich im Verlauf der Unterhaltung nicht nur zu ihrer Erkrankung, sondern spricht auch ihre Lebenssituation und Wünsche an. Denn nicht immer ist die naheliegende Therapie auch die praktikabelste. Basierend auf diesen Informationen treffen beide dann gemeinsam eine Entscheidung. Wie gut sich dieser Ansatz für eine eher stressige Umgebung wie ein Krankenhaus eignet, hat ein Modellprojekt untersucht: Zwischen 2017 und 2021 nahmen 19 Kliniken an „Making SDM a Reality“ teil (siehe Kasten). Derzeit prüft der Gemeinsame Bundesausschuss, ob sich das Konzept in die Regelversorgung überführen lässt – ob es also in allen Kliniken in Deutschland Standard wird. Bis es soweit ist, unterstützt die BARMER über einen Selektivvertrag die Weiterführung des Programms.

„Der alte Arzt spricht Lateinisch, der junge Arzt spricht Englisch. Der gute Arzt spricht die Sprache des Patienten“, lautet ein Zitat der früheren Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Professor Ursula Lehr. Nicht allen Behandelnden fällt dies jedoch leicht. Dass jemand zum Medizinstudium zugelassen wurde, heißt nicht automatisch auch, dass diese Person souverän mit Menschen umgehen kann. Die Universitäten haben dies erkannt. Seit 2015 ist ein Gesprächstraining Teil der Ausbildung aller angehenden Ärztinnen und Ärzte. An der Universität des Saarlandes üben diese bereits seit 2007 mit Schauspielprofis und seit drei Jahren auch in einem Online-Format. Dabei werden die Studierenden sogar mit Baulärm und absichtlich durchs Patientenvideo geschickten Hunden konfrontiert. Schließlich gehören Videosprechstunden – inklusive Unwägbarkeiten – mittlerweile zur Versorgung dazu. Die Universität Münster ging sogar noch einen Schritt weiter: Hier entschied seit 2012 neben dem Abiturzeugnis auch die soziale Kompetenz und Kommunikationsfähigkeit darüber, wer einen Studienplatz bekam. In fünfminütigen, immer neu konzipierten Spielszenen hatten Anwärterinnen und Anwärter die Chance, damit zu punkten. 2019 musste der sogenannte Münsteraner Studierfähigkeitstest jedoch eingestellt werden. Grund: Die Stiftung für Hochschulzulassung hatte nicht die technischen Möglichkeiten, um das Verfahren mit ihrer Software zu verarbeiten.

Modellprojekt: Making SDM a Reality
SDM steht für Shared Decision-Making. Dieses gemeinsame Entscheiden übten die Ärztinnen und Ärzte der teilnehmenden Kliniken zunächst vor der Kamera eines Projektteams. Im nächsten Schritt entwickelten sie Online-Entscheidungshilfen für die Patientinnen und Patienten. Schilder im Eingangsbereich informierten: In diesem Krankenhaus treffen wir Therapieentscheidungen gemeinsam. Das klingt selbstverständlich, ist es im Klinikalltag aber nicht, wie eine Bestandsaufnahme im Vorfeld zeigte. Im Lauf des Projekts änderte sich dies jedoch. Ärztinnen und Ärzte kommunizierten offener und verständlicher. Patientinnen und Patienten wurden gesundheitskompetenter, hatten also weniger Schwierigkeiten, Informationen einzuordnen, unterschiedliche Therapieoptionen zu beurteilen oder den Beipackzettel eines Arzneimittels zu verstehen. Sie beteiligten sich auch mehr an der Therapie. Gleichzeitig fielen die Gesamtkosten der Kliniken.

So gelingt das Gespräch 
Gut vorbereitete Gespräche bringen bessere Ergebnisse. Die BARMER hat für Patientinnen und Patienten wichtige Tipps für den Arztbesuch zusammengestellt. Bei der Patientenuniversität der Medizinischen Hochschule Hannover haben Sie die Möglichkeit, sich eine individuelle Checkliste für Ihren Arztbesuch zusammenzustellen.

Haben Patientinnen oder Patienten das Gefühl, ihr Gegenüber ist gehetzt, sollten sie sich auf diese drei Fragen fokussieren, rät Tobias Esch:
1. Was ist mein wichtigstes Gesundheitsproblem? 
2. Was kann ich dagegen tun? 
3. Warum ist das wichtig? 

Medizinische Befunde – in verständlicher Sprache
Wer seinen Befund nicht versteht, findet Hilfe auf der Webseite Was hab‘ ich?
Medizinstudenten übersetzen hier hochgeladene Befunde in eine leicht verständliche Sprache – kostenlos und datenschutzgerecht.