DGHO 2020: Onkologische Phytotherapie: Evidenz oft fraglich

In der komplementärmedizinischen Beratung fragen Krebspatienten und Angehörige besonders häufig nach Nahrungsergänzungsmitteln und Phytotherapeutika, wie eine Umfrage des Kompetenznetzes Komplementärmedizin in der Onkologie (KOKON) ergab. Der Klassiker ist sicherlich die Misteltherapie, deren Evidenz Professor Dr. Matthias Rostock, Lehrstuhlinhaber der Stiftungsprofessur Komplementärmedizin in der Onkologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, anlässlich der Jahrestagung der DGHO diskutierte.

Evidenz für die Phytotherapie mit Mistelextrakten

Mistel

Eine aktuelle Metaanalyse fand auf Basis von 82 kontrollierten Studien einen Effekt der unterstützenden Misteltherapie mit Iscador® auf das Gesamtüberleben von Patienten mit Tumorerkrankungen. Allerdings war nicht eine dieser Studien verblindet durchgeführt worden, was die Evidenz für den Effekt auf das Überleben aufgrund der Fehleranfälligkeit der Ergebnisse deutlich schmälert. Eine weitere aktuelle Metaanalyse belegte einen signifikanten Effekt von Mistelextrakt auf die Lebensqualität von Krebspatienten, wobei auch hier ein hohes Risiko für Verzerrungen (Bias) die Evidenz schwächte. Eine weitere Metaanalyse stellte beide Befunde komplett infrage und kam zu dem Schluss, dass es keine Evidenz für irgendeine Indikation von Mistelextrakt bei Krebspatienten gibt – weder hinsichtlich des Gesamtüberlebens noch der Lebensqualität. Rostock empfiehlt, mit jedem Patienten, der den Wunsch nach einer Misteltherapie äußert, die Datenlage zu besprechen und den Patienten über diese Therapie entscheiden zu lassen.  

Evidenz für die Phytotherapie mit Weihrauch

40% der Patienten mit Hirntumoren wenden nach einer Umfrage des Deutschen Gliom-Netzwerks als komplementäre Therapien an, besonders häufig Homöopathie, Vitamin- und Mineraliensupplemente und eine psychologische Unterstützung. Jeder Vierte nannte auch Boswelia-Produkte (Weihrauch). Präklinisch gibt es laut Rostock Hinweise darauf, dass Weihrauch auf viele Zielstrukturen bei Gehirntumoren einwirken könnte. Klinisch ist die Evidenz für eine Wirksamkeit bei Hirntumorpatienten aber schwach. In einer randomisiert-klinischen Studie aus Freiburg zeigte sich bei Kombination von Weihrauch mit der Strahlentherapie ein deutlicherer Rückgang perifokaler Ödeme als bei Placebo plus Strahlentherapie, obwohl in der Weihrauchgruppe etwas weniger begleitendes Dexamethason eingesetzt worden war. Das Weihrauchprodukt wurde außer einer gelegentlichen leichten Diarrhoe gut vertragen. Das Ansprechen des Tumors war aber nach RECIST-Kriterien nicht verbessert.

Evidenz für die Phytotherapie mit Traubensilberkerzenextrakt

Die antihormonelle Therapie beim Mammakarzinom kann viele massive Beschwerden mit sich bringen, die häufig zu einem frühen Abbruch und Nichtadhärenz führen, gerade bei Aromatasehemmern, berichtete Rostock. Die Evidenz für die Wirksamkeit von Cimicifuga racemosa (Traubensilberkerze) als ergänzende Therapie in dieser Situation ist nicht eindeutig und wahrscheinlich sehr vom jeweiligen Extrakt abhängig. In einer neueren systematischen Literaturauswertung wird dieser Phytotherapie als Ergänzung zur endokrinen Therapie bei Mammakarzinom aber ein günstiges Nutzen-Risikoprofil zugeschrieben [8]. Rostock erklärte, nach seiner Erfahrung profitiert etwa ein Drittel der Frauen deutlich von Cimicifuga racemosa, ein Drittel etwas und ein Drittel nicht. Er empfiehlt, bei der supportiven komplementären Therapie im Rahmen der Hormontherapie immer mehrgleisig zu fahren und mit den Patienten auch den Einsatz von Leinsamen, Salbei, Yoga und Akupunktur zu besprechen.

Autor:Friederike Klein (Medizinjournalistin)