Aus UroForum Heft 10/2024 Guido Müller

Harnkontinenz ist ein wichtiges Qualitätskriterium der radikalen Prostatektomie. Vor dem Hintergrund einer steten Perfektionierung der OP-Methode wurde in einer großen aktuellen Kohorte die Frühkontinenz aus der Perspektive der urologischen Rehabilitation evaluiert. Auch werden die Grundzüge des multimodalen Kontinenztrainings dargestellt.
Eine persistierende Harninkontinenz kann die Lebensqualität stark beeinträchtigen und sogar zu Depressionen führen. Um das wichtige Ziel der Wiedereingliederung in den Alltag zu erreichen, haben Patienten in Deutschland laut Sozialgesetzgebung einen Anspruch auf eine durchschnittlich dreiwöchige Rehabilitationsmaßnahme. Darüber hinaus empfiehlt die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Urologie e. V. (DGU), allen Patienten eine solche Maßnahme anzubieten, um funktionelle Einschränkungen und psychosoziale Belastungen zu minimieren.
Evaluiert wurden die Daten aller Patienten des Urologischen Kompentenzzentrums für die Rehabilitation (UKR) der Kliniken Hartenstein in Bad Wildungen aus dem Jahr 2022. Die Analyse fokussiert auf Primärkliniken, die ≥ 50 Patienten zur Anschlussrehabilitation zuwiesen (Anteile bzw. Medianwerte jeweils mit Minimum und Maximum). Multivariable Regressionsanalysen unter Einschluss von Patientenalter, kardiovaskuläre Komorbidität, Diabetes, Adipositas (Body Mass Index ≥ 30 kg / m²), OP-Methode und Nervschonung wurden durchgeführt, um unabhängige Prädiktoren bezüglich der Frühkontinenz zu identifizieren.
Insgesamt wurden 3.751 Patienten aus 213 Primärkliniken zur Anschlussrehabilitation aufgenommen. Aus 21 Kliniken kamen jeweils ≥ 50 Patienten (insgesamt 2.141 Patienten); Alter im Median 67 Jahre (63–69,5), Roboter-assistierte Operation bei 89 % der Patienten (0–100), Nerverhalt bei 74 % (21–95). Zu Beginn der Rehabilitation (im Median 21 Tage postoperativ) lag die Kontinenzrate bei 37 % (4–54) bzw. bei inkontinenten Patienten wurde der Urinverlust pro Tag im Median mit 102 g (22–591) gemessen.
Die Regressionsanalyse identifizierte als Prädiktoren für Kontinenz ein jüngeres Alter, die Nervschonung und das Fehlen von Diabetes (jeweils p < 0,001). Bei bestehender Inkontinenz steigt der Urinverlust pro Tag durchschnittlich mit jedem zusätzlichen Lebensjahr um 7 g (t = 5,2; 95 % CI 4–10; p < 0,001), bei Diabetes um 79 g (t = 2,7; 95 % CI 21–136; p = 0,007) bzw. ohne Nervschonung um 175 g (t = 8,4; 95 % CI 134–216; p < 0,001). Im Zuge der dreiwöchigen Anschlussrehabilitation nahm der Anteil kontinenter Patienten auf 54 % zu, der Urinverlust reduzierte sich im Median auf 73 g pro Tag (IQR 15–231) und das Miktionsvolumen stieg im Median von 170 ml (IQR 103–256) auf 218 ml (IQR 146–298) – jeweils p < 0,001.
Die aktuelle Untersuchung zeigt eine gewisse Varianz bezüglich der Frühkontinenz nach radikaler Prostatektomie. Alter, Diabetes und Nervschonung sind mit der Frühkontinenz assoziiert. In die vorliegende Studie wurden Patienten aus allen Versorgungsstufen einbezogen. Es kann natürlich ein Selektionsbias nicht ausgeschlossen werden, da nur über Patienten berichtet wird, bei denen eine Anschlussrehabilitation im UKR erfolgte. Die Ergebnisse sollten insgesamt jedoch relativ repräsentativ für die aktuellen Behandlungsergebnisse sein. Die präsentierten Daten ermöglichen es, die Patienten vor der Operation über die potenziellen Ergebnisse hinsichtlich der Frühkontinenz zu beraten. Zudem ist den Primärkliniken die Einordnung der eigenen Ergebnisse möglich.
Multimodales Therapiekonzept
Die Harninkontinenz beim Mann ist meist Folge eines radikalchirurgischen Eingriffs. Die postoperative Harninkontinenz erfordert eine spezielle Miktionsanamnese. Erfasst werden Miktionsfrequenz und Vorlagenbedarf am Tag und in der Nacht sowie Zeitpunkt und Umstände des Urinverlusts. Belastungs- und Drangkomponenten werden differenziert. Uroflowmetrie und Restharn-Sonographie informieren über die Speicher- und Entleerungsfunktion der Harnblase. Der Urinverlust wird durch einen 24-Stunden-Vorlagen-Test unter Alltagsbedingungen quantifiziert.

Anatomische Untersuchungen der Arbeitsgruppe von Dorschner und Stolzenburg in 1990er-Jahren waren die Grundlage für die Entwicklung eines differenzierten, multimodalen, diagnostikgestützten Behandlungskonzepts (▶ Abb. 1). Dieses wird ständig auf Grundlage der aktuellen wissenschaftlichen Evidenz überprüft und ggf. angepasst. Der Sphinkter urethrae externus ist eine vom übrigen Beckenboden abgrenzbare und funktionell eigenständige Struktur. Ein innerer glattmuskulärer Anteil und ein äußerer quergestreifter Anteil sind zu differenzieren. Der quergestreifte Anteil umgreift hufeisenförmig die Urethra – ist also nach dorsal hin nicht kreisrund geschlossen. Im Mittelpunkt des Konzepts steht das physiotherapeutische Kontinenztraining. Auf osteopathischen Techniken basierend beginnt es regelhaft mit einer kinästhetischen Einleitungsbehandlung. Dadurch wird dem Patienten eine propriozeptive Differenzierung zwischen unterschiedlichen Muskelgruppen im Beckenbereich möglich, sodass ein gezieltes Schließmuskeltraining durchführbar ist. Eine evtl. erforderliche Schmerzbefreiung ist eine wesentliche Voraussetzung, damit eine verbesserte Körperwahrnehmung erreicht wird. Das physiotherapeutisch angeleitete Training steigert die Akquirierung von motorischen Einheiten und verbessert die Aktivierungsgeschwindigkeit, Genauigkeit, Kraft und Dynamik der selektiven Sphinkterkontraktion. Es fördert die neuroplastische Restrukturierung und führt zu einer stabileren Verschaltung der benötigten neuronalen Pfade. Durch ein Hinauszögern der Miktion wird der glattmuskuläre Sphinkteranteil trainiert. Prophylaktische Blasenentleerungen, um einem etwaigen Urinverlust vorzubeugen, sollten vermieden werden.
Irritative Symptome aus dem Bereich des Blasenauslasses verursachen häufig eine Drangkomponente der Harninkontinenz, sodass eine entsprechende medikamentöse Therapie mit Anticholinergika oder Beta-3-Adrenozeptor-Agonisten sinnvoll sein kann. Bei ausbleibender Besserung der Harninkontinenz können eine Cystometrie mit Urethradruckprofil und eine Urethrozystoskopie komplizierende Faktoren aufdecken. Bei verminderter Speicherfähigkeit der Harnblase erfolgen ggf. intravesikale Instillationen von Oxybutynin, EMDA-Behandlungen oder Injektionen von Botulinumtoxin in den Detrusor vesicae. Bei ausgeprägtem Ödem oder Fibrin im Anastomosenbereich erfolgen transurethrale Instillationen von Cortison-haltigen Lösungen. Narbige Engen im Anastomosenbereich sollten wegen drohendem Harnverhalt, aber auch wegen einer Beeinträchtigung der Sphinkterfunktion beseitigt werden. Eine Video-Endoskopie ermöglicht es auch, dem Patienten seine eigene Schließmuskelfunktion zu visualisieren (video-assistiertes Biofeedback-Sphinktertraining; ▶ Abb. 2).

Duloxetin hat als balancierter Noradrenalin- und Serotonin-Wiederaufnahmehemmer eine sphinktertonisierende und detrusorstabilisierende Wirkung und kann im Off-Label-Use eingesetzt werden. Bei drittgradig inkontinenten Patienten kann in Einzelfällen in Ergänzung zum Kontinenztraining eine Elektrostimulation sinnvoll sein, wobei eine perineale Stimulation mit Oberflächenelektroden aufgrund einer besseren Compliance signifikante Vorteile gegenüber einer rektal applizierten Sonde aufweist.
Fazit: Ein sinnvolles Therapiekonzept sollte differenziert, individuell angepasst, multimodal und diagnostikgestützt sein sowie die Anatomie und die pathophysiologischen Besonderheiten der Inkontinenz beim Mann berücksichtigen. Im Mittelpunkt steht das physiotherapeutisch angeleitete Sphinktertraining. ◼