Medizinisches Cannabis: Metaanalyse sieht nur geringe Wirkung bei chronischen Schmerzen

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Toronto – Die Einnahme oder topische Anwendung von medizinischem Cannabis oder Cannabinoiden, die in weiten Teilen der Öffentlichkeit fast schon als ein „Allheilmittel“ gegen chronische Schmerzen be­trach­tet wird, erzielt laut einer Metaanalyse im Britischen Ärzteblatt (BMJ, 2021; DOI: 10.1136/bmj.n1034) allenfalls eine schwache analgetische Wirkung. Die Datenbasis ist jedoch nach wie vor begrenzt und inhalatives Cannabis wurde bei der Analyse nicht berücksichtigt.

Chronische Schmerzen, unter denen in den reicheren Ländern bis zu 20 % der Bevölkerung leiden, sind ein ungelöstes therapeutisches Problem. Das hohe Abhängigkeitspotential von Opioiden, das zuletzt in den USA deutlich geworden ist, hat das Interesse auf alternative Behandlungsformen gelenkt, zu denen medizinisches Cannabis gehört. Aufgrund des strikten Verbots von Cannabis in vielen Ländern, allen voran den USA, wo die gleichen Einschränkungen wie für LSD und Heroin gelten, ist die Datenlage auch für medizinisches Cannabis oder Cannabinoide, sprich einzelne Bestandteile aus Cannabis, gering.

Ein Team um Jason Busse vom Michael G. DeGroote Centre for Medicinal Cannabis Research in Toronto basiert seine Empfehlungen auf der Auswertung von 32 randomisierten kontrollierten Studien (RCT), in denen medizinisches Cannabis oder Cannabinoide zur Behandlung chronischer Schmerzen mit Placebo oder anderen Therapien verglichen wurden. In den 27 RCT, die den Einfluss auf die Schmerzen untersucht haben, erzielten nur 10 % der Patienten eine Schmerzlinderung um mehr als 1 cm auf einer visuellen Ana­logskala von 10 cm, wobei eine Verringerung von 1,5 cm als Minimum für eine klinisch relevante analgetische Wirkung angesehen wird. In 10 Studien erzielten nur 7 % der Patienten eine Schmerzreduk­tion um mindestens 30 %.

Auch die Auswirkungen auf die körperliche Funktionsfähigkeit und den Schlaf waren gering: Auf dem Fragebogen zur Lebensqualität erreichten in 15 RCT nur 4 % mehr Patienten als in den Vergleichs­gruppen eine Verbesserung um 10 Punkte auf der 100-Punkte-Skala im Abschnitt zur körperlichen Funk­tion im Fragebogen SF-36. Die Schlafqualität besserte sich zusätzlich bei 6 % der Patienten um mehr als 1 cm von 10 cm auf einer visuellen Analogskala. Ein Einfluss auf emotionale oder soziale Funktionen war nicht nachweisbar.

Dem geringen Nutzen steht eine im Allgemeinen gute Verträglichkeit gegenüber. Die Zahl der Patienten mit vorübergehenden kognitiven Beeinträchtigungen war um 2 % höher als in der Placebo- oder Vergleichsgruppe. Erbrechen trat zu 3 %, eine Schläfrigkeit zu 5 %, eine eingeschränkte Aufmerksamkeit zu 3 % und Übelkeit zu 5 % häufiger auf. Schwindel könnte mit einer Risikodifferenz von 28 % bei einer Anwendungsdauer von 3 Monaten oder länger zu einem Problem werden.

Trotz der insgesamt schwachen Wirksamkeit spricht sich das Team am Ende dafür aus, den einzelnen Patienten ein Behandlungsangebot zu machen, wenn die Standardbehandlung nicht zu einer ausrei­chenden Schmerzlinderung geführt hat. Dies geschieht möglicherweise aus Sorge vor einer Selbst­therapie der Patienten mit der in den meisten Ländern noch illegalen Cannabis-Droge, deren Wirkung und Sicherheit in klinischen Studien bisher kaum untersucht wurden. © rme/aerzteblatt.de