Krebsbetroffene möchten mehr gemeinsame Entscheidung

Wunsch versus Wirklichkeit

Die partizipative Entscheidungsfindung ist in der onkologischen Versorgung bisher nicht so ganz im klinischen Alltag angekommen. Laut einer Befragung wünschen sich Betroffene, mehr an Entscheidungen beteiligt zu sein.

Mehr Entscheidungen gemeinsam mit der Ärztin oder dem Arzt treffen – das wünschen sich viele Krebsbetroffene im Rahmen ihrer Versorgung [Symbolbild]. © Thinkstock, Wavebreakmedia Ltd

Der Krebsinformationsdienst hat in Zusammenarbeit mit einer Arbeitsgruppe der Medizinischen Unversitätsklinik Heidelberg eine Querschnittsstudie zur gewünschten und erlebten Beteiligung von Krebsbetroffenen bei Entscheidungen zu ihrer medizinischen Versorgung durchgeführt1. Einbezogen wurden an Krebs Erkrankte, die sich zwischen Juni 2016 und April 2017 telefonisch mit Anfragen an den Krebsinformationsdienst gewandt und der Befragung zugestimmt hatten. Je nach Wunsch konnten sie den Fragebogen online ausfüllen oder erhielten ihn per Post.

Partizipative Entscheidungsfindung in der onkologischen Versorgung

Die Teilnehmenden waren gebeten, sich an die letzte Situation zu erinnern, in der es um eine medizinische Entscheidung im Zusammenhang mit ihrer Erkrankung ging, und ihre Antworten darauf zu beziehen.
Die Studie untersuchte,

  • wie gut die präferierte und die erlebte Beteiligung übereinstimmen,
  • welche soziodemografischen oder krankheitsbezogenen Faktoren mit welchen Partizipationspräferenzen und -erfahrungen assoziiert sind und
  • ob es Unterschiede im Beteiligungswunsch je nach Thema der Entscheidung oder nach Krankheitsphase gibt.

Über 1.500 Rückläufe waren auswertbar. Das mediane Alter der Befragten betrug 62 Jahre, knapp zwei Drittel waren Frauen und über die Hälfte hatte mindestens die Hochschulreife erlangt. Die Stichprobe umfasste Patientinnen und Patienten in allen Krankheitsphasen von Diagnosestellung bis zur palliativen Situation.

Die Ergebnisse vermitteln einen, wenn auch nicht repräsentativen, Eindruck aus der Versorgungsrealität: Krebsbetroffene wünschen sich mehr partizipative Entscheidung.

Mehr gemeinsame Entscheidung gewünscht als erlebt

Durchweg wünschen sich Krebsbetroffene mehr Beteiligung und insbesondere mehr partizipative Entscheidungen als sie tatsächlich erleben – so lassen sich die Ergebnisse zusammenfassen. Und dies gilt für alle abgefragten Entscheidungssituationen, also nicht nur in Bezug auf die Behandlung, sondern beispielsweise auch auf Untersuchungsmethoden, die Hinzuziehung anderer Ärzte oder den Behandlungsort. In der Grafik ist dies eindrücklich dargestellt.

Präferierte versus erlebte Rolle in medizinischen Entscheidungen – Ergebnisse einer Befragung von Krebsbetroffenen. © Krebsinformationsdienst, DKFZ

Von den 47 Prozent der Befragten, die eine kollaborative Rolle – also echte partizipative Entscheidung zusammen mit ihren Ärztinnen und Ärzten – bevorzugten, gaben weniger als 40 Prozent an, dass sie dies auch so wahrnahmen. 26 Prozent fanden sich in einer passiven Rolle wieder. Insgesamt bestand bei 38 Prozent der Befragten keine Übereinstimmung zwischen Wunsch und Erleben, also zwischen der bevorzugten und der wahrgenommenen Rolle. Die Diskrepanz war bei Patienten, die gemeinsame Entscheidung bevorzugten, am größten.

Einfluss der Bildung: Bei höherer Bildung war die Wahrscheinlichkeit, eine passive Rolle zu erfahren, geringer. Signifikant höher waren sowohl Präferenz als auch Erfahrung einer passiven Rolle dagegen bei geringerer Bildung, die häufig mit geringer Gesundheitskompetenz einhergeht. Dies erschwert Krebskranken die Kommunikation über medizinische Fragen und Entscheidungen und erfordert in besonderem Maße eine verständnisorientierte Kommunikation seitens der behandelnden Ärztinnen und Ärzte.

Einfluss des Erkrankungsstadiums: Die Analyse, ob die Beteiligungspräferenzen in fortgeschrittenen andere sind als in frühen Krankheitsstadien, zeigte ein eher überraschendes Ergebnis: Krebserkrankte in späteren Stadien wünschten – und erlebten – häufiger eine aktive Rolle als solche am Anfang der Erkrankung.

Einfluss des Alters: Keine Rolle für Beteiligungswunsch und -erleben spielte das Alter.

Frauen bevorzugten und erlebten häufiger eine passive Rolle

Was in früheren Untersuchungen zu Beteiligungspräferenzen nicht so zu Tage trat: In diesem Kollektiv neigten Frauen mit Krebs eher einer passiven Rolle zu und erlebten es auch häufiger so. Dies, und mögliche Ursachen, sollte weiter untersucht werden, so die Autoren. Falls es sich bestätigt, wäre zu überlegen, ob man Frauen in besonderer – und vielleicht anderer – Weise zur Beteiligung ermutigen müsste.

Beteiligung nicht nur bei Fragen der Behandlung gewünscht

Die Befragungsergebnisse zeigten auch, dass sich die Präferenz für eine partizipative Entscheidung auf alle möglichen Themen erstreckt und dass die individuelle Präferenz über die Themen weitgehend konstant ist.

Das am häufgsten zur Ermittlung der Partizipationspräferenz eingesetzte Instrument, die Control Preference Scale (CPS), fragt nur nach dem Beteiligungswunsch bei Entscheidungen zur Behandlung. In der vorliegenden Studie wurde eine modifizierte Version eingesetzt, die die Präferenzen für 8 unterschiedliche Entscheidungssituationen erfasst – davon sind nicht alle “typische” Indikationen für eine partizipative Entscheidung.

Die Übereinstimmung der Präferenzen über die verschiedenen Themen hinweg spricht dafür, dass die “einfache” CPS sich als ein Instrument zum “Screening” des Beteiligungswunsches sehr gut eignet. So können Ärzte sich auf die entsprechende Haltung der Patientinnen und Patienten einstellen und Gespräche entsprechend führen.

Fazit

Insgesamt wird die partizipative Entscheidung auch dieser Studie zufolge von einem großen Teil der onkologischen Patientinnen und Patienten bevorzugt, aber in der Praxis zu wenig realisiert. Es zeigten sich deutliche Diskrepanzen zwischen erlebter und gewünschter Beteiligung. Höher als in vielen früheren Untersuchungen war der Anteil mit aktiver, geringer derjenige mit passiver Rollenpräferenz. Dies mag mit dem infomationsaktiven Verhalten und dem vergleichsweise hohen Bildungsniveau der Nutzerinnen und Nutzer des Krebsinformationsdienstes zu erklären sein.

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