- Nicola Siegmund-Schultze
- Studien – kurz & knapp
- 05.05.2023
Kernbotschaften
Bei lokalisierten Prostatakarzinomen ist das krebsspezifische Langzeitüberleben sowohl nach Prostatektomie, als auch nach Bestrahlung oder bei aktiver Überwachung hoch: nach median 15 Jahren liegt es bei 97 %. Das hat die britische, prospektiv randomisierte Langzeitstudie ProtecT ergeben (N Engl J Med 2023; 388: 1547-58). Dabei gibt es zwischen den drei Strategien keine signifikanten Unterschiede. Die Raten der klinischen Progression und der Metastasierung in regionäre Lymphknoten allerdings waren bei „watchful waiting“ höher als nach Operation oder Bestrahlung. Bei aktiver Überwachung mit modernen Bildgebungsverfahren wie dem multiparametrischen MRT lassen sich solche Unterschiede inzwischen vermutlich vermindern.
Hintergrund
Weltweit ist das Prostatakarzinom das zweithäufigste Malignom bei Männern, in Deutschland aber mit Abstand das häufigste. Mit geschätzten 70.100 Neuerkrankungen im vergangenen Jahr macht das Karzinom ein Viertel aller malignen Tumore beim Mann aus (24,6 %), es folgt das Lungenkarzimom mit 34.700 Neudiagnosen (13,3 % der Malignome [1]). In Industrienationen mit funktionierenden Vorsorgeprogrammen ist ein vergleichsweise hoher Anteil der Prostatakarzinome bei Diagnose in einem frühen Stadium, in Deutschland sind es zwei Drittel. Seit Langem wird international diskutiert, welches die optimale Strategie bei lokalisierten Prostatakarzinomen ist: aktives Monitoring, Prostatektomie oder Bestrahlung. Die ProtecT-Studie aus Großbritannien liefert zu dieser Fragestellung Langzeitdaten (2).
Design
- Studienform: prospektiv randomisierte Studie an 9 großen spezialisierten Zentren in Großbritannien
- Rekrutierung: 1999 bis 2009
- Ausgangskohorte: 82.429 Männer im Alter zwischen 50 und 69 Jahren, deren PSA-Werte regelmäßig bestimmt wurden (alle 3 Monate im 1. Jahr, danach alle 6 bis 12 Monate);
- Randomisierung: von 2664 Männern mit lokalisiertem Prostatakarzinom konnten 1643 randomisiert werden in 3 Gruppen: aktives Monitoring (n = 545), Prostatektomie (n = 553) und Radiotherapie (n = 545)
- Follow-up: 11-21 Jahre, median 15 Jahre
- Primärer Endpunkt: Vergleich der krebsspezifischen Sterblichkeit zwischen den 3 Gruppen
Hauptergebnisse
- Der mediane PSA-Wert zu Studienbeginn betrug 4,6 ng/ml. 10,3 % hatten einen PSA-Wert ≥ 10 ng/ml.
- Von den 1643 randomisierten Teilnehmern hatten 77,2 % ein Karzinom der Gruppe 1 (Gleason Score: 3 + 3 = 6), bei 76,0 % war der Tumor im Stadium T1c.
- Bei 6 % wurde der Tumor der Gruppe 3 (Gleason Score: 4 + 3 = 7) zugeordnet oder höher klassifiziert. Die Risikostratifikation ergab, dass 24,1 % ein intermediäres und 9,6 % ein hohes Risiko hatten.
- 21,7 % der Gesamtgruppe starben, die Ursache war aber nur bei 2,7 % der 1643 Männer das Prostatakarzinom. Die prostataspezifische Überlebensrate betrug also 97,3 % in median 15 Jahren.
- In den drei Gruppen lag die krebsspezifische Sterblichkeit bei 3,1 % unter aktivem Monitoring, bei 2,2 % in der Gruppe mit Operation und bei 2,9 % in der Gruppe mit Bestrahlung. Die Unterschiede waren mit einem p-Wert von 0,53 nicht statistisch signifikant.
- Eine Androgendeprivation wurde bei 12,7 % der Männer im Studienarm „watchful waiting“ initiiert, bei 7,2 % der Gruppe mit Prostatektomie und bei 7,7 % in der Gruppe mit Bestrahlung.
- Eine klinische Progression entwickelte sich bei 25,9 % der Männer, die zum aktiven Monitoring randomisiert worden waren, bei 10,5 % in der Prostatektomiegruppe und bei 11,0 % der Gruppe mit Bestrahlung.
- Metastasen in regionäre Lymphknoten wurden bei 9,4 % der Männer in der Gruppe mit aktivem Monitoring detektiert, bei 4,7 % in der Gruppe mit Prostatektomie und bei 5,0 % in der Gruppe mit Radiotherapie.
Klinische Bedeutung
Insgesamt war die krebsspezifische Überlebensrate bei Männern mit lokalisiertem Prostatakarzinom hoch, nämlich 97,3 % nach median 15 Jahren. Alle Strategien seien damit vertretbar und sollten unter dem Aspekt von Nutzen und Risiko individuell ausgewählt werden, so das Team der ProtecT-Studie (2).
Entschließe man sich für das aktive Monitoring, so sei der Standard heute ein anderer als in der ProtecT-Studie, heißt es im Kommentar (3). Dazu gehöre die serielle Bildgebung mit dem multiparametrischen MRT. Damit hätte man vermutlich Krankheitsprogressionen früher erkennen und einer Metastasierung häufiger vorbeugen können als in der Gruppe „watchful waiting“ der ProtecT-Studie, so der Kommentator.
Auch bei früh-intermediärem Risiko könne aktive Überwachung mit guter Bildgebung vertretbar sein. Lediglich die Angst eines Patienten mit einer Prostataentfernung zu behandeln, könne mehr Probleme verursachen als zu lösen: mit der Kontinenz und der Potenz.
Finanzierung: National Institute for Health and Care Research