Barcelona – Radiopharmazeutische Therapien sind in der Onkologie noch nicht so häufig zu finden. Beim Prostatakarzinom gibt es aber eine Reihe von Ansätzen, die auch schon in die Klinik vorgedrungen sind.
Bei der Jahrestagung der European Society of Medical Oncology (ESMO) in Barcelona wurden 2 randomisierte Studien vorgestellt, in denen ein an PSMA-Liganden gebundenes Radioisotop sich in fortgeschrittenen wie in frühen Stadien den herkömmlichen Behandlungsoptionen überlegen zeigte (ESMO 2024, AbstractLBA65; Abstract LBA66).
Nuklearmedizinische Behandlungsoptionen gewinnen in den vergangenen Jahren beim Prostatakarzinom immer mehr an Bedeutung. Das Isotop Lutetium-177 (177Lu) ist ein Beta-Strahler, der an einen niedermolekularen Liganden für das Prostata-spezifische Membranantigen (PSMA) gekoppelt (z. B. 177Lu-PNT2002), an die Tumorzellen bindet und seine Strahlung punktgenau dort abgibt.
In die Phase-III-Studie SPLASH, die Oliver Sartor von der Mayo Clinic in Rochester, Minnesota, in Barcelona präsentierte, wurden 412 Patienten mit einem kastrationsresistenten metastasierten Prostatakarzinom eingeschlossen (Abstract LBA65).
Sie waren nach Gabe eines Inhibitors des Androgenrezeptor-Signalwegs (ARPI) rezidiviert, und ihre Tumoren mussten in der Positronenemissions-Tomographie (PET) positiv für PSMA sein. Sie wurden im Verhältnis 2:1 randomisiert, mit 177Lu-PNT2002 (6,8 GBq alle 8 Wochen intravenös für bis zu 4 Zyklen) oder mit einem weiteren ARPI behandelt.
Primärer Endpunkt war das radiologische progressionsfreie Überleben, das verblindet nach den RECIST-1.1-Kriterien (Response Evaluation Criteria In Solid Tumors) bestimmt wurde. Weitere bedeutsame Endpunkte waren zum Beispiel das Gesamtüberleben und die objektive Ansprechrate sowie Lebensqualitätsindikatoren; ein Crossover nach Progression unter dem alternativen ARPI war gestattet.
Radiotherapie verlängert progressionsfreies Überleben
Beim primären Endpunkt war die Radiotherapie signifikant überlegen: Das radiologisch festgestellte progressionsfreie Überleben war im Median um mehr als die Hälfte verlängert (von 6,0 auf 9,5 Monate; Hazard Ratio 0,71; 95-%-Konfidenzintervall 0,55–0,92; p = 0,0088).
Das galt für alle untersuchten Subgruppen, nicht aber für das Gesamtüberleben, das unter 177Lu-PNT2002 bei 20,8 Monaten lag, im Kontrollarm aber noch nicht erreicht war (HR 1,11; 95-%-KI 0,73–1,69; p = 0,615); das verwundert aber nicht, da die Crossover-Rate vom Kontroll- in den experimentellen Arm mit 84,6 % sehr hoch war.
Wenn für dieses Crossover mit verschiedenen statistischen Methoden korrigiert wurde, resultierten Werte für die Hazard Ratio zwischen 0,68 und 0,85, die allerdings noch keine statistische Signifikanz erreichten; das Gesamtüberleben werde weiter verfolgt, so Sartor.
Beim Gesamtansprechen war die nuklearmedizinische Therapie mit 38,1 % versus 12,0 % ebenfalls überlegen (p = 0,0021), genauso beim PSA50-Ansprechen (35,7 % vsersus 14,6 %; p = 0,0001). Auch bezüglich der Lebensqualität profitierten die Patienten davon: Beim FACT-P-Gesamtscore dauerte es hier median 8,1 Monate bis zu einer Verschlechterung, im Kontrollarm trat diese schon nach median 5,3 Monaten ein (HR 0,59; 95%-KI 0,44–0,80; p = 0,0005).
Auch die Verträglichkeit war mit der Radiotherapie besser: Behandlungsbedingte Nebenwirkungen vom Grad 3 oder höher wurden hier bei 30,1 %, im Kontrollarm bei 36,9 % der Patienten registriert, abgebrochen werden musste die Behandlung deswegen in 1,9 % versus 6,2 % der Fälle. Die häufigsten Nebenwirkungen von 177Lu-PNT2002 waren Fatigue, Mundtrockenheit und Nausea.
Radiopharmazeutikum auch in frühen Stadien wirksam
In der randomisierten Phase-II-Studie UpFrontPSMA wurde ein weiteres, auf Lutetium-177 und PSMA basierendes Radiotherapeutikum, 177Lu-PSMA-617, in der Therapiesequenz des metastasierten Prostatakarzinoms noch viel weiter nach vorne genommen (Abstract LBA66): Dieses Medikament hat sich bereits bei kastrationsresistenten Tumoren bewährt.
Hier wurden 130 Patienten mit noch hormonsensitiven Tumoren und hoher Tumorlast eingeschlossen, die normalerweise parallel zu einer Androgendeprivations-Therapie (ADT) Docetaxel erhalten können. Sie wurden randomisiert, so Arun Azad vom Peter MacCallum Cancer Center im australischen Melbourne, zusätzlich zur ADT, die vor weniger als 4 Wochen begonnen hatte, entweder Docetaxel oder 2 Zyklen 177Lu-PSMA-617 (7,5 GBq) zu erhalten, das dann von Docetaxel gefolgt wurde. Primärer Endpunkt war ein Verschwinden des PSA (≤ 0,2 ng/ml) nach 48 Wochen.
Der Anteil der Patienten, bei denen PSA nach 48 Wochen nicht mehr nachweisbar war, wurde durch die eingeschobene Radiotherapie weit mehr als verdoppelt (41 % versus 16 %; Odds Ratio 3,9; p = 0,002). Ein sekundärer Endpunkt war das progressionsfreie Überleben, gemessen an einem Anstieg des PSA.
Auch hier war die Strahlentherapie mit median 30 versus 21 Monaten überlegen (HR 0,60; 95-%-KI 0,4-1,0; p = 0,039), beim radiologisch bestimmten progressionsfreien Überleben zumindest numerisch (Medianwert nicht erreicht versus 22 Monate; HR 0,58; 95%-KI 0,3–1,0; p = 0,067).
Ähnliches galt für die Zeit bis zum Eintritt einer Kastrationsresistenz (median 20 versus 16 Monate; HR 0,60; 95-%-KI 0,4-1,0; p = 0,033). Nebenwirkungen vom Grad 3 oder 4 traten bei 29 % bzw. 27 % der Patienten auf und waren von der für Docetaxel typischen Art.
Diese Daten, so Azad, die zeitgleich mit der ESMO-Präsentation auch in Lancet Oncology publiziert wurden (DOI: 10.1016/S1470-2045(24)00440-6), stützen erstmals auf randomisierter Basis die sequentielle Anwendung von 177Lu-PSMA-617 und Docetaxel bei Patienten mit neu diagnostiziertem hormonsensitivem Prostatakarzinom und hoher Tumorlast. Es gelang, das klinische Ergebnis deutlich zu verbesseren, ohne die Toxizität nennenswert zu erhöhen. Überprüft werden diese Daten nun in der Phase-III-Studie PSMAddition (ClinicalTrials.gov, NCT04720157). © jfg/aerzteblatt.de