Viele Krebstherapien sind kardiotoxisch. Manchmal machen sich Folgen für Herz und Kreislauf erst Jahre später bemerkbar. Wie wichtig daher eine kardiovaskuläre Basis-Evaluation ist, erklärt krebsinformationsdienst.med.
Fortschritte in der Onkologie haben dazu geführt, dass immer mehr Krebspatientinnen und Krebspatienten länger leben (engl.: Cancer Survivor). Parallel zu diesem Erfolg wächst aber auch die Erkenntnis: Tumoren und ihre Behandlung sind eng mit der Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verknüpft.
Für Cancer Survivor kann dies bedeuten: Nicht der Krebs an sich, sondern mögliche kardiovaskuläre Spät- oder Langzeitfolgen bestimmen Lebensqualität und Gesamtprognose. Diesen Zusammenhängen widmet sich eine recht neue medizinische Fachrichtung, die Kardioonkologie.
Kardioonkologie: eine neue Disziplin
Die Kardioonkologie ist eine relativ junge Fach- und Forschungsrichtung. Sie befasst sich mit der Prävention, Diagnose und Therapie von kardiovaskulären Erkrankungen, die mit Krebs beziehungsweise Krebstherapien in Verbindung stehen.
Ziel – kardiovaskuläre Spätfolgen vermeiden: Noch fehlen aussagekräftige Studien, wie man die Herz-Kreislauf-Gesundheit von Krebsbetroffenen am besten screenen und erhalten kann. Trotz der begrenzten Evidenz haben internationale Expertenteams inzwischen mehrere Leitlinien1 und Positionspapiere2 veröffentlicht.
Darin gibt es relativ einheitliche Empfehlungen zur sogenannten kardioonkologischen Basis-Evaluation. Eine solche Erhebung der Ausgangssituation soll vorzugsweise bereits vor Beginn einer potenziell kardiotoxischen Krebstherapie erfolgen.
Kardioonkologische Basis-Evaluation: warum?
Zahlreiche Krebstherapien können das Herz schädigen. Eine akute Kardiotoxizität kann man je nach Behandlung bei nahezu der Hälfte aller Betroffenen beobachten. Spätfolgen auf Herz und Kreislauf treten bei bis zu 30 Prozent der Krebs-Langzeit-Überlebenden auf – auch noch Jahrzehnte nach Therapieende. Mehr als 30 Prozent der Cancer Survivor sterben an kardiovaskulären Komplikationen.3
Liegen bereits kardiovaskuläre Risikofaktoren vor, ist die Wahrscheinlichkeit höher, infolge der Krebserkrankung oder Behandlung Einschränkungen der Herz-Kreislauf-Funktion zu erleiden. Vor einer potenziell kardiotoxischen Therapie empfehlen Fachleute daher eine Basisdiagnostik.
Wichtig zu wissen: Mithilfe der kardioonkologischen Basis-Evaluation lassen sich kardiovaskuläre Ereignisse bei Betroffenen vorhersagen. Im Detail kann das Ärzteteam
- einen Ausgangsbefund von Herz und Blutgefäßen erheben, den man vergleichen kann – etwa mit Veränderungen unter der Krebstherapie und im Lauf des Lebens,
- bislang unerkannte kardiovaskuläre Störungen aufdecken und gegebenenfalls behandeln beziehungsweise die onkologische Behandlung anpassen,
- veränderbare kardiovaskuläre Risikofaktoren frühzeitig identifizieren und modifizieren.
Kardioonkologische Basis-Evaluation: wie?
Ist eine potenziell herzschädigende onkologische Behandlung geplant, empfehlen Expertinnen und Experten die unten aufgeführte Diagnostik. Ziel ist, die individuelle kardiovaskuläre Ausgangssituation zu beurteilen. Bestenfalls sind die Untersuchungen schon im Vorfeld durchzuführen, ohne jedoch den Therapiebeginn zu verzögern.
- Die Anamnese kann das Behandlungsteam über kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Rauchen, Begleiterkrankungen – etwa eine Atherosklerose – und/oder über eine vorherige Krebserkrankung mit stattgehabter kardiotoxischer Therapie informieren.
- Anhand der körperlichen Untersuchung können Mediziner kardiologische Risikofaktoren wie zum Beispiel Übergewicht und Bluthochdruck feststellen.
- Mit Laborwerten wie Blutzucker, Lipidprofil und Nierenfunktion lassen sich weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren diagnostizieren.
- Mithilfe etablierter kardiologischer Risikoscores (Risk Factor Assessment) können Ärztinnen und Ärzte die Wahrscheinlichkeit für kardiovaskuläre Ereignisse abschätzen – ganz unabhängig von Krebskrankheiten.
- Mittels Elektrokardiographie (EKG) kann man zum Beispiel Herzrhythmusstörungen, eine verlängerte QT-Zeit und/oder abgelaufene Herzinfarkte erkennen.
- Mithilfe der Echokardiographie (kurz Herzecho) kann der Kardiologe die Herzklappen, das Perikard sowie die Pumpfunktion der linken Herzkammer (linksventrikuläre Ejektionsfraktion, LVEF) beurteilen. Empfindlicher als die LVEF und ein früher Marker für Kardiotoxizität ist die sogenannte Strain-Analyse (engl. Global Longitudinal Strain, GLS). Der GLS ist ein Maß dafür, wie gut sich die Herzmuskelwand der linken Herzkammer während der Anspannungsphase (Kontraktion) verkürzt.
- Bei unklarem Echokardiographie-Befund wird eine kardiale Magnetresonanztomographie (MRT) empfohlen. Mithilfe der Kardio-MRT lassen sich zusätzlich Gewebeveränderungen des Herzmuskels wie Ödem, Entzündung und/oder Fibrose darstellen.
- Zusätzlich sind kardiale Biomarker wie Troponin und natriuretisches Peptid im Blut als Prädiktoren des kardialen Risikos zu messen.
Kardiotoxizität von mehreren Faktoren abhängig
Häufigkeit und Ausmaß von Krebstherapie-assoziierten Toxizitäten auf Herz und/oder Blutgefäße hängen von verschiedenen Faktoren ab. Dazu gehören die Art der Behandlung, die Dosis, das Alter und ob Betroffene bereits kardiovaskuläre Begleiterkrankungen beziehungsweise Risikofaktoren aufweisen. Auch kardiotoxische Vortherapien sowie die Kombinationen von verschiedenen Risikofaktoren sind zu berücksichtigen.
Das Spektrum an Krebstherapien wird immer komplexer. Daher erhebt die Liste potenziell kardiotoxischer Krebstherapien in der Infobox keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ausführlichere Informationen finden sich in der Literatur im Quellenverzeichnis. Dort sind auch wissenschaftliche Hintergründe zu den verschiedenen Pathomechanismen sowie Handlungsempfehlungen zum Monitoring und Management kardiovaskulärer Toxizitäten nachzulesen.
Potenziell kardiotoxische Krebstherapien
- Strahlentherapie, wenn das Herz im Bestrahlungsfeld liegt und die Strahlendosis hoch ist (≥ 30 Gy)
- Chemotherapien, zum Beispiel Anthrazykline, Alkylantien, Fluoropyrimidine oder Platinderivate
- Zielgerichtete Therapien wie HER2-Antikörper, VEGF-Hemmer, BCR-ABL-Tyrosinkinase-Hemmer oder Proteasom-Hemmer
- Immuntherapien, beispielsweise Checkpoint-Hemmer oder CAR-T-Zellen
- Antihormonelle Therapien etwa bei Brust- oder Prostatakrebs