Ute Eppinger | Veröffentlicht 03.12.2024
Eine blasse Scheibe Käse, die auf dem Teller festklebt, labberiges Toastbrot, undefinierbare Soßen, fettig Frittiertes: Wer sich den Appetit verderben möchte, sollte im Internet nach „Krankenhaus-Essen“ suchen. Nicht nur, dass es selten lecker aussieht und auch so schmeckt: Krankenhaus-Essen kann krank machen. Klar, ein paar Tage Krankenhaus-Essen schadet den meisten nicht. Aber bei Patienten, die schon vor ihrem stationären Aufenthalt Gewicht und Kraft verloren haben oder mangelernährt waren, sieht das anders aus.
„Eine gesunde und angepasste Ernährung im Krankenhaus ist – egal ob Operationen durchgeführt werden oder ob eine Krebserkrankung vorliegt – extrem wichtig“, sagte Prof. Dr. Diana Rubin auf der Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) anlässlich der Malnutrition Awareness Week. Der gesamte Heilungsprozess werde dadurch beeinflusst.
Eine gute Ernährung führe dazu, dass weniger Komplikationen entstehen und sogar Sterbefälle vermieden werden können, erklärte die Chefärztin im Vivantes-Klinikum in Berlin und Vorstandsmitglied der DGEM. Vivantes betreibt 8 Kliniken und 17 Pflegeheime in Berlin. Rubin betreut diese Einrichtungen ernährungsmedizinisch und leitet ein Team mit 8 Ernährungsfachkräften.
15% weniger Komplikationen, 27% weniger Todesfälle durch gute Kost
Dass Krankenhausessen krank machen kann, hatte die 2019 publizierte EFFORT-Studie gezeigt. 2.000 Krankenhauspatienten mit Anzeichen einer Mangelernährung waren 1:1 entweder auf die übliche Krankenhauskost oder auf eine Extra-Ernährung (mehr Kalorien, mehr Protein, zusätzliche Vitamine und Mikro-Nährstoffe) randomisiert worden.
Bei 272 Patienten mit Standardkost gab es Komplikationen aufgrund ihrer Erkrankung, bei den besser ernährten Patienten waren es nur 232. In der Gruppe mit der bedarfsgerechten Kost traten damit 15% weniger Komplikationen auf.
Aus der Gruppe mit normaler Krankenhauskost waren 100 Patienten an ihren Erkrankungen gestorben, in der Gruppe mit der bedarfsgerechten Kost 73. Das bedeutet: 27% weniger Todesfälle, wenn Mangelernährung erkannt und aktiv bekämpft wird.
Eine optimierte Ernährung unterstützt besonders bei vulnerablen Gruppen, wie etwa Krebspatientinnen und -patienten oder Menschen nach schweren Operationen, den Heilungsprozess, reduziert Komplikationen und trägt nachweislich dazu bei, Sterbefälle zu vermeiden, betonte Rubin.
Die Relevanz einer angepassten Ernährung ist wissenschaftlich belegt, doch die Krankenhäuser stehen wirtschaftlich unter Druck. „80% der deutschen Kliniken schreiben derzeit rote Zahlen – es wird versucht, an jeder Ecke zu sparen“, berichtete Rubin. An der Ernährung zu sparen sei allerdings Sparen an der falschen Stelle: „Wir brauchen eine bedarfsgerechte Ernährung in den Kliniken, um Komplikationen und Sterbefälle zu vermeiden“, sagte Rubin.
„Über 50.000 Todesfälle im Jahr im Krankenhaus wären vermeidbar mit einer einfachen Maßnahme – der guten, bedarfsgerechten Ernährung“, erinnerte Prof. Dr. Matthias Pirlich, niedergelassener Ernährungsmediziner und Vizepräsident der DGEM, und mahnte die Umsetzung an.
Die Realität: 5 bis 6 Euro pro Patient pro Tag …
Die durchschnittlichen Ausgaben für die Verpflegung einer Patientin/eines Patienten belaufen sich auf lediglich 5 bis 6 Euro pro Tag. Diese geringe Summe steht in starkem Kontrast zu den Anforderungen an eine hochwertige Ernährungsversorgung.
In der Ernährungsstrategie der Bundesregierung wird gefordert, hohe Verpflegungsstandards einzuführen (z.B. die DGE-Qualitätsstandards) und auf regionale, saisonale und hochwertige Lebensmittel zu setzen.
Doch eine ausreichende Finanzierung fehlt: Im DRG-System ist für ein Krankheitsbild die Ernährung mit abgegolten und ein separater Zuschuss für die Verpflegung bislang politisch nicht vorgesehen. Das führt dazu, dass gesunde und frische Lebensmittel oft durch preisgünstigere Alternativen ersetzt werden müssen, was die Qualität der Verpflegung und damit den Genesungsprozess beeinträchtigt.
Zwar sollten vegetarische Menülinien in jedem Krankenhaus Standard sein und sind es in der Regel auch. Dennoch werde aus Kostengründen häufig zu tierhaltigen Convenience-Produkten gegriffen, bestätigt Dr. Gert Bischoff, Präsident der DGEM, Leitender Arzt am Zentrum für Ernährungsmedizin und Prävention (ZEP) in München.
„Eine tierlastige Ernährung ist aktuell leider häufig billiger als eine eher vegetarische Ernährung mit frischem, regionalem und nachhaltigem Obst und Gemüse“, berichtete Bischoff. Die Krankenhäuser würden gerne hochwertigere Produkte anbieten, aber dafür stehe leider kein Geld zur Verfügung, betonte Bischoff.
Vivantes als Vorbild: Screening und umfassende Ernährungsprogramme
Auch Rubin bestätigte, dass die 5 bis 6 Euro pro Patient pro Tag „sehr wenig Geld“ seien. „Wenn man eine Ernährungsstrategie entwickelt und umsetzt, kann man mit diesem Geld dennoch sehr viel anfangen“, betonte sie.
Als Best-Practice-Beispiel zeigt das Vivantes-Klinikum in Berlin, dass eine gezielte Ernährungsstrategie im Klinikalltag umsetzbar ist. In Berlin werden alle stationär aufgenommenen Patientinnen und Patienten systematisch auf Mangelernährung untersucht – ein Problem, das etwa 25% der Klinikpatientinnen und -patienten betrifft.
Im Bedarfsfall greift ein interdisziplinäres Ernährungsteam ein, das individuelle Ernährungspläne erstellt und die Patientinnen und Patienten gezielt unterstützt. Die Basis dafür ist eine ausgeklügelte Ernährungsstrategie. In Zusammenarbeit mit dem Sternekoch Max Strohe wurden spezielle Menülinien mit regionalen Lebensmitteln entwickelt. „In diesem Jahr haben wir beispielsweise ein Projekt gestartet, das Menülinien vorsieht, die speziell auf mangelernährte Patienten ausgerichtet sind“, berichtete Rubin.
Diese umfassende Herangehensweise gehört in Deutschland jedoch noch zur Ausnahme – nur etwa 5% der Kliniken bieten solche Angebote. Um ernährungsmedizinisch qualifizierte Krankenhäuser besser sicht- und auffindbar zu machen, haben die DGEM und die Deutsche Akademie für Ernährungsmedizin (DAEM e.V.) die Plattform „ nutriZert“ gegründet. Sie bietet ernährungsmedizinischen Einrichtungen die Möglichkeit, sich objektiv und neutral zertifizieren zu lassen.
Alle genannten Experten betonten, dass es angesichts der Belastungen, denen viele Kliniken ausgesetzt sind, dringend notwendig ist, politische Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine angemessene Finanzierung dieser entscheidenden Komponente der Gesundheitsversorgung sicherstellen.