Bakterien-Zusammensetzung im Darm mit depressiver Symptomatik assoziiert

Michael Simm  Studien – kurz & knapp  28.12.2022

Die Zusammensetzung von Bakterienarten im menschlichen Darm ist in mindestens 6 ethnischen Gruppen mit depressiven Symptomen assoziiert, so das Ergebnis zweier zeitgleich publizierter Kohortenstudien, bei denen in den Niederlanden das fäkale Mikrobiom mit klinischen Diagnosen abgeglichen wurde. Für einen möglichen kausalen Zusammenhang spricht, dass unter den 13 implizierten Taxa mehre sind, die Botenstoffe synthetisieren, die bei Depressionen eine Rolle spielen – etwa Glutamat und Serotonin.

Hintergrund

Obwohl die Depression eine führende Todesursache und Ursache wirtschaftlicher Ungleichheiten ist, sei die Krankheit kaum verstanden und die Behandlungsoptionen seien begrenzt, schreiben die Autoren der beiden aktuellen Studien in einer gemeinsamen Presseerklärung. „Man denkt, dass das Mikrobiom des Darm eine Rolle bei depressiven Erkrankungen spielt, was es zu einem attraktiven Ziel für Interventionen macht“, heißt es in der einen Publikation, und ganz ähnlich wird in der zweiten Publikation darauf verwiesen: „Es ist dringlich, die molekularen und biologischen Mechanismen hinter der Depression zu identifizieren, und das Darm-Mikrobiom ist neuerdings von Interesse.“

Design

In der HELIUS-Kohorte erfassten die Forscher 3211 Niederländer mit unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeit, die aber alle im gleichen städtischen Großraum (Amsterdam) lebten. Grundlage der 2. Publikation waren zunächst 1054 Teilnehmer der Rotterdam-Studie, wonach die Ergebnisse mit 1539 Individuen aus der HELIUS-Kohorte verifiziert wurden.

Ergebnisse

  • Sowohl die Alpha-Diversität (ein Maß für die ortsspezifische Artenvielfalt) als auch die Beta-Diversität (sie misst Unterschiede in der Artenvielfalt zwischen Individuen) war in der HELIUS-Kohorte prädiktiv für die – mit dem Fragebogen PHQ-9 erhobene – depressive Symptomatik. Nachdem in den Regressionsanalysen auch die Demographie und das Verhalten der Teilnehmer mit einbezogen wurden, war die Vorhersagekraft der mikrobiellen Signatur bezüglich depressiver Symptome weitestgehend unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit.
  • Die stärksten Assoziationen mit einer depressiven Symptomatik fand man für die Anwesenheit der Bakteriengattungen Christensenellaceae, Lachnospiraceae und Ruminococcaceae (1).
  • In der zweiten Studie (2) wurden ebenfalls Lachnospiraceae und Ruminococcaceae mit einer depressiven Symptomatik in Verbindung gebracht, sowie 8 weitere Taxa, darunter die schon in früheren Studien auffälligen Eggerthella. „Diese Bakterien sind an der Synthese von Glutamat, Butyrat, Serotonin und Gamma-Aminobuttersäure (GABA) beteiligt, die als Neurotransmitter bei der Depression eine Schlüsselrolle spielen“, bemerken die Autoren.
  • Vertreter aller anderen Taxa waren in den Stuhlproben von Patienten mit depressiver Symptomatik weniger häufig anzutreffen.

Klinische Bedeutung

Die beiden Studien bestätigen, dass die Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms eine Schlüsselrolle bei Depressionen spielen könnte. Ähnliche Befunde wurden für spezifische Bakteriengattungen in letzter Zeit schon mehrfach berichtet. Beispielsweise waren Coprococcus bei Patienten mit Angststörungen und Depressionen vermindert. Auf eine kausale Rolle deutet eine tierexperimentelle Studie, bei der Ratten nach einer Fäkaltransplantation von depressiven Patienten einen Verlust von Coprococcus in ihrem Darm zeigten, und anschließend depressives Verhalten entwickelten. Es ist zu erwarten, dass mit fortschreitender Detailkenntnis der biochemischen Zusammenhänge die Erfolgsaussichten für biologische Interventionen mittels Probiotika und Fäkaltransplantationen steigen.

Finanzierung: Amsterdam University Medical Centers, Public Health Service of Amsterdam.