Nach einer Krebsdiagnose stellen sich Betroffene häufig die Frage, ob und wie sie ihren Körper während einer Behandlung unterstützen können. Wäre die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln hilfreich? Hierzu gibt es keine allgemeingültigen Empfehlungen für Krebspatient*innen. Wenn allerdings ein Nährstoffmangel vorliegt, z.B. ausgelöst durch eine Therapie oder eine spezielle Stoffwechselsituation, sollte dieser ausgeglichen werden. In Drogerien, Supermärkten und Apotheken findet sich eine Vielzahl an Nahrungsergänzungsmitteln in unterschiedlichen Formen (z.B. Pillen, Säfte usw.), die alle Gutes für die Gesundheit versprechen.
Ist dies tatsächlich so? Prof. Dr. Jutta Hübner vom Uniklinikum Jena erläutert im Gespräch, wann die Einnahme von Nahrungsergänzungsmittel für Krebspatient*innen sinnvoll ist, weist aber auch auf Risiken hin, die u.a. durch mögliche Interaktionen von Nahrungsergänzungsmitteln mit anderen Medikamenten bestehen können. Dies ist Patient*innen während einer Krebstherapie oft nicht bewusst. Wer sich unsicher ist, sollte vor der Einnahme seinen behandelnden Arzt oder Ärztin fragen.
Im Optimalfall herrscht eine ausgeglichene Bilanz zwischen Bedarf und Zufuhr an Nährstoffen, also der für die Aufrechterhaltung aller Körperfunktionen benötigten Menge, und der tatsächlichen Aufnahme. Zu den Nährstoffen gehören zum einen die Makronährstoffe. Das sind die Energieträger wie Kohlenhydrate, Fette sowie Proteine. Zum anderen gibt es Mikronährstoffe. Sie benötigt der Körper in wesentlich geringeren Mengen, dennoch sind sie durch ihr Mitwirken bei physiologischen Prozessen essenziell, also lebensnotwendig. Zu den Mikronährstoffen zählen Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente [1]. „Auch sekundären Pflanzenstoffen werden verschiedene gesundheitsfördernde Wirkungen zugeschrieben, sie zählen aber nicht zu den essenziellen Nährstoffen. Dazu gehören beispielsweise Polyphenole, Carotinoide oder Phytoöstrogene, deren potenzielle gesundheitsfördernde Effekte u.a. Teil der Ernährungsforschung sind“, erläutert Dr. Jutta Hübner, Professorin für Integrative Onkologie am Uniklinikum Jena.
Der Unterschied zwischen Arznei- und Nahrungsergänzungsmitteln
„Der Unterschied zwischen einem Nahrungsergänzungsmittel (NEM) und einem Arzneimittel ist vielen leider nicht bewusst“, so die Expertin. „Die Annahme ist weit verbreitet, dass Nahrungsergänzungsmittel in gleicher Weise wie Arzneimittel geprüft werden, bevor sie auf den Markt gelangen. Das ist aber nicht der Fall, nur für Arzneimittel muss die Sicherheit und Wirksamkeit vor deren Zulassung belegt werden.“
Dass Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente sowohl als NEM, als auch als Arzneimittel verkauft werden können, führt zu einer Verunsicherung. NEM werden den Lebensmitteln zugeordnet und müssen beim Inverkehrbringen dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit angezeigt werden. Der Hersteller ist für die Sicherheit des Produkts verantwortlich, ein Nachweis der Sicherheit oder auch der Wirksamkeit bei der Behörde ist nicht gefordert. Höchstmengen der Inhaltsstoffe sind nicht festgelegt. Für Arzneistoffe gilt auf der anderen Seite das Arzneimittelrecht mit streng regulierter Zulassung, dafür müssen die Hersteller Sicherheit und Wirksamkeit nachweisen. Während NEM der Ergänzung der Ernährung von gesunden Personen dienen sollen, heilen oder lindern Arzneimittel Krankheiten und Beschwerden, z.B. bei einem Vitaminmangel [2].
Was tun, wenn die Nährstoffzufuhr nicht ausreichend ist?
Die Gefahr von Mangelzuständen ist heutzutage durch die gute Versorgungslage zwar weniger groß. Treten sie dennoch auf, dann können die Folgen jedoch sehr unterschiedlich und schwerwiegend sein. Ein Eisenmangel z.B. kann sich durch Symptome wie Abgeschlagenheit und Erschöpfung äußern und zu Störungen der Bildung von roten Blutkörperchen führen [1].
Häufig treten Nährstoffmängel bei Menschen in besonderen Situationen wie einer Schwangerschaft oder einer Krankheit auf [1]. Wenn der Verdacht eines Nährstoffmangels besteht, sollten vor einer Supplementierung, d.h. der gezielten Einnahme von Nährstoffpräparaten, die Serumspiegel bestimmt werden. „Häufig besteht zwar die Annahme, dass ein Mangel vorliegt, dies bestätigt sich im Labor aber nicht.“, erläutert Prof. Hübner. Bei einer bestätigten Unterversorgung sollte der Serumspiegel des zu gering vorliegenden Nährstoffs unter ärztlicher Kontrolle in den Normbereich gebracht werden.
Wie entstehen Wechselwirkungen zwischen NEM und Arzneimitteln?
Die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln in Eigenregie birgt Risiken. Nicht nur ein Nährstoffmangel kann dem Körper schaden, auch eine Überdosierung kann Folgen haben. Ebenso können durch die NEM-Einnahme Nebenwirkungen entstehen, wenngleich die Gefahr eines Auftretens im Vergleich zur Einnahme von Medikamenten geringer ist.
Ein besonders unterschätzter Aspekt sind potenzielle Wechselwirkungen mit anderen Wirkstoffen. „Therapieeffekte können dadurch verlangsamt oder sogar unterbunden werden“, erklärt die Expertin. NEM können bei gleichzeitiger Einnahme mit Arzneistoffen um die gleichen Transport- und Enzymsysteme zur Verstoffwechselung im Körper konkurrieren [3]. Das kann zu einem schnelleren oder aber langsameren Abbau des Arzneimittels führen – beide Effekte sind nicht gewünscht, da sie die Wirkung beispielsweiser einer Krebstherapie beeinflussen. Prof. Hübner weist darauf hin, dass diese Interaktionen nicht nur zwischen einem NEM und einer Antitumortherapie auftreten kann, sondern ebenso die unterstützenden Behandlungsmaßnahmen betroffen sein können. Was dem Körper vermeintlich helfen sollte, könnte in diesem Fällen eher schaden.
Das Zusammenspiel zwischen Mikronährstoffen und Krebstherapien
Chemotherapien sind eine der zentralen Säulen der Krebstherapie. Dabei erfolgt eine Behandlung bösartiger Tumoren mit chemischen Substanzen, die als Tabletten, Spritzen oder Infusion verabreicht werden. Die Wirkstoffe verteilen sich im Körper und können Tumorzellen angreifen. Aus diesem Grund greifen viele Betroffene zu Antioxidantien, im Glauben, ihre gesunden Zellen so vor dem Einwirken der Chemotherapie zu schützen. Antioxidantien wirken aber nicht nur in gesunden, sondern auch in kranken Zellen auf oxidative Prozesse. Das Ziel der Tumortherapie – also die Zerstörung der Krebszellen – wird durch die Gabe von Antioxidantien daher ggf. eingeschränkt oder gar unterbunden. Dies verdeutlicht umso mehr, dass gerade bei Krebspatient*innen vor Einnahme von NEM immer eine kritische Prüfung und eine ärztliche Konsultation erfolgen sollte.
Problem der Übertragbarkeit von Studienergebnissen
Ein großes Problem bei der Beurteilung von Forschungsergebnissen zu isolierten Nährstoffen liegt in der eingeschränkten Übertragbarkeit von Daten aus Laborexperimenten mit Zellkulturen und Versuchstieren auf den Menschen. Antitumoreffekte, die verschiedene Stoffe auf Tumorzellen zeigen, sind zwar in vielen Fällen wissenschaftlich belegt, aber nur für diese speziellen Laborbedingungen. „Zellexperimente sind – gerade bei Krebszellen – etwas sehr Künstliches“, erklärt Prof. Hübner. „Die Tumorzellen liegen im Körper, im Gegensatz zu den meisten Zellexperimenten, nicht frei vor, sondern sind umgeben von z.B. Immun- und Bindegewebszellen.
Im menschlichen Organismus finden daher sehr viele Wechselwirkungen zwischen diesen verschiedenen Zell- und Gewebetypen statt.“ Durch die vereinfachte Darstellung im Zellexperiment können diese Interaktionen dort nicht mit einbezogen werden. Die Übertragbarkeit der Studienergebnisse aus Laborexperimenten auf den Menschen muss also immer kritisch beurteilt werden. „In dieser Art von Experimenten werden außerdem meist hohe Konzentrationen der Nährstoffe eingesetzt, die physiologisch nicht zu erreichen sind oder in der Form im Körper zu unplanbaren Nebenwirkungen führen könnten“, so die Expertin.
Unklar formulierte Versprechen können falsche Hoffnungen wecken
Ein Beispiel für vermeintliche wissenschaftliche Belege ist das häufig als „Vitamin B17“ bezeichnete Amygdalin. Es gibt keinen Beweis für einen Schutz vor einer Krebserkrankung beim Menschen. Bisherige Hinweise gelten nur für Zell- und Tierexperimente. Amygdalin ist kein Vitamin, sondern eine giftige Substanz, die im Körper zu Blausäure verstoffwechselt werden und erhebliche Nebenwirkungen haben kann [2].
Eine „Trendsubstanz“ ist der aus Kurkuma gewonnene sekundäre Pflanzenstoff Curcumin, welcher Gegenstand vieler Forschungsarbeiten ist. Dennoch gibt es bisher keine fundierten wissenschaftlichen Belege für die Wirksamkeit bei Krebspatient*innen. Die Ergebnisse zu potenziellen Wechselwirkungen mit anderen Wirkstoffen sind derzeit noch widersprüchlich [2].
Prof. Hübner beobachtete in letzter Zeit vermehrte Anfragen von Betroffenen in Bezug auf die Einnahme von Vitamin B12 bei Fatigue. Gerade älteren, unfitten Patient*innen wird oftmals Vitamin B12 verabreicht, ohne zuvor den Vitamin-B12-Spiegel zu messen. „Häufig ist eine Gabe nicht notwendig, da kein Mangel vorliegt“, so Prof. Hübner. Viel eher sei eine erhöhte Einnahme über den Bedarf hinaus kritisch zu betrachten. Es gibt allerdings Patient*innen, die von einer ergänzenden Vitamin-B12-Gabe profitieren können und teilweise sogar darauf angewiesen sind. Dazu gehören z.B. Patient*innen mit einer Pemetrexed-Behandlung oder Patient*innen mit Magenkarzinom. Der im Magen gebildete und für die Aufnahme von Vitamin B12 wesentliche Intrinsic Factor [1] steht beispielsweise nach einer Magenoperation nicht oder nur begrenzt zur Verfügung, so dass Vitamin B12-Gabe erforderlich ist.
Selen- und Vitamin-D-Gabe während einer Krebstherapie
Ein in Bezug auf die Krebstherapie häufig diskutierter Nährstoff, ist das Spurenelement Selen. Es ist Bestandteil von antioxidativ wirkenden Enzymen, schützt so den Organismus und kommt auf natürliche Art beispielsweise in Paranüssen vor [4]. „Wissenschaftlich ist die Beurteilung von Selen ein schwieriges Thema, da die Durchführung bisheriger Studien teilweise nicht den üblichen Standards entspricht. Leider wurden bei den meisten prospektiven Studien die Ausgangswerte von Selen im Serum nicht bestimmt“, erklärt Prof. Hübner. Das erschwert die Einschätzung eines Effekts der zusätzlichen Selen-Gabe. Bei einer großen Studie zur Untersuchung eines Nutzens von Selen als Schutz vor einer Prostatakarzinomerkrankung wurden die Selenspiegel erst im Nachhinein erhoben [5]. Dabei stellte man fest, dass die Selenspiegel vor Studienbeginn schon ausreichend hoch waren. Die Gefahr einer Überdosierung (Selenose) sollte bei Selen nicht unterschätzt werden, da der Bereich zwischen optimaler Zufuhr und zu hoher Aufnahme klein ist [6].
Laut Prof. Hübner sollte bei Patient*innen mit einem Selenmangel das Ziel sein, den Selenspiegel in den Normbereich zu bringen. Zum jetzigen Zeitpunkt gäbe es jedoch durch die schwierige Studienlage, keine eindeutigen Belege das Krebsrisiko durch vorsorgliche Einnahme von Selen zu reduzieren [6].
Um Vitamin D herrschte in letzter Zeit ein regelrechter Hype. „Dies sollte stutzig machen“, gibt Prof. Hübner zu Bedenken. Dennoch erläutert sie, dass Vitamin D in epidemiologischen Studien positive Effekte gezeigt hat. Es gibt Hinweise, dass ein hoher Vitamin-D-Spiegel eher vor dem Auftreten einer Krebserkrankung schützen könnte, während Personen mit einem Mangel ein erhöhtes Risiko für eine Krebserkrankungen aufweisen könnten. „Es spricht sehr viel dafür, dass das auch für die Krankheitssituation gilt“, so Prof. Hübner. Spannend sind Daten aus der Grundlagenforschung, die darauf hindeuten, dass Menschen für die Verstoffwechselung von Vitamin D unterschiedliche Ausprägungen von Rezeptor- und Transportmolekülen haben können. Davon hängt ab, wie viel Vitamin D für den Körper zur Verfügung steht. „Aussagen zum Vitamin D können derzeit nur mit Vorsicht getroffen werden“, erklärt Prof. Hübner. Sie empfiehlt vor Einnahme eines Vitamin-D-Präparats immer die Erhebung des Spiegels und drei Monate nach Therapiebeginn eine Kontrolle. Leider werden die Spiegelkontrollen oftmals nicht von den Krankenkassen bezahlt.
Eine ausgewogene Ernährung mit viel Obst und Gemüse deckt im Optimalfall den Nährstoffbedarf. Ausnahmen stellen z.B. bestimmte Ernährungsformen, eine Schwangerschaft oder Krankheiten dar. Bei Krebserkrankungen muss beim Thema Nährstoffaufnahme berücksichtigt werden, ob die Prävention im Fokus steht oder die Situation während oder nach einer Erkrankung. Sowohl bei Gesunden als auch bei Betroffenen sollte vor Einnahme von NEM sichergestellt werden, dass tatsächlich eine Unterversorgung vorliegt. Festgestellte Mangelzustände müssen ausgeglichen werden. Prof. Hübner empfiehlt bei Krebspatient*innen vor Einnahme eines Nährstoffpräparats in jedem Fall eine kritische Überprüfung und eine ärztliche Absprache, um die Gefahr einer Überdosierung und potenzieller Wechselwirkungen abzuklären.
Auf der Homepage der „Stiftung Perspektiven“, die von Prof. Hübner gegründet wurde, finden Sie jährlich aktualisierte Faktenblätter für Laien und Fachleute.
Literatur
[1] Elmadfa, I., Leitzmann, C., Ernährung des Menschen. 4. Auflage. 2004: Ulmer.
[2] Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen PatientInnen, Langversion 1.01 – Konsultationsfassung, 2020, AWMF Registernummer: 032/055OL, https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/komplementaermedizin/ (Stand: 17.12.2020)
[3] Freitag-Ziegler, G., Wechselwirkungen zwischen Nahrungs- und Arzneimitteln. Ernährung im Fokus, 2015. 15: p. 286-91.
[4] D-A-CH-Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr. Vol. 2. Auflage. 2018, Bonn: Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), Österreichische Gesellschaft für Ernährung (ÖGE), Schweizerische Gesellschaft für Ernährung (SGE).
5. Lippman, S.M., et al., Effect of selenium and vitamin E on risk of prostate cancer and other cancers: the Selenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial (SELECT). JAMA, 2009. 301(1): p. 39-51.
6. Vinceti, M., et al., Selenium for preventing cancer. The Cochrane database of systematic reviews, 2018. 1(1): p. CD005195-CD005195.
Fachliche Beratung
Prof. Dr. Jutta Hübner
Universitätsklinikum Jena