Philipp Karschuck, Johannes Huber et al.
Die Entscheidungshilfe Prostatakrebs hat sich als Alternative zu herkömmlichen Broschüren etabliert. Als Online-Information unterstützt sie die leitliniengerechte Behandlungsentscheidung vor einer möglichen lokalen Behandlung bei Patienten mit der Erstdiagnose eines Prostatakarzinoms (PCa). Erste Daten aus der Post-Market Surveillance zeigen eine Senkung von Entscheidungskonflikt und Stress sowie eine Verbesserung des Wissens bei den Patienten.

Die Entscheidungshilfe Prostatakrebs ist ein Online-Informationsangebot für Patienten mit neu diagnostiziertem PCa vor möglicher lokaler Therapie. Seit 2016 haben über 22.000 Patienten und zuletzt über 80 neue Patienten pro Woche dieses Angebot der Urologischen Stiftung Gesundheit (USG) genutzt. Etwa 700 Praxen und Kliniken in ganz Deutschland nutzen diesen Service bereits regelmäßig.
Nutzerbefragung und EvEnt-PCa-Studie
Das Projekt Entscheidungshilfe Prostatakrebs wird wissenschaftlich intensiv begleitet und bietet eine gute Evidenzbasis für eine Empfehlung des Angebotes an geeignete Zielgruppen. Unsere Auswertung aus der Perspektive von n = 11.290 Patienten und n = 91 Urologinnen und Urologen, die die Entscheidungshilfe zwischen Juni 2016 bis Dezember 2020 nutzten, zeigte ein sehr hohes Maß an Akzeptanz und eine Zufriedenheit mit dem Angebot von 87,7 % [1]. Außerdem wurden Vorteile bei der gemeinsamen Entscheidungsfindung und der Zeiteffizienz deutlich.
Die Ergebnisse der multizentrischen randomisierten-kontrollierten Evaluationsstudie (EvEnt-PCa, n = 1.115, bundesweit 116 urologische Studienzentren) zeigen eine Reihe von strukturellen Verbesserungen für den Behandlungsprozess beim nicht metastasierten PCa [2]. Wir verglichen 988 auswertbare Studienteilnehmer, 1 : 1 zugeteilt zur Nutzung der Online-Entscheidungshilfe oder zum Gebrauch einer Broschüre aus dem Leitlinienprogramm Onkologie.
Die Entscheidungshilfe Prostatakrebs verkürzt das Aufklärungsgespräch, stärkt die Patientenbeteiligung und mehr Patienten bringen eine Zusammenfassung ihrer Vorbereitung zum ärztlichen Gespräch mit. In der Interventionsgruppe konsultieren die Patienten mehr Ärztinnen und Ärzte zur Entscheidungsfindung, wobei dies die hausärztliche und strahlentherapeutische Beratung betrifft. Entsprechend werden die Möglichkeit der Strahlentherapie und deren Vor- und Nachteile stärker besprochen. Eine Verbesserung zeigt sich auch bei der Information zu Unterstützungsangeboten (Rehabilitation, Psychoonkologie) und der Thematisierung der mittleren Lebenserwartung (Leitlinienempfehlung).
Post-Market Surveillance
Seit 2021 ist die Entscheidungshilfe Prostatakrebs als Medizinprodukt registriert und erfüllt damit hohe Qualitätskriterien. Die Sicherheit und den Nutzen des Medizinproduktes haben wir in einer aktuellen Post-Market Surveillance nachgewiesen. Wir befragten die Nutzer mit identischen Instrumenten unmittelbar vor und nach der Nutzung und konnten so kurzfristige Effekte im intraindividuellen Vergleich erfassen. Im Studienzeitraum von Mai bis August 2023 nutzten 2.245 Patienten die Entscheidungshilfe Prostatakrebs. Davon waren n = 880 (39,2 %) Datensätze vollständig mit Angaben vor und nach der Nutzung sowie der informierten Einwilligung in die Studienteilnahme. Zur Ermittlung der Endpunkte verwendeten wir validierte Fragebögen: Den Entscheidungskonflikt erhoben wir mit der „Decisional conflict scale“ in ihren Subskalen Informationsgrad, Klarheit, Unterstützung und Unsicherheit [3]. Zur Erfassung der psychischen Belastung nutzten wir das Distress Thermometer des National Comprehensive Cancer Network [4]. Das Patientenwissen erfassten wir mit validierten Fragen aus dem „Decision Quality Worksheet“ für die Behandlung von Prostatakrebs [5]. Inhalte der Wissensfragen waren die Sterblichkeit am PCa, die Auswirkungen einer Verzögerung der Behandlung und mögliche Behandlungsfolgen wie Verdauungsprobleme, sexuelle Probleme oder Harninkontinenz.
Der DCS-Score verbesserte sich von 37,5 ± 23,7 auf 20,1 ± 15,7 (p < 0,001). Hierbei sind Werte > 37,5 als ein „Aufschieben von Entscheidungen/Unsicherheit“ und Werte < 25 mit einer „Umsetzung von Entscheidungen“ assoziiert. Das Distress-Thermometer zeigte ebenfalls eine Verbesserung von 6,2 ± 2,6 auf 3,1 ± 2,6 (p < 0,001) (▶ Abb. 1). Hierbei reicht die Skala von 0 „kein“ bis 10 „maximaler Distress“, Werte > 4 werden als auffällig interpretiert. Auch beim Wissen der Patienten konnten wir bei fünf Fragen eine Verbesserung von 2,3 richtigen Antworten auf drei richtige Antworten nachweisen.
Eine Limitation unserer Studie zur Post-Market Surveillance ist die Tatsache, dass ein intraindividueller Vergleich anfällig für Verzerrungen ist, vor allem bei Wissensfragen. Eine weitere Schwäche der Auswertung ist, dass die anonyme Datenerhebung keine Möglichkeit eines längeren Follow-up bietet. Die Stärken der Auswertung liegen in der Analyse eines großen, rezenten Kollektivs aus der Routineversorgung, das mittels validierter Endpunkte befragt wurde. Die Studie ist eine gute Ergänzung zur vorausgegangenen EvEnt-PCa-Studie und beleuchtet hierbei insbesondere die Erhebungszeitpunkte kritisch [2]. Die Studie bietet zudem eine sehr gute Planungsgrundlage für randomisierte Studien und trägt zur Qualitätssicherung für das Medizinprodukt bei.
Insgesamt konnten wir in der Post-Market Surveillance statistisch signifikante und kurzfristige Verbesserungen bei Entscheidungskonflikt, Stress und Wissen nach Nutzung der Online Entscheidungshilfe Prostatakrebs nachweisen. Vor allem beim Distress und dem Entscheidungskonflikt ändern sich auch klinisch relevante Aspekte, da die Werte aus dem auffälligen in den erwünschten Bereich sinken. Mit dem Ziel der weiteren inhaltlichen Verbesserung der Entscheidungshilfe Prostatakrebs befindet sich gegenwärtig eine zeitlich begrenzte prospektive minimal-interventionelle klinische Prüfung innerhalb der Anwendung in der Auswertungsphase (https://uni-marburg.de/Zgbyhy). Die Ergebnisse werden unsere Erkenntnisse zur Wirksamkeit der Anwendung weiter konkretisieren.
Vereinfachter Patientenzugang
Im Februar 2024 haben wir das Anmeldesystem der Entscheidungshilfe Prostatakrebs komplett neu aufgesetzt: Statt mit der bisher in der individuellen Zugangskarte vorgegebenen Nutzername- und Passwortkombination können sich die Patienten zukünftig mit ihrer eigenen E-Mail-Adresse und einem selbst definierten Passwort registrieren. Die Registrierung wird durch einen Bestätigungslink abgeschlossen, der unmittelbar per E-Mail versandt wird. Durch diese Zwei-Faktor-Authentifizierung ist ein höherer Sicherheitsstandard für den Datenschutz gewährleistet. Weitere Informationen finden Sie unter www.entscheidungshilfe-prostatakrebs.info.
Insgesamt ist die Entscheidungshilfe erfolgreich in die klinische Routine in Deutschland integriert und sollte bei geeigneten Patienten routinemäßig eingesetzt werden. Sie profitieren von individualisierter Information auf Basis der aktuellen S3-Leitlinie, die sie online, zu Hause und mit Personen ihres Vertrauens ansehen können. Urologinnen und Urologen werden bei der ärztlichen Aufklärung unterstützt, u. a. durch eine Zusammenfassung als Grundlage für die persönliche Beratung und Vorbereitung einer gemeinsamen Therapieentscheidung.