Biontech arbeitet an über zwanzig Medikamenten gegen Krebs

Biontech arbeitet an über zwanzig Medikamenten gegen Krebs. Der Mediziner und Fondsmanager Markus Manns erklärt, wo es Hoffnung gibt, welche Präparate die besten Chancen haben – und wo es noch hakt.

Bild:  dpa Picture-Alliance

WirtschaftsWoche: Herr Manns, Biontech investiert seine Corona-Milliarden vor allem in die Entwicklung neuer Krebspräparate. Wann rechnen Sie mit dem ersten Medikament?
Markus Manns: Biontech-Chef Ugur Sahin hat angekündigt, das erste Krebsmedikament 2026 auf den Markt zu bringen. Das halte ich für sehr ambitioniert. Aber auch eine Markteinführung in 2027 oder 2028 wäre schon ein großer Erfolg.   

Biontech entwickelt derzeit über zwanzig Krebspräparate, eine erstaunliche Zahl. Welches schafft es als erstes auf den Markt?
Die meisten Medikamenten-Kandidaten befinden sich noch in einem frühen Entwicklungsstadium. Relativ weit fortgeschritten ist ein Tumor-Impfstoff gegen Darmkrebs; dazu läuft bereits eine potentiell zulassungsrelevante Studie. Kürzlich hat Biontech auch von anderen Unternehmen zwei Kandidaten einlizenziert, die sich in der letzten Studienphase befinden – ein Mittel gegen Lungenkrebs sowie eines gegen Brustkrebs. Beide werden allerdings vom Kapitalmarkt eher skeptisch beäugt. Biontech hat dafür relativ wenig Geld bezahlt. Beide Präparate sind in China entwickelt worden, was nicht gerade als medizinisches Powerhouse gilt. Und in beiden Fällen ist nicht klar, was der Vorteil gegenüber bereits zugelassenen Medikamenten sein soll. Das Lungenkrebs-Präparat konkurriert gegen das Mittel Yervoy des US-Konzerns Bristol Myers Squibb, das Brustkrebsmittel gegen Enhertu von Astra Zeneca. Alleine für Enhertu werden Spitzenumsätze von zehn Milliarden Euro prognostiziert. Sollte einer der beiden Wirkstoffe einen Vorteil gegenüber den bereits zugelassenen Medikamenten zeigen, dann würde Biontech mit einem Schlag in der obersten Liga mitspielen.

Kürzlich hat Biontech auf einem Krebskongress in San Diego hoffungsvolle Ergebnisse für ein Mittel gegen Bauchspeicheldrüsenkrebs vorgestellt. Was halten Sie davon?
Menschen mit Bauchspeicheldrüsenkrebs haben eine besonders schlechte Überlebensprognose. In einer Studie verhinderte das Biontech-Medikament bei vierzig Prozent der Patienten innerhalb von drei Jahren das Wiederauftreten des Tumors. Das klingt vielversprechend, zumal dies mit den bisherigen Therapien nur bei etwa zwanzig Prozent der Patienten gelingt. Allerdings wurden insgesamt nur 16 Patienten untersucht, auch eine Kontrollgruppe fehlt. Daher sind die Ergebnisse nur begrenzt aussagefähig. Inzwischen hat Biontech eine größere Studie an insgesamt 260 Patienten begonnen. Sollten die Daten in einer größeren Studie bestätigt werden, dann wäre dies ein wissenschaftlicher Durchbruch und würde ein neues Zeitalter in der Krebstherapie einleiten.  

Wie bewerten Sie insgesamt die Krebs-Pipeline von Biontech?
Die Pipeline ist groß, sehr innovativ und breit. Mit Roche hat man einen exzellenten Partner für die Tumor-Impfstoffe gefunden. Es geht aber, wie bei vielen Medikamentenentwicklungen, nur langsam voran. So sind die Ergebnisse einer Hautkrebs-Studie bereits seit über einem Jahr überfällig. Viele Investoren gehen inzwischen davon aus, dass die Studie scheitern wird. Rückschläge sind bei innovativen Unternehmen aber nicht unüblich.

Die Biontech-Gründer Özlem Türeci und Ugur Sahin setzen auf zahlreiche Technologien, um Krebs zu bekämpfen – von mRNA-Impfstoffen über Zelltherapien bis hin zu Kombinationen aus Antikörpern und Zellgiften. Ist das zu viel?
Nein. Die Idee ist, wie bei der Bekämpfung von HIV, verschiedene Technologien zu kombinieren, etwa einen mRNA-Impfstoff mit einer Zelltherapie. Dadurch soll die Wirksamkeit erhöht und Resistenzbildungen vermieden werden. Die Frage ist allerdings, ob das für die Gesundheitssysteme noch bezahlbar ist, wenn verschiedene teure Therapien gleichzeitig zur Anwendung kommen. Das könnte noch zum Problem werden. Biontech kann die Entwicklung seiner Therapien mit einen Bankguthaben von 17 Milliarden Euro auf jeden Fall die nächsten Jahre finanzieren.

Wie hoch ist denn die Erfolgswahrscheinlichkeit?
In diesem Stadium der Medikamenten-Entwicklung besteht eine circa 40- bis 50-prozentige Chance für eine erfolgreiche Entwicklung.

Was können neue Tumor-Impfstoffe bewirken?
Tumor-Impfstoffe werden für jeden Patienten anhand einer Tumorprobe individuell hergestellt und wirken vor allem gegen kleine Metastasen wirken, die mit den heutigen ärztlichen Mitteln nicht sichtbar sind. Die körpereigenen Abwehrkräfte, die durch die Impfung aktiviert werden, richten sich dann vor allem gegen sogenannte Mikrometastasen, die nur aus einigen Tumorzellen bestehen. Das ist ein großer Fortschritt. Bei radiologisch sichtbaren Metastasen, die deutlich mehr Tumorzellen enthalten, tun sich die Impfstoffe offensichtlich schwerer.

Im Kampf um die Corona-Impfstoffe haben sich Biontech und der US-Konkurrent Moderna ein Duell geliefert. Beide konkurrieren auch um Krebspräparate. Wer liegt jetzt vorn?
Moderna hat gegenüber Biontech bei Tumorimpfstoffen einen Vorsprung von ein bis zwei Jahren. Bei Moderna laufen bereits finale Studien zu Haut- sowie Lungenkrebs. Das Unternehmen hofft hat angekündigt, dass der Hautkrebs-Impfstoff 2025 auf dem Markt sein könnte. Damit wären die Amerikaner schneller als Biontech. Allerdings konzentriert sich Moderna ausschließlich auf Tumor-Impfstoffe auf mRNA-Basis. Biontech nutzt auch die zahlreichen anderen Technologien. Wir werden sehen, welcher Ansatz besser ist. Der Markt ist auf jeden Fall groß genug für beide Unternehmen. 

WiWo