Die Theranostik ist auf dem Weg, sich zu einem wichtigen neuen Pfeiler der Krebstherapie zu entwickeln

/Universitätsmedizin Essen, Klinik für Nuklearmedizin

Barcelona – Unter anderem beim Prostatakarzinom erzielt die Radioligandentheranostik gute Ergebnisse – auch auf dem diesjährigen Kongress der European Society for Medical Oncology (ESMO), der vom 13. bis 17. September in Barcelona stattfindet, ist das ein aktuell diskutiertes Thema. In der Studie VISION verbesserten sich sowohl Gesamtüberleben als auch progressionsfreies Überleben unter einer 177Lu-PSMA-Radioligandentherapie gegenüber dem Standard-of-Care signifikant.

Im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt () erläutert Ken Herrmann, der auf dem ESMO in der Session „Radioligand theranostics in prostate cancer: Status quo and new developments“ spricht, die Funktionsweise der Methode, die Vor- und Nachteile und zukünftige Entwicklungen.

Ken Hermann /Bildwerkeins, Essen

5 Fragen an Ken Herrmann, Direktor der Klinik für Nuklearmedizin, Universitätsmedizin Essen.

Was versteht man allgemein unter Theranostik und wie erfolgt die PSMA-basierte Radioligandentheranostik bei Prostatakrebs?
Das Wort Theranostik ist ein Kunstwort und entstanden aus der Verbindung von Diagnostik und Therapie. Die Grundidee ist, dass man die gleiche (Ziel)Struktur sowohl für die Bildgebung (Diagnostik) als auch für die Therapie verwendet.

Sehr gut geeignet sind Zielstrukturen, die idealerweise exklusiv oder aber zumindest deutlich höher auf Tumorzellen und viel geringer auf gesundem Gewebe exprimiert werden. Wenn man eine solche – meist auf der Zelloberfläche befindliche – Struktur entdeckt hat, benötigt es noch einen Liganden, der mit hoher Spezifität an diese Zielstruktur bindet.

Entsprechende Liganden müssen dann „nur“ noch radioaktiv markiert werden. Das geschieht entweder mit diagnostischen Nukliden für die Bildgebung – Beispiele sind 68Ga-, 18F- für die Positronen-Emissions-Tomografie, kurz PET, oder 99Tc und 111In- für die Single-Photon-Emissionscomputertomografie-Diagnostik, kurz SPECT, – oder mit therapeutischen Nukliden für die Therapie, zum Beispiel 177Lu und 90Y als Beta-Strahler sowie 225Ac und 212Pb als Alpha-Strahler. Die Rationale besteht also darin, therapeutische Strahlung ganz gezielt nur an Zellen zu liefern, die diese tumorspezifische Zielstruktur aufweisen.

Hinsichtlich der PSMA-basierten Radioligandentheranostik beim Prostatakarzinom ist die entsprechende Zielstruktur das prostataspezifische Membranantigen, kurz PSMA, das mit hoher Spezifität auf Prostatakarzinomzellen exprimiert wird – allerdings nicht exklusiv. Der wohl bekannteste passende Ligand kommt aus Heidelberg und heißt PSMA-617. Für die Diagnostik werden 68Ga- und 18F-PSMA-Tracer verwendet; therapeutisch ist mittlerweile 177Lu-PSMA-617 zugelassen.

Da 177Lu auch eine Gamma-Komponente hat, kann man nach der Therapie die Verteilung des Medikaments wunderbar darstellen. Dabei sieht man auch, dass PSMA trotz des Namens gar nicht so prostataspezifisch ist und auch in vielen anderen Geweben wie Speicheldrüsen und Nieren, nachgewiesen werden kann.

Die Therapie wird intravenös verabreicht, und geht in Deutschland mit einem 48-stündigen Krankenhausaufenthalt einher.

Welche Vor- und Nachteile bietet sie?
Die PSMA-Radioligandentherapie ist sehr gut verträglich, vor allem im Vergleich zum Toxizitätsprofil von Chemotherapien. Aktuell ist sie in der dritten Linie für metastasierte Prostatakarzinome zugelassen, das heißt für Patienten, deren Tumoren auf eine Hormontherapie, einen Androgenrezeptorhemmer und eine taxanbasierte Chemotherapie nicht angesprochen haben.

Mit der Radioligandentherapie kommt hier auch ein neuer Wirkmechanismus zum Einsatz. Die frühere Anwendung wird derzeit in zahlreichen Studien untersucht.

Zu den potenziellen Nachteilen gehört, dass es sich in Deutschland um eine stationäre Therapie handelt und dass nicht jeder Prostatakarzinompatient für die Behandlung geeignet ist.

Wie wirksam ist die Radioligandentherapie bei Prostatakrebs?
Es gibt mittlerweile mehrere prospektive klinische Studien, die die Effizienz der PSMA-Radioligandentherapie belegt haben. Zuerst ist hier die VISION Studie zu nennen, die erfolgreich zur FDA- und EMA-Zulassung dieser Therapieform geführt hat.

In der VISION-Studie wurde Patienten mit metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakrebs (mCRPC) nach mindestens einer Androgenrezeptor-gezielten Therapie, kurz ARTA, und einer taxanbasierten Chemotherapie eine Studienteilnahme angeboten. Nach einem erfolgreichen Screening mit einem 68Ga-PSMA PET-Scan, der bei 88 % der Patienten eine PSMA-Expression nachweisen konnte, wurde ein Standard-of-Care festgelegt. Anschließend erfolge eine 2:1-Randomisierung mit zusätzlich bis zu 6 Zyklen 177Lu-PSMA-Radioligandentherapie im Versuchsarm.

Die VISION Studie hat beide coprimären Endpunkte erreichte: Das radiografische progressionsfreie Überleben betrug im Prüfarm 8,7 Monate versus 3,4 Monate in der Kontrollgruppe (p < 0,001), das Gesamtüberleben 15,3 versus 11,3 Monate (p < 0,001). Auch die entsprechenden Daten zur Lebensqualität fielen im Interventionsarm positiv aus.

Außerdem ist die TheraP-Studie aus Australien spannend, die bei Patienten mit mCRPC Cabazitaxel mit der 177Lu-PSMA-Radioligandentherapie verglichen hat. Während das radiografische progressionsfreie Überleben im Prüfarm signifikant länger ausfiel, ergaben sich beim Gesamtüberleben keine Unterschiede. Die Lebensqualität der Studienteilnehmer war unter der PSMA-Radioligandentherapie besser als unter Cabazitaxel.

Neu ist die PSMAfore-Studie, die in der zweiten Linie des mCRPC die 177Lu-PSMA-Radioligandentherapie mit einem ARTA-Switch vor Chemotherapie-Exposition vergleicht. Das radiografische progressionsfreie Überleben, primärer Endpunkt der Studie, war mit 12 Monaten mit 5,6 Monaten deutlich positiv (p < 0,001). Allerdings wird zumindest in Europa der Vergleichsarm kontrovers diskutiert, da es zwischen ARTAs Kreuzresistenzen gibt.

Welche Patienten kommen für die Theranostik infrage und welche nicht?
Für die Bildgebung kommt zunächst einmal jeder Patient in Frage! Der Vorteil der Theranostik ist, dass wir die Zielstruktur, die wir therapieren wollen, vorher schon nachweisen können. Die Selektion der Patienten erfolgt daher durch vorherige Bildgebung – entweder durch SPECT oder durch PET.

Für das Prostatakarzinom sind bisher nur PET-Tracer zugelassen, mit denen wir die PSMA-Expression auf den Tumorzellen darstellen können. Das ist wirklich personalisierte Medizin und auch kosteneffektiv, da Patienten, die keine oder nur wenig PSMA-Expression aufweisen, nicht therapiert werden.

Wie sieht die Zukunft der Theranostik aus?
Die Theranostik ist auf dem Weg, sich zu einem wichtigen neuen Pfeiler der Krebstherapie zu entwickeln. Daher gibt es eine Menge von verschiedenen Innovationsoptionen.

Dazu gehören der Einsatz neuer Nuklide, zum Beispiel der Fokus auf Alphastrahlern, sowie neue Zielstrukturen bei weiteren Tumorentitäten wie DLL3 beim kleinzelligen Lungenkrebs, CXCR4 bei hämatologischen Tumoren und FAP beim Sarkom. Darüber hinaus gibt es neue Applikationswege, zum Beispiel arteriell, und vor allem neue Therapiekombinationen, beispielsweise mit Immuntherapien und DNA-Damage-Pathway-Inhibitoren.

In den vergangenen 12 Monaten sind viele Big Pharma Player in dieses Gebiet eingestiegen, so dass nun mit deutlich mehr Studien und Innovation zu rechnen ist. © son/aerzteblatt.de