Psychologische Unterstützung und Beratung von Krebspatient:innen

von Sabine König und Dr. med. vet. Astrid Heinl

Psychologische Unterstützung und Beratung von Krebspatient:innen
© Syda Productions – stock.adobe.com

Sabine König ist Diplom-Psychologin sowie Kursleiterin für Autogenes Training, Progressive Muskelrelaxation und Stressmanagement und verfügt über die Weiterbildung Psycho-Onkologie. Sie arbeitet als Diplom-Psychologin in der Abteilung Psycho-Onkologie im Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum Berlin sowie bei ATURO (Ambulante Therapien in der Urologie Berlin Wilmersdorf), wo sie Patient:innen in emotional schwierigen Phasen einer Erkrankung betreut. Frau König berichtet in JOURNAL ONKOLOGIE, wie Krebspatient:innen nach der Diagnosestellung, im Umgang mit Nebenwirkungen der Therapie und bei der Krankheitsbewältigung psychologisch unterstützt werden.

Interview mit Sabine König, Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum und ATURO, Berlin.

Gibt es Unterschiede bei der psychologischen Beratung in der niedergelassenen Praxis und in der Klinik?

Ich bin sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich tätig. Eine psychoonkologische Beratung ist leider keine Kassenleistung, die Krankenkasse finanziert nur eine ambulante Psychotherapie, jedoch keine psychologische Beratung. Die Versorgung in der Psychoonkologie ist somit nicht optimal. Hier bei ATURO kann jede Patientin/jeder Patient oder deren Angehörige einmal im Jahr eine psychoonkologische Beratung nutzen, ansonsten müssen sie diese selbst bezahlen. In Berlin gibt es wenige Krebsberatungsstellen, die sich aus Spendengeldern finanzieren. Insgesamt ist das daher eine unbefriedigende Situation für die ambulanten Patient:innen.

Im stationären Bereich ist das anders, denn Psycho-Onkolog:innen sind Pflicht, damit eine Zertifizierung eines Organzentrums, z.B. eines Prostatakarzinomzentrums, stattfindet. Man hat den Bedarf erkannt, und hier profitieren alle Patient:innen von einer Beratung.

Die Patient:innen, welche eine psychoonkologische Versorgung in Anspruch nehmen, befinden sich meist in unterschiedlichen Ausgangssituationen. Zum einen kann die Diagnose bzw. der Verdacht einer Krebserkrankung als Zufallsbefund betrachtet werden. Zum anderen kann es auch sein, dass sie unspezifische Beschwerden festgestellt haben oder sich aufgrund einer genetischen Disposition in der Familie schon länger damit auseinandergesetzt haben, dass die gezeigten Beschwerden mit einer ernsthaften Erkrankung in Zusammenhang stehen könnten.

Wie reagieren Menschen, wenn sie mit der Diagnose Prostata-, Blasen- oder Nierenkrebs konfrontiert werden?

Tatsächlich ist das sehr unterschiedlich. Es gibt Patient:innen, die das ganz pragmatisch und rational sehen. Gerade beim Prostatakarzinom ist das aufgrund der günstigen Prognose und der guten Therapiemöglichkeiten oft der Fall, und es ist natürlich auch abhängig davon, zu welchem Zeitpunkt die Erstdiagnose gestellt wurde. Nicht immer ist die Reaktion des Menschen aufgrund der Tumorformel für Fachleute schlüssig. Nicht nur ungünstige Tumorformeln stellen eine enorme psychische Belastung dar, manchmal reicht auch schon der Begriff „Krebs“ aus, um in den Patient:innen etwas auszulösen, was sie als belastend erleben. Das wird auch davon beeinflusst, in welcher Situation sich die Menschen gerade befinden, ob sie beispielsweise weitere Belastungen, z.B. in Familie oder Beruf, haben. Auch die Persönlichkeit des Menschen spielt eine Rolle – wie gut kann der Betroffene mit Stress umgehen, hat er bereits anderweitige Schwierigkeiten bewältigt und auf welche Ressourcen kann er zurückgreifen?

Für manche Menschen bedeutet Krebs ein Stigma. Das ist auch ein gesellschaftliches Problem, denn Krebs ist mit Krankheit und Tod assoziiert und damit ein Tabuthema, welches in unserer Kultur wenig Beachtung findet. Manche Patient:innen fühlen sich auch als Menschen 2. Klasse, weil sie sich nicht mehr so leistungsfähig fühlen und für ihren Arbeitgeber möglicherweise nicht mehr attraktiv sein könnten. Das führt manchmal sogar dazu, dass manche Patient:innen ihre Erkrankung dem Arbeitgeber nicht mitteilen wollen, was jedoch nachteilig ist, da mit einer Krebserkrankung ein Schwerbehindertenausweis beantragt werden kann, was je nach Einstufung u.a. bedeutet, dass man Zusatzurlaub oder einen Kündigungsschutz hat.

Leider haben einige Betroffene auch noch Jahre nach der Therapie mit Nebenwirkungen wie z.B. Fatigue zu kämpfen. Die Patient:innen haben also die Belastung aufgrund der Erkrankung und zudem Sorgen, was nun auf sie zukommt. Andere Patient:innen haben zudem Schuldgefühle, und fragen sich, was sie falsch gemacht haben und ob sie erkrankt sind, weil sie ungesund gelebt haben. Sie empfinden oft Traurigkeit oder Wut und denken „Warum ich – ich habe mein Leben lang gearbeitet und jetzt bin ich krank.“ Diese Schuldgefühle etc. sollten relativiert und den Patient:innen erklärt werden, dass der Erkrankung ein multikausales Geschehen zugrunde liegt.

Auch die Familie kann betroffen sein. So kann auch für die Partnerin/den Partner erst einmal eine Welt zusammenbrechen oder gemeinsam für das Paar, das vielleicht gerade kurz vor der Rente ist und das Leben nun ohne anderweitige Verpflichtungen genießen wollte – doch dann kommt die Diagnose Krebs dazwischen.

Unter welchen Ängsten und Be­schwer­den leiden die Pa­tient:innen zusätzlich zu ihrer Krankheit? Welche Probleme können im sozialen Umfeld auftreten? Und wie werden sie entlastet?

Natürlich spielt Angst bei Krebserkrankungen eine große Rolle, auch wenn die behandelnde Ärztin/der behandelnde Arzt betont, dass das eine Erkrankung ist, für die es gute Therapien gibt. Man geht davon aus, dass etwa ein Drittel aller an Krebs erkrankten Patient:innen eine psychische Erkrankung, z.B. Angststörung, Anpassungsstörung oder Depression entwickelt. Sie freuen sich über nichts mehr, sind dünnhäutig und gereizt, was dann oft die Angehörigen zu spüren bekommen. Auch vertrauen die Patient:innen ihrem Körper nicht mehr. Sie haben sich gut gefühlt und werden dann aber mit der Diagnose Krebs konfrontiert, sodass sie sich ohnmächtig und ausgeliefert fühlen.

Für die meisten Krebspatient:innen ist die Erkrankung also psychisch belastend. Die Häufigkeit psychischer Begleiterkrankungen von Tumorpatient:innen wird in der Uro-Onkologie mit etwa 40% angegeben; beim Prostatakarzinom liegt der Anteil bei 24,4%. Dass sich die Patienten beim Prostatakarzinom weniger belastet fühlen, liegt möglicherweise an der guten Prognose und daran, dass Inkontinenz und Potenzstörungen gut behandelbar sind. Bei einem Blasenkarzinom mit Entfernung der Blase ist die Lebensqualität eingeschränkter; daher ist der Anteil der psychisch erkrankten Patient:innen bei dieser Entität höher.

Prävention kommt hier oft zu kurz. Wir Psycholog:innen können die Patient:innen aber beraten, was sie tun und wie sie mit Ängsten oder Stress umgehen können, damit es eben nicht zu einer ernsthaften psychischen Erkrankung kommt, die zusätzlich zur Krebserkrankung belastend ist.

Möglicherweise gibt es hier auch Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Es sollen keine Klischees bedient werden, aber das Rollenmodell kann durchaus einen Einfluss haben. Männer reden ungern über Probleme und sehen sich als Leistungsträger, während Frauen eher gelernt haben, sich über belastende Situationen auszutauschen und sich gegenseitig zu entlasten. Daher versuchen Frauen manchmal auch, ihren Partner davon zu überzeugen, mit einer Psychologin/einem Psychologen oder einer Psycho-Onkologin/einem Psycho-Onkologen zu sprechen. Im ambulanten Bereich sprechen männliche Patienten durchaus mit den behandelnden Urolog:innen, was zeigt, dass sie Vertrauen in deren Meinung haben. Außerdem macht es einen Unterschied, ob sie von sich aus nach einer psycho­onkologischen Beratung fragen oder ob ihnen diese im Arztgespräch oder in einem Fragebogen angeboten wird.

In der Uro-Onkolgie können auch körperliche Einschränkungen die Folge sein. So haben Männer nach einer Prostatakarzinom-Operation vielfach mit Inkontinenz zu kämpfen. Dies ist oftmals vorrangig das erste Thema, das für die Patienten sehr unangenehm und mit vielen Unsicherheiten assoziiert ist – hinzukommt, dass das Thema mit Scham besetzt ist.

Die Potenz spielt dagegen zunächst eine sekundäre Rolle. Mit zunehmender Kontinenzfähigkeit rückt sie jedoch wieder in den Fokus, sodass die Patienten das Gespräch mit der Urologin/dem Urologen suchen, um das Thema Sexualität anzusprechen. Denn die Identifikation – und auch der Selbstwert – eines Mannes hat letztendlich doch viel mit seiner Potenz und seiner Sexualität zu tun, auch wenn die Partnerin das vielleicht gar nicht als belas­tend ansieht, sondern froh ist, dass ihr Mann/Partner die Erkrankung überstanden hat und keine weitere Therapie benötigt.

Ein weiterer Punkt ist die Reaktion des sozialen Umfelds. Es gibt Patient:innen, die gar nicht über ihre Erkrankung reden wollen, manchmal nicht einmal mit Familienangehörigen und auch nicht mit Freunden oder Kolleg:innen, weil sie kein Mitleid wollen. Der ein oder andere Freund meldet sich möglicherweise nicht mehr, wenn er hört, dass jemand aus dem Freundeskreis Krebs hat, weil er das Gefühl hat, nichts tun zu können und daher unsicher ist und weil das auch oft die eigene Angst widerspiegelt, selbst an Krebs zu erkranken. Die Patient:innen erleben dadurch eine Sinnkrise und möchten z.T. auch erst einmal keinen Kontakt mehr, sondern erst behandelt werden und nach der Rehaklinik wieder als diejenige/derjenige von früher in das soziale Umfeld zurückkehren. Daraus kann aber auch Einsamkeit resultieren.

Leistungsminderung und Fatigue sind neben Inkontinenz und Potenzstörungen ebenfalls ein großes Thema, denn es ist nicht einfach, Einschränkungen der Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit zu akzeptieren. Wer berufstätig ist, bemerkt womöglich, dass er nach der Therapie und Reha nicht gleich wieder fit ist und nicht mehr genauso arbeiten kann wie bisher. Die ursprüngliche Belastbarkeit kann manchmal auch gar nicht mehr erreicht werden. Das addiert sich oft noch zu der altersbedingten Leistungsminderung, sodass vor allem ältere Krebspatient:innen viel mehr Zeit brauchen, um ihren Alltag wieder selbstständig zu organisieren und nicht den Pflegedienst dafür beanspruchen müssen. Das bedeutet Lebensqualität für die Patient:innen.

Was die Patient:innen auch stets begleitet, ist die Rezidivangst, die eine Dauerbelastung sein kann. Vor einer Nachuntersuchung haben einige Patient:innen oft schlaflose Nächte. Es ist aber wenig hilfreich, wenn Patient:innen diese Termine aus Angst vor dem Befund nicht nutzen, denn mehrere Nachsorgetermine ohne Befund können Sicherheit geben. Das heißt, die Nachsorge kann für die Patient:innen auch eine positive Bestätigung sein.

Einige Patient:innen wollen oder können sich nicht mit der Krankheit auseinandersetzen. Verdrängung ist zeitweise auch eine Möglichkeit, mit der akuten Belastung umzugehen. Einige Betroffene machen jedoch die Erfahrung, dass eine Verarbeitung so nicht dauerhaft gelingt und sie von ihren Emotionen im Alltag überrascht werden. Es können z.B. körperliche Symptome oder Panikattacken auftreten.

Um die Patient:innen zu entlasten, ist der Beistand der Ärzt:innen und des medizinischen Personals erforderlich. Limitierender Faktor ist dabei jedoch oft die Zeit. Im ambulanten Bereich gestaltet sich das etwas einfacher, da die Patient:innen oft schon jahrelang Kontakt zu ihrer Ärztin/ihrem Arzt haben und mit diesen über ihre Ängste und Sorgen sprechen. In der Klinik haben viele Mitarbeiter:innen durch den Personalmangel leider häufig einfach zu wenig Zeit, mit den Patient:innen zu reden. Das ist ein großes Problem für die Patient:innen, da Fragen oftmals unbeantwortet bleiben, was sie verunsichert und sie sich noch hilfloser fühlen.

Die Krankheitsverarbeitung nach der Diagnose ist ein längerer Prozess, und die Auseinandersetzung mit der eigenen Situation läuft in verschiedenen Phasen ab. Für die meisten Patient:innen ist es erst einmal eine Schocksituation. Daher ist es wichtig, ihnen eine Perspektive und einen möglichst strukturierten Plan aufzuzeigen: wann gehen sie in die Klinik, wann werden sie operiert, wann kommen sie in die Rehaklinik und wie erfolgt die Nachsorge?

Die Unsicherheit, bis die weitere Vorgehensweise geklärt ist und Untersuchungsergebnisse feststehen, ist sehr belastend; viele Patient:innen können nicht schlafen, und auch das soziale Umfeld macht sich Sorgen. Es kann zu einer erlebten existenziellen Verunsicherung kommen. Die Patient:innen fragen sich, wie es weiter geht mit der Familie und mit der Arbeitsstelle oder auch einfach, wer die Enkelkinder aus dem Kindergarten abholt. Es ist für einige Patient:innen dann einfacher, sich über diese Dinge Gedanken zu machen, als sich mit der Angst vor dem Sterben und dem Tod auseinanderzusetzen. Jeder Mensch muss herausfinden, mit welcher Strategie er am besten klarkommt. Gerade zu Beginn müssen die Patient:innen durch das Erledigen bürokratischer Wege „funktionieren“, sodass die Erkrankung zunächst verdrängt bzw. nicht weiter verarbeitet wird. Die Auseinandersetzung damit geschieht dann oftmals nach der Therapie, in der Rehaklinik oder wenn man nach der Entlassung aus der Klink zuhause ist.

Auch die persönlichen Werte verändern sich für einige Betroffenen. So ist der Beruf, der vorher eine große Rolle gespielt hat, in manchen Fällen nicht mehr so wichtig. Es wird sozusagen neu sortiert, was wirklich im Leben zählt. Das kann auch ein ganz spannender Prozess sein und viel Kraft geben. Die psychische Belastung durch die Krebserkrankung muss daher nicht immer in einer Krise enden, sondern es kann durch die Erfahrungen aufgrund der Krankheit zu einer Neuorientierung und vielen Veränderungen im Leben kommen. Man wird mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert und macht nun Dinge, die man schon immer erleben wollte, und zwar jetzt und nicht erst morgen oder übermorgen oder wenn man in Rente geht. Selbstmitgefühl steht im Fokus. Bislang war möglicherweise zu wenig Zeit für sich selbst, was nun hinterfragt wird.  

Wie beraten Sie die Patient:innen zum Thema Therapie? Wie können die Ängste wegen einer Chemo­therapie und den mög­lichen Nebenwirkungen einer Krebs­thera­pie genommen oder zumindest reduziert werden?

Der Gedanke an eine Chemo- und Strahlentherapie macht vielen Pa­tient:innen Angst. Dazu gehört die Angst vor Nebenwirkungen der Therapie, z.B. dass die Haare ausfallen, sie unter anhaltender Übelkeit leiden oder aufgrund einer Polyneuropathie nicht sicher laufen können und ihre selbstständige Lebensführung aufgeben müssen. Die Ängste sind zudem auch darin begründet, dass die Patient:innen die Fakten und Informationen aufgrund der emotionalen Belastung zunächst nicht aufnehmen können. Es wird eine Diagnose gestellt und über den Ablauf der Therapie, die Nebenwirkungen und die Nachsorge gesprochen, die Patient:innen sind jedoch noch im Verarbeitungsprozess, beschäftigen sich erst einmal z.B. mit der Familie, und sind daher gar nicht aufnahmefähig für die Therapiemöglichkeiten. Die Aufgabe in der Psycho-Onkologie ist es nun, die Patient:innen in diesem Prozess zu unterstützen und zu begleiten.

Im Rahmen der psychologischen Beratung wird nachgefragt, wovor die Betroffenen Angst haben. Oftmals helfen Informationen, diese Ängste zu bewältigen. Es ist hilfreich, den Patient:innen mitzuteilen, dass eine Therapie auch abgebrochen werden kann. Oder dass es bei Angst vor Übelkeit Medikamente gibt, die bereits prophylaktisch gegeben werden können. Die Patient:innen sollen generell nicht zu einer Therapie überredet werden. Wichtig sind seriöse Informationen. Wenn die Entscheidungen, was die eigene Therapie angeht, darauf basieren, was z.B. in Foren geschrieben wird, ist das dagegen nur selten hilfreich, im Gegenteil. Umso wichtiger ist das Gespräch mit den Ärzt:innen und Psycholog:innen.

Welchen Beitrag können Familie und das soziale Umfeld leisten?

Viele Patient:innen trauen sich nicht, Bekannte oder Nachbarn zu fragen, ob diese evtl. für sie mitkochen und Einkäufe tätigen könnten, um niemandem zur Last zu fallen. Die Patient:innen sollten aber dahingehend motiviert werden, nach Hilfe zu fragen, denn Freunde und Bekannte möchten oftmals unterstützen und etwas tun. Natürlich kann es passieren, dass die Bitte abgelehnt wird. Doch das sollte nicht als Kränkung angesehen werden. Es ist wichtig, sich davon frei zu machen, was andere vielleicht denken. Natürlich ist es in so einer Situation nicht immer einfach, das so pragmatisch zu sehen, aber ein Perspektivwechsel hilft manchmal ungemein.

Welche Strategien können den Pa­tient:innen zur Entlastung empfohlen werden?

Ich gebe den Patient:innen manchmal „Hausaufgaben“, um die Zeit, in der sie sich belastet fühlen, konstruktiv zu nutzen. Sie können beispielsweise ambulante Unterstützungsangebote, z.B. Therapeut:innen für ambulante Psychotherapie in Wohnortnähe suchen. Eine weitere Empfehlung ist, z.B. nach jeder Mahlzeit spazieren zu gehen, das ist auch mit dem Infusionsständer auf dem Krankenhausflur möglich. Bewegung ist eine körperliche Entlastung und damit eine äußerst wichtige Technik, um die Gedanken zu sortieren und um die Angst und die daraus resultierende Anspannung zu reduzieren. Spazieren gehen und Aufenthalte in der Natur hören sich banal an. Studien haben aber gezeigt, dass Bewegung bei Niedergeschlagenheit oder leichten Depressionen den gleichen Therapieerfolg hat wie eine medikamentöse Therapie. Bewegung hat grundsätzlich einen positiven Effekt und ist für die meisten gut umsetzbar. Es geht nicht um eine bestimmte Distanz, die zurückgelegt werden muss, sondern darum, sich überhaupt zu bewegen – und das tut den Patient:innen in der Regel sehr gut.

Anspannung kann auch durch geeignete Entspannungsverfahren wie autogenes Training, Yoga, Atem­übungen oder Fantasiereisen abgebaut werden. Dies können Patient:innen in der Klinik lernen. Im ambulanten Bereich empfehle ich den Patient:innen Präventionskurse, die von den Krankenkassen angeboten werden. Es gibt inzwischen auch viele Online-Angebote, die die Teilnehmer:innen gut durch das Training leiten. Auf diese Weise können die Patient:innen ihre Psyche, ihre Kraft und ihr Immunsystem selbst aktiv stärken, statt die Energie dafür zu nutzen, sich darüber Gedanken zu machen, wen sie durch ihre Krankheit belasten könnten.

Der Stressabbau durch verschiedene Übungen hilft enorm dabei, das Gefühl des Ausgeliefertseins und Kontrollverlustes zu verarbeiten. Für Patient:innen, die selbst etwas tun können, kann das ein großer Motivationsschub sein. Es kann helfen, die Bewältigung der Situation damit eher als eine Herausforderung als eine Belastung zu betrachten.

Generell gibt es kein Patentrezept im Umgang mit Krebs und der Angst aufgrund der Erkrankung. Die Angst bleibt: vor Routineuntersuchungen oder vor einem Rezidiv, und dass man eine Sicherheit im Leben verloren hat. Wichtig ist daher vor allem, Lebensfreude, Achtsamkeit und Selbstmitgefühl zu fördern.

Das gelingt durch eine individuelle Beratung, wobei diese oftmals leichter angenommen wird, wenn die Gespräche mit einer neutralen Person geführt werden. Denn kaum jemand möchte zu Familie, Angehörigen und Freunden sagen, dass man Angst vor dem Sterben hat. Das führt oft dazu, dass die Patient:innen dann ihre Angehörigen trösten müssen, wofür sie jedoch keine Kraft haben.

Wie gestaltet sich die psychologische Betreuung von Patient:innen in der Palliativsituation?

Wenn die Patient:innen erfahren, dass sie nur noch wenige Monate zu leben haben, ist das natürlich ein schmerzliches Gespräch. Die Betroffenen sind traurig, weinen und erzählen dann oft aus ihrem Leben. Es sind immer sehr interessante Lebensgeschichten und Strategien, die die Menschen anwenden, um mit der Situation umzugehen. Den meisten Patient:innen gelingt es, diese Situation zu akzeptieren, wobei die Verarbeitung auch in der palliativen Situation phasenweise unterschiedlich verläuft, was sich dann manchmal gegen die engsten Familienmitglieder richten kann. Es kann auch eine Belastung für Sterbende sein, wenn die Angehörigen nicht loslassen können. Daher sollte der Rat der behandelnden Ärzt:innen, was aus medizinischer Sicht in dieser Situation sinnvoll ist, angenommen werden.

Die Patient:innen sollten sich auch trauen, mit den Angehörigen zu sprechen und ihre Wünsche und Ängste – oft sorgen sich die Betroffenen vor allem darüber, was aus ihrer Familie wird – zu äußern oder wenn das Gespräch zu schmerzhaft ist, ihre Gedanken ggf. aufzuschreiben. In einer palliativen Situation ist der Wunsch nach Schmerzfreiheit für die Betroffenen und deren Angehörige oftmals am wichtigsten. Geht es den Betroffenen körperlich schon sehr schlecht, sind die Ressourcen der Angehörigen gefragt. Das können u.a. soziale Ressourcen wie Freunde und Familienmitglieder oder auch religiöse Ressourcen sein.

Grundsätzlich ist die Situation meist mit Trauer und Verlust verbunden. Es gibt keine Garantie dafür, dass diese Zeit schmerzfrei und ohne Probleme für die Angehörigen ist. Dass die betroffenen Menschen – Patient:innen sowie deren Angehörige – traurig sind , kann aus meiner Sicht als Zeichen für eine gute Beziehung zu Familie und Freunden gewertet werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

JOURNAL ONKOLOGIE 12/2021