Quarantäne: eine Notwendigkeit mit möglichen Nebenwirkungen

Dr. med. Thomas Kron Im Diskurs 06.03.2020

Aufgrund der zunehmenden Verbreitung des neuen Corona-Virus ist die uralte „Schutzmaßnahme“ Quarantäne auch in Deutschland wieder Realität geworden, insbesondere in Nordrhein-Westfalen. Dass eine mehrtägige „Absonderung von Infizierten“ zum Schutz der Gesunden eine in der Regel sinnvolle Maßnahme ist, dürfte relativ unstrittig sein. Daran ändern auch Ausnahmen nichts wie etwa der Fall des Kreuzfahrtschiffes Diamond Princess; hier war die über zweiwöchige Quarantäne eher kontraproduktiv, wie eine Studie gezeigt hat. „Die Infektionsrate an Bord des Schiffes war ungefähr viermal höher als an Land in den am schlimmsten infizierten Gebieten Chinas. Eine wahrscheinliche Ursache ist, wie nahe die Menschen an Bord eines Schiffes beieinander bleiben“, so der schwedische Epidemiologe und Hauptautor der Studie Professor Joacim Rocklöv. Von den insgesamt 3700 Passagieren des Schiffes waren am Ende der Quarantäne trotz Isolierung positiver Passagiere 619 mit dem Coronavirus infiziert. Hätten die japanischen Behörden das Schiff sofort evakuieren lassen, hätte es nach den Berechnungen von Joacim Rocklö vermutlich nur rund 70 infizierte Passagiere gegeben.  

Freiheitsberaubung zum Wohle der Gesellschaft

Fakt ist sicher, dass eine Quarantäne, auch eine nur häusliche Quarantäne, selbst in einem hoch-modernen und zivilisierten Land im 21. Jahrhundert für die Betroffenen kein Zuckerschlecken ist und gut erklärt werden muss. Denn eine Quarantäne ist stets eine Freiheitsberaubung. Wer unter Quarantäne steht, muss für diese Zeit sein Recht auf Bewegungsfreiheit dem Recht seiner Mitmenschen auf staatlichen Schutz vor Krankheiten unterordnen. Quarantäne ist demnach kein freiwilliger „Dienst am Mitmenschen“. 

Wie eine Quarantäne zu gestalten ist, beschreibt in Deutschland das Robert-Koch-Institut, das den jeweils zuständigen Gesundheitsämtern einen Musterbescheid  für die Betroffenen zur Verfügung stellt. Die „Anordnung der Absonderung in sogenannter häuslicher Quarantäne” enthält mehrere Gebote – und Verbote. So dürfen die Betroffenen zum Beispiel ihre Wohnung nicht ohne Genehmigung des Gesundheitsamtes verlassen. Außerdem dürfen sie in ihrer Wohnung keine Personen empfangen, die nicht dem Haushalt angehören. Gemütliche Kaffee-Kränzchen oder wilde Parties mit Freunden oder Bekannten sind also für die Zeit der Quarantäne gestrichen. Wer unter Quarantäne steht, muss zum Beispiel akzeptieren, dass jederzeit Untersuchungsmaterial gewonnen werden darf, also etwa Rachenabstriche gemacht werden oder Blut entnommen wird. Darüber hinaus sollen die Betroffenen regelmäßig ihren Gesundheitszustand prüfen und dokumentieren.

Selbst für das Miteinander im Haus oder in der gemeinsamen Wohnung gibt es Vorschriften. So sollten zum Beispiel, wenn möglich, Mahlzeiten nicht gemeinsam eingenommen werden; selbstverständlich gelten die üblichen Schutzmaßnahmen beim Husten und Niesen. 

Verstöße gegen die angeordnete häusliche Quarantäne können laut Infektionsschutzgesetz hart bestraft werden.  Bis zu 450.000 Euro Strafe drohten ihm laut Gesundheitsamt, sollte irgendwer aus seiner Familie das Haus verlassen und jemanden anstecken,  berichtet ein Berliner , der zusammen mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern unter häuslicher Quarantäne steht. 

„Die Umsetzung von Quarantäne im Sinne der Absonderung ansteckungsverdächtiger Personen im häuslichen Umfeld oder in Quarantäneeinrichtungen erweist sich immer wieder als problematisch. In der Vergangenheit kam es zu diversen Missachtungen von Quarantäneregeln“, heißt es daher auch auf der Webseite des RKI zu dem  Projekt Q-Co: Quarantäne-Compliance ,  in dem Barrieren und Förderfaktoren für die Quarantäne-Compliance identifiziert werden sollen, um auf dieser Grundlage „praktische Empfehlungen für den Öffentlichen Gesundheitsdienst zur effektiven Durchführung von seuchenhygienischen Maßnahmen abzuleiten.“

Eine systematische Studien-Auswertung 

Mit Faktoren, die die Quarantäne-Compliance beeinträchtigen können, hat sich auch ein Team um die britische Psychologin Dr. Samantha K. Brooks (Department of Psychological Medicine, King’s College London) befasst. Zusammen mit ihren Kollegen hat Brooks systematisch nach Publikationen zu den psychischen Auswirkungen von Quarantäne-Maßnahmen gesucht und ausgewertet; die Ergebnisse sind kürzlich im Fachmagazin „The Lancet“  erschienen. Dokumentierte Erfahrungen mit Quarantäne-Maßnahmen und ihren Folgen für die Betroffenen gibt es unter anderem durch Untersuchungen im Rahmen von SARS, Ebola H1N1-Influenza-Pandemien, MERS und Pferde-Influenza.

Die Hauptbotschaften der Autoren

Eine Quarantäne kann den Autoren zufolge weitreichende, erhebliche und lang anhaltende Auswirkungen auf die Psyche der Betroffenen haben. So berichteten Betroffene signifikant häufiger über Erschöpfung, Angstzustände im Umgang mit fieberhaften Patienten, Reizbarkeit, Schlaflosigkeit, Konzentrationsschwäche und Unentschlossenheit sowie beeinträchtigte  Arbeitsleistung. Die Trennung von Angehörigen bei Quarantäne-Maßnahmen ausserhalb der eigenen häuslichen Umgebung, der Verlust der Freiheit, die Unsicherheit über den Krankheitsstatus und Langeweile können gelegentlich auch dramatische Auswirkungen haben. Sogar über aggressives Verhalten und Suizide sei berichtet worden. Für manche Betroffenen, insbesondere Selbständige, könne eine Quarantäne finanzielle Verluste zur Folge haben, was selbstverständlich auch psychisch belaste. Möglich seien laut Brooks und ihren Kollegen auch Langzeit-Folgen wie Alkoholmissbrauch; manche Betroffene hielten sich zudem selbst Jahre nach der Quarantäne von öffentlichen Plätze und Veranstaltungen fern.

Informationen und Kommunikation das A und O

Was also tun? Entscheidend und unerlässlich sei, so Brooks, eine effektive und schnelle Kommunikation. Menschen, die unter Quarantäne gestellt werden, müssten die Situation verstehen. Dies bedeute, dass den Menschen genau mitgeteilt werde, was passiere, warum es passiere und wie lange es dauern werde; außerdem sollten im Falle einer nicht-häuslichen Quarantäne „sinnvolle Aktivitäten für sie bereitgestellt werden“. Selbstverständlich sollte die Quarantäne-Zeit so kurz wie möglich sein. 

Das mag banal klingen, aber es sind nicht selten Banalitäten, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Außerdem: In den USA empfehlen laut einer „ZDF“-Meldung manche Mediziner, die bisher übliche Dauer der Quarantäne von 14 Tagen zu verlängern, da die infizierten Personen auch nach der zweiwöchigen Quarantäne noch infektiös sein könnten. Das wäre nicht allein für die Betroffenen unangenehm. Das könnte vor allem für die Versorgung der Bevölkerung zum Problem werden, sollte es sich um medizinisches Fachpersonal handeln, das unter Quarantäne gestellt werden müsste. Auch aus diesem Grund könnte es sinnvoll sein, die Dauer der Quarantäne von 14 auf acht Tage zu verkürzen. In der aktuellen Lage müsse man auch einmal improvisieren, so Prof. Dr. Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin in einem Statement für das Science Media Center.  Mit 14 Tagen, so Drosten, sei man zwar auf der sicheren Seite – „aber in der Praxis ist dies eben kaum tolerabel“

1. Dr. Samantha K. Brooks et al: The psychological impact of quarantine and how to reduce it: rapid review of the evidence; The Lancet

2. Kelly Drews: A Brief History of Quarantine. The Virginia Tech Undergraduate Historical Review, 2. 

3Daniel Wüstenberg („Stern“): “Anordnung der Absonderung”: Behörden-Bescheid zeigt, was Betroffene in Quarantäne tun müssen

4. Robert-Koch-Institut