Alternative Medizin: Keine Alternative bei Krebs

Dtsch Arztebl 2020; 117(10): A-498 / B-427 Eckert, Nadine

Gerade in der Onkologie haben Patienten häufig den Wunsch nach einer sanfteren Alternative zu der stark belastenden konventionellen Therapie. Doch die Inanspruchnahme alternativmedizinischer Verfahren kann dazu führen, dass evidenzbasierte Behandlungen nicht rechtzeitig erfolgen.

Alternative Methoden wie die Homöopathie können für Krebspatienten eine Gefahr darstellen, wenn dafür die konventionelle onkologische Therapie vernachlässigt wird. Foto: picture alliance/SZ Photo
Alternative Methoden wie die Homöopathie können für Krebspatienten eine Gefahr darstellen, wenn dafür die konventionelle onkologische Therapie vernachlässigt wird. Foto: picture alliance/SZ Photo

Manche Patienten suchen nach einer Möglichkeit, die Nebenwirkungen der Chemotherapie zu lindern, andere sehen alternativmedizinische Verfahren als letzten Strohhalm, wenn die Schulmedizin bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen keine Besserung mehr verspricht. In Zeitschriften, Büchern und im Internet werden die Verfahren mit Wohlfühlattributen wie natürlich, ganzheitlich oder biologisch beworben. Und selbst wenn Homöopathie, Ayurveda, Zen-Meditation, Immunstärkung, Krebsdiäten oder Nahrungsergänzungsmittel nicht helfen sollten, „schaden kann es ja nix“, lautet häufig die Devise.

„Aber das stimmt nicht“, sagte Prof. Dr. med. Jutta Hübner, Stiftungsprofessorin für Integrative Onkologie am Universitätsklinikum Jena, beim diesjährigen Krebskongress in Berlin. Die Nutzung alternativmedizinischer Verfahren könne dazu führen dass die Einleitung einer wirksamen Therapie verzögert oder verhindert werde. Und das verschlechtere die Chancen der Patienten. Eine 2018 im Journal of the National Cancer Institute veröffentlichte Studie zeigt, dass eine alleinige alternativmedizinische Behandlung im Vergleich zu einer konventionellen Krebstherapie die Mortalität von Patienten mit nichtmetastasierten Karzinomen um das 2,5-Fache erhöht, beim Mammakarzinom sogar fast um das 6-Fache.

Erhöhtes Sterberisiko

Dass behandelbare Tumoren nur alternativmedizinisch, gänzlich ohne konventionelle Therapie behandelt würden, sei selten, räumen die Studienautoren ein, doch es erhöhe das Sterberisiko der Patienten drastisch. Aber viele Patienten hoffen, sich durch den Einsatz komplementärer Verfahren zusätzlich zur konventionellen Therapie etwas Gutes tun zu können. Für Hübner ist das nur allzu verständlich: „Die Patienten wollen selber etwas zu ihrer Genesung beitragen und da gibt es neben ausreichend Bewegung und gesunder Ernährung in der Onkologie nicht viel“, sagte die Onkologin.

Zur Nutzung alternativ- und komplementärmedizinischer Verfahren in der Onkologie liegen kaum epidemiologische Daten vor. Die Erhebung wird erschwert durch eine uneinheitliche Definition des Begriffs „alternative Medizin“, die mangelnde Abgrenzung zur komplementären Medizin und die häufige Verwendung des Sammelbegriffs „Alternative und Komplementäre Methoden (KAM)“.

Alternative Medizin und komplementäre Medizin unterscheiden sich dadurch, das die erstere anstatt einer konventionellen Therapie verwendet wird, während komplementäre Methoden begleitend zur konventionellen Therapie eingesetzt werden, erklärte die auf Patientenkommunikation und Ernährung bei Krebs spezialisierte Ökotrophologin Karin Kastrati, Wöllstadt, in Berlin. In Befragungen variieren die KAM-Nutzerzahlen bei onkologischen Patienten zwischen 30 und 90 Prozent. Klar sei, so Kastrati, dass „die Nachfrage da ist, deshalb müssen die Patienten darüber aufgeklärt werden, dass Komplementärmedizin in Absprache mit dem behandelnden Arzt Sinn machen kann, Alternativmedizin aber nicht“.

Auch Hübner betonte die Bedeutung der Patientenaufklärung, warnte aber: „Wer dem Patienten, der sich für alternativmedizinische Methoden interessiert, sofort sagt, dass das alles Unsinn ist, hat schon verloren.“ Sie riet, den Impuls des Patienten wahrzunehmen, Vertrauen aufzubauen und dann mit Fakten zu überzeugen.

Beliebte Kügelchen

Die Frage nach Fakt oder Fiktion stellt sich auch bei dem beliebtesten alternativmedizinischen Verfahren in Deutschland, der Homöopathie. Mehr als die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung hat schon einmal homöopathische Mittel verwendet.

2017 sei mit Homöopathie in Deutschland ein Umsatz von 629 Millionen Euro gemacht worden, berichtete Dr. med. Natalie Grams, Leiterin des Informationsnetzwerks Homöopathie, einem Zusammenschluss von Experten verschiedener Fachrichtungen, die „ein Gegengewicht zu der massiven Fehlinformationen zur Homöopathie in der Öffentlichkeit“ schaffen wollen.

„Fast 75 Prozent der Deutschen haben falsche Vorstellungen von Homöopathie, nur 17 Prozent sind informiert, was Homöopathie wirklich ist“, so Grams, die selbst mehrere Jahre als Homöopathin tätig war, mittlerweile aber aufgrund der fehlenden wissenschaftlichen Grundlage ihre Ansichten dazu revidiert hat.

Tatsächlich verwechseln viele Menschen Homöopathie mit einer auf pflanzlichen Wirkstoffen beruhenden Therapie. Auch in den Medien wird auf dieser Unterschied häufig nicht geachtet. Doch anders als bei naturheilkundlichen Verfahren, die auf die Wirkung pflanzlicher Inhaltsstoffe setzen, ist in Homöopathika kein (nachweisbarer) Wirkstoff enthalten. „Globuli bestehen zu 100 Prozent aus Saccharose und zu 0 Prozent aus dem Ausgangsstoff“, betonte Grams.

Auf die Patienten wirken homöopathische Mittel jedoch wie echte Medikamente: Denn sie sind in der Apotheke erhältlich und bedürfen der Zulassung. Angesichts der Beliebtheit der Homöopathie könnte man dies sogar nutzen, etwa für eine Placebotherapie, schlug Grams vor. Auch an die Tatsache, dass Patienten von einer „sprechenden Medizin“ profitieren, wird die Schulmedizin immer wieder erinnert, wenn Patienten mitunter begeistert von ihren Erfahrungen beim Heilpraktiker berichten. Die Anbieter homöopathischer Therapien stehen dem allerdings ablehnend gegenüber. Für sie sei die Homöopathie keine Gesprächstherapie, sondern „eine Arzneitherapie, deren wichtigstes Kennzeichen die gezielte Arzneimittelwahl mithilfe der Ähnlichkeitsregel ist“, sagte Grams.

Ob diese gezielte Auswahl Sinn ergibt, damit haben sich mittlerweile fast 6 000 Publikationen beschäftigt. Verlässliche Evidenz, dass Homöopathie bei irgendeiner Erkrankung wirkt, ist dennoch Mangelware. Zu diesem Fazit kam zum Beispiel 2015 ein Review des National Health and Medical Research Council, Australiens wichtigste Finanzierungsstelle für medizinische Forschung.

Dessen Autoren warnen davor, Homöopathie bei chronischen, ernsthaften und potenziell ernsthaft werdenden Erkrankungen anzuwenden: „Menschen, die sich für Homöopathie entscheiden, riskieren ihre Gesundheit, wenn sie dafür Behandlungen ablehnen oder verzögern, für die es verlässliche Evidenz gibt.“

Dass komplementäre Therapieverfahren in der Onkologie eine Gefahr darstellen können, belegt eine 2018 in JAMA Oncology publizierte Studie. Darin verweigerten von den Patienten, die auf komplementäre Verfahren setzten, 7 % eine empfohlene Operation, 34 % eine Chemotherapie und 53 % eine Bestrahlung. Die Autoren: „Patienten mit heilbaren Tumoren können wichtige Behandlungen versäumen, wenn sie auf komplementäre Verfahren setzen. Ärzte sollten eindringlich davon abraten.“

Falsches Signal Kassenleistung

Bereits ein Jahr zuvor hatte der European Academies Science Advisory Council davor gewarnt, dass die Anwendung von Homöopathie Gefahren berge und die EU und ihre Mitgliedstaaten aufgefordert, Homöopathika nicht als Arzneimittel zuzulassen und nicht von den Krankenkassen erstatten zu lassen . Denn dies sende ein falsches Signal an die Patienten.

„Der schöne Schein des weißen Nichts trügt und schadet nicht nur onkologischen Patienten“, betonte Grams. Angesichts der Tatsache, dass auch in Deutschland gesetzliche Krankenkassen damit werben, homöopathische Behandlungen zu erstatten, plädierte sie für eine sinnvollere Verwendung der Ressourcen: „Wir sollten wieder Gesprächsziffern haben, die ähnlich gut vergütet werden wie Homöopathie.“

Nadine Eckert

Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit1020