17.11.2021
Radioligandtherapie verlängert Überlebenszeit und verbessert Lebensqualität
Berlin, November 2021 – Metastasierter Prostatakrebs ist nach wie vor unheilbar. Zwei neue Studien zeigen jedoch, dass die Radioligandtherapie (RLT) die Erkrankung auch dann noch erfolgreich zurückdrängen kann, wenn Patienten im fortgeschrittenen Stadium auf andere Behandlungen wie Medikamente, Hormon- oder Chemotherapie nicht mehr ansprechen. „Die RLT verlängert das Leben aktuellen Erkenntnissen zufolge um mehrere Monate“, sagt Dr. med. Norbert Czech vom Berufsverband Deutscher Nuklearmediziner e. V. (BDN). „Die Patienten spüren weniger Schmerzen und haben wieder Appetit.“ Ob eine RTL anschlagen wird, lässt sich am besten über eine PSMA-PET/CT ermitteln. Ist dies gegeben, können gesetzlich Versicherte die nebenwirkungsarme Therapie als Heilversuch in Anspruch nehmen. Experten erwarten, dass die RLT bald regulär zugelassen wird.
Die RLT – auch Radionuklidtherapie genannt – ist eine nuklearmedizinische Behandlung, die in Deutschland entwickelt wurde und seit 2011 Anwendung findet. Sie ist zur Therapie aller Tumore und Metastasen geeignet, die das prostataspezifische Membran-Antigen (PSMA) auf der Oberfläche der Krebszellen aufweisen. „Ob das der Fall ist, kann eine PSMA-PET/CT-Untersuchung ermitteln“, erläutert Czech. Eine PSMA-PET/CT kommt infrage, wenn Patienten die folgenden Voraussetzungen erfüllen: Das Prostatakarzinom hat sich trotz Operation, Bestrahlung, Hormonentzugstherapie und moderner Medikamente weiterentwickelt, was sich am ansteigenden PSA-Wert ablesen lässt. „Wo die PSMA-Untersuchung angeboten wird, erfragen Patienten am besten in nuklearmedizinischen Zentren mit PET/CT“, rät der Bremer Nuklearmediziner.
Ob ein Patient eine Radionuklidtherapie erhält, entscheidet dann ein interdisziplinäres Tumorboard. Geben die Medizinexperten grünes Licht, wird dem Patienten eine radioaktive Therapiesubstanz in die Vene injiziert: Eiweißmoleküle, die mit dem Betastrahler Lutetium-177 markiert sind. Das PSMA auf den Tumorzellen zieht die Eiweißmoleküle wie ein Magnet an, und die Strahlung des Lutetium-177 schädigt die bösartigen Zellen. „Es handelt sich im Prinzip um eine punktgenaue Bestrahlung von innen, die sich direkt gegen die Krebszellen richtet, das gesunde Gewebe nicht schädigt und kaum Nebenwirkungen hat“, erläutert der Bremer BDN-Experte Czech. In der Regel erhalten die Patienten vier RLT-Zyklen im Abstand von etwa acht Wochen.
Studien, die in diesem Jahr veröffentlicht wurden, bestätigen jetzt die Erfahrungen bisheriger Untersuchungen und Anwendungen, wonach eine RLT mit Lutetium-177 die Metastasen bei austherapierten Prostatakrebspatienten für weitere Monate zurückdrängen und das Überleben verlängern kann. So kommt die randomisierte, prospektive Phase-3-Studie VISION (1) mit 831 Patienten zu dem Ergebnis, dass sich das durchschnittliche Gesamtüberleben durch eine Lutetium-177-Therapie um vier Monate verlängert: Während das mediane Gesamtüberleben bei Patienten, die mit Lutetium-177-Therapie plus Standardtherapie behandelt wurden, 15,3 Monate betrug, belief sich diese Zeitspanne auf nur 11,3 Monate bei Patienten, die einzig die Standardtherapie erhielten. Die Autoren plädieren dafür, die RLT mit Lutetium-177 in die klinische Routine zu übernehmen.
Ob und wie gut eine RLT anschlagen wird, sagt eine PSMA-PET/CT acht bis zehn Wochen nach dem zweiten RLT-Zyklus mit großer Zuverlässigkeit voraus. Dies zeigt eine weitere Studie, die in diesem Jahr erschien (2). „Zentrale Ergebnisse unserer Untersuchung lauten: 75 Prozent der Patienten sprechen auf eine RLT an und gewinnen damit zusätzliche Lebenszeit, die bis zu zwölf Monate betragen kann“, erläutert Studienautor Norbert Czech. „Und: Diese Patienten können wir mithilfe der PSMA-PET/CT präzise herausfiltern.“ Für die weitere Therapieplanung sei eine solche Information wichtig. „Denn man muss andere Wege gehen, etwa eine Chemotherapie oder eine Behandlung mit Alpha-Strahlen erwägen, wenn ein Patient von der RLT nicht profitiert“, führt der Nuklearmediziner aus (3).
Insgesamt ist die RLT aus Sicht des BDN-Experten ein großer Gewinn für Patienten mit metastasiertem Prostatakrebs: „Die Nebenwirkungen der RLT wie Mundtrockenheit und Müdigkeit sind gering.“ Gleichzeitig sei der Gewinn an Lebensqualität durch deutliche Schmerzreduktion und wiedergewonnenen Appetit groß. „Es ist beruhigend, dass wir über eine solche lebensverlängernde Option verfügen“, resümiert Czech.