Cannabinoide in Bürokratiefalle

Presseagentur Gesundheit (pag) 

Im Diskurs – Gesundheitspolitik 03.02.2021

Die DGS zieht Bilanz: Hinweise auf eine missbräuchliche Anwendung des Gesetzes lägen bisher nicht vor. „Dennoch wird etwa ein Drittel der Anträge zur Verordnung von Cannabinoiden von den Krankenkassen abgelehnt“, sagt DGS-Präsident Dr. Johannes Horlemann. Als Folge bleibe etwa die Hälfte der Patienten unversorgt. Die Antragsstellung werde durch erhebliche bürokratische Probleme erschwert, beklagt die DGS. Der verordnende Arzt und der Medizinische Dienst der Krankenversicherung hätten oft unterschiedliche Meinungen darüber, ob eine Cannabinoid-Therapie angebracht sei. In der Zwischenzeit müssten Patienten zu lange auf ihre Verordnung warten.

Schmerzmediziner und MDK häufig uneins
Besonders an zwei Punkten klaffen die Meinungen der involvierten Mediziner auseinander. Damit Cannabinoide verordnet werden dürfen, muss laut Gesetz (§ 31 Abs.6 SGB V) jede allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsoption – medikamentös oder nichtmedikamentös – ausgeschöpft worden sein. „Ein häufiges Problem in Antragsverfahren ist jedoch die der Verordnung zugrunde liegende Interpretation, welche theoretisch denkbaren Therapiealternativen der Patient erfolglos erduldet haben muss“, berichtet die DGS. Auch die Definition einer Schwere der Erkrankung und die Erwartung von Linderung durch Cannabinoide sind Objekt unterschiedlicher Interpretationen.
In einem gemeinsamen Eckpunktepapier gibt die DGS Empfehlungen zur angemessenen Versorgung mit Cannabioiden. Zu den Unterzeichnern gehören Vertreter von Fachgesellschaften, Krankenkassen und Politik. „Um die bürokratischen Hürden in der Antragstellung zu überwinden, ist eine Schiedsstelle oder die Ausweitung des Antragsverfahrens nicht zielführend. Nachregelungen des Gesetzes sind kaum umsetzbar“, heißt es in dem Papier.

Selektivvertrag mit AOK Rheinland/Hamburg
In diesem Jahr will die Fachgesellschaft Verhandlungen mit den Krankenkassen mit dem Ziel aufnehmen, eine Aufhebung des Genehmigungsvorbehaltes zu erwirken. Den Anfang macht ein Selektivvertrag mit der AOK Rheinland/Hamburg. Die Ärzte, die im Rahmen dieses Pilotprojekts Cannabinoide ohne Genehmigung der Krankenkasse verordnen dürfen, müssen zunächst eine 40-stündige curriculare Fortbildung der DGS absolvieren. „Das sehen wir als einen deutlichen Fortschritt und einen Abbau bürokratischer Hindernisse“, sagt Horlemann. Die Qualität der Verordnungen soll durch kontinuierliche Evaluationen sichergestellt werden. Laut Horlemann sind beide Vertragspartner daran interessiert, „dass die Versorgung mit Cannabinoiden auf seriöser Basis fortgesetzt wird“. Das Pilotprojekt könne noch im ersten Halbjahr starten und werde voraussichtlich auf AOKen deutschlandweit ausgeweitet. Ergänzend zu dem Pilotprojekt plant die Fachgesellschaft bis Ende des Jahres, ihre Praxisleitlinie „Cannabis in der Schmerzmedizin“ zu überarbeiten.

FDP legt Gesetzentwurf vor
Bei der FDP steht das Thema Cannabinoid-Verordnungen ebenfalls auf der Tagesordnung. Mit einem Gesetzentwurf will die Fraktion § 31 Abs.6 SGB V ändern. Die Erforderlichkeit einer Genehmigung stellt aus ihrer Sicht eine „nicht mehr adäquate Voraussetzung für die Verordnung von Cannabis“ dar. Insbesondere werde hier in die Therapiehoheit der Ärzte eingegriffen. „Ein völliger Wegfall der Genehmigung birgt aber das Risiko, dass Ärzten aufgrund der zu prüfenden Leistungsvoraussetzungen in schwierig gelagerten Fällen ein unbilliges Regressrisiko nach den §§ 106 –106c SGB V auferlegt wird“, heißt es in dem Entwurf weiter.
Darum will die Partei ein freiwilliges Genehmigungsverfahren einführen. Jeder Arzt soll selbst entscheiden, ob er zur Verhinderung möglicher Regressforderungen einen Antrag bei der Krankenkasse stellt. „Es ist Zeit, dass eine freiwillige Regressabsicherung an die Stelle verpflichtender Bürokratie tritt“, sagt der Fraktionssprecher für Sucht- und Drogenpolitik Dr. Wieland Schinnenburg. „Die Leistungsvoraussetzungen des § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V stellen bereits sicher, dass medizinisches Cannabis nur in eingeschränktem Rahmen verordnet werden kann.“

Das Eckpunktepapier “Angemessene Versorgung mit Cannabinoiden” vom 19. Januar 2021, 3 Seiten:
www.dgschmerzmedizin.de/fileadmin/dgs/Dokumente/PDF_oeffentlich/2021_01_19-Eckpunktepapier_Cannabis.pdf

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