Bluttests zur Krebsfrüherkennung noch nicht reif für die Praxis

Maren Schenk   Medizinische Nachrichten   07.02.2023

Weil große Hoffnungen in die Krebsdiagnose durch einen Tropfen Blut geweckt werden, hat das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg den Weltkrebstag am 4. Februar dazu genutzt, Ärzte und Patienten über den Stand der Forschung aufzuklären.

Welche Anforderungen an sinnvolle Bluttests gestellt werden, welche Herausforderungen bis zur Praxis-Reife bestehen und ob Bluttests eine Alternative zur gesetzlichen Krebsfrüherkennung darstellen können, erklärte Dr. Susanne Weg-Remers, Leiterin des Krebsinformationsdienstes (KID) auf einer DKFZ-Veranstaltung in Heidelberg.

Große Lücke bei der Früherkennung

Gesetzliche Krebs-Früherkennungsprogramme gebe es für fünf häufige Krebsarten (Prostata-, Gebärmutterhals-, Brust-, Haut- und Darmkrebs) und damit für ca. 45% der Krebs-Neuerkrankungen, so Weg-Remers, „aber 55% der Krebs-Neuerkrankungen erfasst die gesetzliche Früherkennung nicht, ebenso rund 73% der tödlichen Krebs-Erkrankungen“.

Mehrere Krebsarten zu erkennen versprechen u.a. die zwei Tests, die von der FDA als bahnbrechende Produkte („breakthrough device“) eingestuft wurden: der Galleri® Multi-Cancer Early Detection Test von der US-Firma Grail (2019) und der OverC™ Multi-Cancer Detection Blood Test von der chinesischen Firma Burning Rock (2023).

Es liegen zum Galleri®-Bluttest Publikationen vor, etwa von der Jahrestagung 2022 der Europäischen Gesellschaft für Medizinische Onkologie (ESMO). Doch dieser Test ist noch nicht geeignet für ein Krebs-Früherkennungsprogramm. Bis zum Einsatz in der Routine seien noch große Studien nötig, betonte Weg-Remers.

Entwicklungsstand von zwei Bluttests zur Krebsfrüherkennung

Mit dem Bluttest Galleri® können 11 Krebsarten erkannt werden. Die prospektive Screeningstudie Pathfinder erfasste 6662 Probanden, die älter als 50 Jahre waren. Bei 1,4% (n = 72) war der Test positiv, bei 27 Personen wurde Krebs bestätigt, davon 50% im Stadium I-II (Frühstadium). Der positive prädiktive Wert lag bei 43%, die Spezifität bei 99% (ESMO 2022; Medscape berichtete). Derzeit läuft die NHS-Galleri-Studie unter Real-World-Bedingungen: 140.000 Probanden in England (50 bis 77 Jahre) wurden in die Studie aufgenommen.

Mit dem Bluttest OverC™ Multi-Cancer Detection Blood Test können 6 Krebsarten erkannt werden (Ösophageal-, Leber-, Lungen-, Ovarial-, Darm- und Pankreaskarzinome). In der prospektive Fall-Kontroll-Studie Thunder wurden 856 Probanden im externen Validierungsset ausgewertet, davon ca. 50% Krebspatienten (50 bis 75 Jahre). Die Sensitivität lag bei bis zu 76% für alle Fälle, bis zu 69% für Fälle in Stadium I-III, die Spezifität bis zu 99% (ASCO 2022).

Der „Bluttest auf Brustkrebs“ der Heidelberger Firma HeiScreen wurde per Pressemitteilung im Februar 2019 angekündigt und endete in einem Skandal. Er sollte angeblich mit einer Sensitivität von 75% Brustkrebs mithilfe von Biomarkern im Blut erkennen – eine wissenschaftliche Publikation gab es noch nicht. Einige Führungspersonen verließen schließlich die Klinik (Medscape berichtete).

Anforderungen an Früherkennungsuntersuchungen

Verschiedene methodische Ansätze zur Krebsfrüherkennung in Blutproben werden derzeit entwickelt und in Studien erprobt: z.B. der Nachweis von zirkulierenden Tumorzellen, mRNA, microRNA, verschiedenen Metaboliten und extrazellulären Vesikeln. Am weitesten fortgeschritten sei der Nachweis von Methylierungsmustern zirkulierender, zellfreier Tumor-DNA (cfDNA) im Plasma – der auch bei den beiden genannten Tests verwendet wird, die mehrere Krebsarten nachweisen können.

Weg-Remers nannte die Anforderungen an Tests, um für die Früherkennung geeignet zu sein:

  • Untersuchung auf eine Krankheit, die für die Gesundheit der Bevölkerung von Bedeutung ist (Inzidenz, Morbidität, Mortalität);
  • Erkrankung muss bei früher Diagnose deutlich besser behandelbar oder heilbar sein (belegt durch aussagekräftige Studien!);
  • hohe Güte des Testverfahrens (Sensitivität, Spezifität, positiver prädiktiver Wert);
  • zeit- und kostengünstig, um bevölkerungsweit einsetzbar zu sein;
  • möglichst wenig belastend;
  • Vorteile müssen Nachteile überwiegen.

Allerdings gebe es, so Weg-Remers nicht „den perfekten Test, auch nicht bei den gesetzlichen Früherkennungen“.

Vorteile, aber auch Nachteile von Früherkennungsuntersuchungen

Außer den Vorteilen der Krebsfrüherkennung gibt es auch Nachteile, betonte Weg-Remers: Zu den Vorteilen gehört außer der Senkung von Inzidenz (durch erfolgreiche Behandlung von Vorstufen/Frühstadien) und von Morbidität (durch schonendere Therapie von Frühstadien) auch die Senkung der Mortalität. „Dieser harte Beweis des Nutzens, nämlich Lebenszeit zu gewinnen, muss durch große Studien erfolgen.“

Zu den Nachteilen gehören falsch-positive Befunde – und damit unnötige Untersuchungen, Beunruhigung – aber auch falsch-negative Befunde und trügerische Sicherheit. Oft fehlen auch noch Indikatoren für Tumore, die im Lauf des Lebens keine Probleme gemacht hätten, was zu Überdiagnosen und Übertherapien führen kann. Und außerdem können auch Intervallkarzinome zwischen zwei Früherkennungsuntersuchungen auftreten.

Aussagekraft von Güteparametern

Als Güteparameter einer Früherkennungsuntersuchung gelten Sensitivität, Spezifität und positiver prädiktiver Wert (gibt an, wie viele Personen mit positivem Testergebnis tatsächlich erkrankt sind) sowie negativer prädiktiver Wert. „Doch hierbei ist zu beachten, ob die Daten bevölkerungsrepräsentativ sind“, betonte Weg-Remers. „Denn die prädiktiven Werte können sich erheblich unterscheiden, je nachdem, ob man ein Screening bei Populationen mit hohem oder niedrigem Risiko durchführt.“

Dies erklärte die KID-Leiterin an einem Beispiel: Ein fiktiver Test mit einer Sensitivität von 90% und einer Falschalarmrate von 9% wird zum Krebsscreening von 1000 Personen verwendet. In einer Gruppe mit normalem Risiko erkranken 10 Personen an Krebs, in einer Gruppe mit hohem Risiko 100 Personen. Der positive prädiktive Wert beträgt dann 10% bei der Gruppe mit normalem Risiko (viele falsch-positive Testergebnisse), dagegen 53% bei der Gruppe mit hohem Risiko.

„Diese bessere Erfolgsbilanz hat man bei risikoadaptierten Screeningstrategien“, sagte Weg-Remers, wie sie derzeit z.B. zum Screening auf Lungenkarzinom diskutiert werden: nämlich CT-Untersuchungen nur bei Rauchern.

Große Studien nötig

Um Krebs bereits im Frühstadium durch Nachweis von krebsspezifischen Biomarkern im Blut zuverlässig zu erkennen, seien noch zahlreiche Herausforderungen zu bewältigen, erklärte Weg-Remers. So müssen die Tests eine hohe Sensitivität und Spezifität haben, vor allem für Frühstadien. Das Dilemma hierbei: Der Tumor muss groß genug sein, dass er Zellen, DNA oder Stoffwechselprodukte ins Blut abgibt. Dies ist aber im fortgeschrittenen Stadium wahrscheinlicher als im Frühstadium. Stichwort Heterogenität von Tumoren: Innerhalb eines Patienten und auch zwischen Patienten unterscheiden sich Krebszellen durch genetische Veränderungen – und damit auch die Marker.

Notwendig sind große Studien als Belege für den Nutzen der Tests: Eine Senkung der Krebsmortalität (und Morbidität) in der Screening-Gruppe muss nachgewiesen werden, ggf. im Vergleich zu konventionellen Untersuchungen. Solche Studien sind auch erforderlich, um Daten zu den Nachteilen der Tests zu erhalten – wie die Häufigkeit falsch-positiver und falsch-negativer Ergebnisse sowie die Zahl der Überdiagnosen. Daher müssen die Studien langfristig angelegt sein und mehrere Zehn- bis Hunderttausende Probanden umfassen.

Versorgungsrealität

„Bluttests zur Krebsfrüherkennung müssen außerdem in die Versorgungsrealität eingebettet sein“, so Weg-Remers. Sinnvoll sei, Hochrisiko-Kollektive zu identifizieren, die besonders von Bluttests profitieren könnten.

„Geklärt werden muss auch, welche weitere Diagnostik nach positiven Bluttests möglich ist: Wie finden wir den Tumor, ohne die Patienten unnötig zu belasten?“ Die Entwicklung diagnostischer Algorithmen nach einem positiven Test sei daher nötig – ebenso von Follow-up-Algorithmen nach positivem Test ohne nachfolgenden Krebsnachweis. Denn: „Wie versorgen wir Menschen mit einem positiven Bluttest, bei denen wir keinen Tumor nachweisen können? Dies ist noch völlig ungeklärt“, so die Ärztin. Eventuell sei hier eine psychologische Betreuung notwendig.

„Erste Studien zu Tests, mit denen krebsspezifische Biomarker im Blut nachgewiesen werden, zeigen eine hohe Spezifität. Aber es sind weitere prospektive Studien unter Real-World-Bedingungen erforderlich“, betonte Weg-Remers. „Vielversprechend ist wahrscheinlich der Einsatz im risikoadaptierten Screening, also in Bevölkerungsgruppen mit erhöhtem Risiko“, so die Ärztin.

„Solche Bluttests zur Krebsfrüherkennung sind derzeit keine Alternative zur gesetzlichen Krebsfrüherkennung“, betonte Weg-Remers in ihrem Fazit. „Ein verfrühter Einsatz und die zum Teil schon stattfindende Direktvermarktung bergen eine Reihe von Risiken.“

Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Medscape.de