Linda Behringer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Cyber Valley
Ein Wissenschaftler-Team um Dr. Tian Qiu, Leiter der Cyber Valley Forschungsgruppe „Biomedizinische Mikrosysteme“, und Professor Peer Fischer vom Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart tragen entscheidend dazu bei, die komplexe Ausbildung von Chirurgen durch den Einsatz einer sehr realistischen Prostata-Attrappe zu verbessern. Sie entwickelten ein realistisches Modell, druckten es in 3D und ließen die Attrappe anschließend ein Ärzteteam der Universität Freiburg testen, die damit die operative Entfernung der Drüse simulierten.
Stuttgart/Freiburg – Angehende Piloten trainieren viele hundert
Stunden in einem Flugsimulator, bevor sie in ein echtes Flugzeug fliegen
dürfen. Im Gegensatz dazu haben Chirurgen nur sehr begrenzten Zugang zu
Simulatoren; und die, die es gibt, bieten keine ausreichend
realistischen Bedingungen. Um das Training von Chirurgen zu optimieren
und Ergebnisse quantitativ messbar zu machen, haben Grundlagenforscher
des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme und der Universität
Stuttgart das erste Organmodell entwickelt, mit dem Chirurgen eine
realistische transurethrale Resektion der Prostata simulieren können.
Die Attrappe besteht dabei aus Materialien, die sich wie echtes Gewebe
verhalten.
Sie gaben die Attrappe einem Ärzteteam der Urologie des
Universitätsklinikums Freiburg, das mit der gleichen Ausrüstung, mit der
solche Eingriffe normalerweise vorgenommen werden, am Prostatamodell
operierte. Dank der Attrappe konnten die Wissenschaftler zudem das
Ergebnis der Operation deutlich visualisieren (siehe Abbildung), was bei
echten Patienten unmöglich ist. Die Wissenschaftler haben nämlich ein
automatisiertes Bewertungssystem entwickelt, um angehenden Chirurgen
unmittelbar nach dem Training Feedback zu geben.
80% aller Männer leiden irgendwann an der Vergrößerung der Prostata, der
so genannten gutartigen Prostatahyperplasie (BPH). Die BPH kann
operativ behandelt werden, am häufigsten in einem minimal-invasiven
Verfahren, der sogenannten transurethralen Resektion der Prostata
(TURP). TURP ist ein chirurgischer Eingriff, bei der die Prostata über
die Harnröhre (Urethra) komplett oder teilweise entfernt wird. Während
der Operation wird ein starres Endoskop durch die Harnröhre des
Patienten eingeführt. Mittels einer sogenannten elektrischen
Hochfrequenz-Schlinge durchtrennt der Chirurg das Gewebe und verödet
gleichzeitig die Schnittstellen. Während das Innere der Prostata
entfernt wird, muss die periphere Zone erhalten bleiben. Ein erfahrener
Chirurg ist in der Lage, die inneren und äußeren Zonen anhand der
taktilen Rückmeldung des Endoskops und dem Aussehen des Gewebes zu
unterscheiden. Die Aneignung dieser Fähigkeit erfordert jedoch viel
Übung.
Die neue Prostata-Attrappe kann helfen, wertvolle Erfahrung zu sammeln:
An ihr kann der Chirurg lernen, ohne das Risiko einzugehen, einen Fehler
bei einem Patienten zu machen.
Das realistische Modell wurde im 3D-Druck hergestellt und anschließend
modelliert. Die Forscher verwendeten dafür spezielle biomimetische
Materialien, um die richtige Festigkeit, ein realitätsgetreues Aussehen
und Interaktion mit dem Operationsbesteck zu gewährleisten. Darüber
hinaus fügten die Forscher bildgebende Kontrastmittel hinzu, die erst
nach der Operation die beiden verschiedenen Zonen sichtbar machten.
Dadurch kann der Chirurg erstmals eine Rückmeldung über die Genauigkeit
der Resektion erhalten.
„Das künstliche Organ fühlt sich sehr realistisch an, die Operation
fühlt sich an wie eine an einem echten Patienten,“ sagt Professor
Arkadiusz Miernik, Oberarzt für Urologie und Sektionsleiter
Urotechnologie am Universitätsklinikum Freiburg. „Ich bin mir sicher,
solch ein Modell wird die chirurgische Ausbildung verändern. Im
Vergleich zu Kadaver- oder Tiermodellen ist es wesentlich angenehmer in
der Handhabung, spart Zeit und Geld und kann für spezielle Verfahren
ausgelegt werden. Und es liefert wertvolles Feedback, wie man seine
chirurgischen Fähigkeiten verbessern kann.“
Das Forscherteam um Tian Qiu, Leiter der Cyber Valley Forschungsgruppe
„Biomedizinische Mikrosysteme“ an der Universität Stuttgart, und Peer
Fischer, Professor für Physikalische Chemie an der Universität Stuttgart
und Leiter des „Mikro, Nano und Molekulare Systeme“ Labors am
Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart, entwickeln
noch weitere Organmodelle. Sie wollen damit auch andere chirurgische
Verfahren, einschließlich neuer Roboteroperationen, optimieren und
systematisch validieren. Ihr oberstes Ziel ist es, einen umfassenden und
realistischen chirurgischen Simulator zu entwickeln.
Publikation
Eunjin Choi, Fabian Adams, Stefano Palagi, Anina Gengenbacher, Daniel
Schlager, Philippe-Fabian Müller, Christian Gratzke, Arkadiusz Miernik,
Peer Fischer, Tian Qiu. A High-Fidelity Phantom for the Simulation and
Quantitative Evaluation of Transurethral Resection of the Prostate.
Annals Biomedical Engineering (2019). https://doi.org/10.1007/s10439-019-02361-7