Prostatakrebs: IQWiG sieht keinen Anhaltspunkt für höheren Nutzen oder Schaden durch Fusionsbiopsie

Im Auftrag des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) bewertete das Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement in Kooperation mit weiteren Sachverständigen, ob bei einem Verdacht auf Prostatakarzinom die Betroffenen von einer Anwendung der Fusionsbiopsie im Vergleich zur bisher üblichen Ultraschallbiopsie profitieren können.

Ihr Ergebnis: Keines der Verfahren weist eindeutige Vorteile auf. Hinsichtlich der patientenrelevanten Endpunkte „Mortalität“, „schwerwiegende unerwünschte Ereignisse“, „gesundheitsbezogene Lebensqualität“, „Anzahl der Behandlungen“ sowie „Anzahl der Rebiopsien“ zeigten sich in drei randomisierten kontrollierte Studien (randomized controlled trials, RCTs) keine statistisch signifikanten Unterschiede.

Für den alleinigen Endpunkt „vermiedene Biopsien“ zeigte sich allerdings in einer internationalen multizentrischen Studie ein Effekt: Bei 28 Prozent der Männer wurde aufgrund der vorgelagerten multiparametrischen Magnetresonanztomographie (mpMRT) keine Biopsie durchgeführt. Dies wird zwar als Vorteil gesehen; dieser ist aber nur von einem wirklichen Nutzen für den Patienten, wenn durch die vermiedene Biopsie kein klinisch signifikantes Prostatakarzinom übersehen wird.

Um aber das Risiko falsch negativer Befunde abschließend beurteilen zu können, sind nach Ansicht des Essener Wissenschaftlerteams weitere Untersuchungen im Rahmen qualitativ hochwertiger Studien notwendig. Diese sollten alle patientenrelevanten Endpunkte berücksichtigen sowie einen längeren Nachbeobachtungszeitraum haben als die vorliegenden drei RCTs. Derzeit leiten die Sachverständigen deshalb auch für den Endpunkt „vermiedene Biopsien“ keinen Hinweis auf einen Nutzen einer Anwendung der Fusionsbiopsie ab – trotz des vorliegenden Effekts.

Damit ergibt sich bezogen auf die patientenrelevanten Endpunkte kein Anhaltspunkt für einen (höheren) Nutzen oder (höheren) Schaden der Fusionsbiopsie im Vergleich zur transrektalen Ultraschall-Biopsie.

Auch hinsichtlich ethischer, rechtlicher, sozialer und organisatorischer Aspekte sind laut Aussage der Expertinnen und Experten keine deutlichen Argumente zugunsten einer der Technologien zu erkennen.

Fusionsbiopsie mit vorgeschalteter mpMRT

Besteht der Verdacht auf ein Prostatakarzinom, wird entweder ambulant oder stationär eine Prostatabiopsie durchgeführt. Diese erfolgt in der Regel per transrektaler oder transperinealer Ultraschallbiopsie. Hierzu wird eine Ultraschallsonde eingeführt und beim Erreichen des verdächtigen Areals werden Biopsienadeln ausgelöst. Bei der nun untersuchten Strategie der Anwendung der Fusionsbiopsie geht der Prostatabiopsie immer eine bildgebende Darstellung der Prostata mittels mpMRT voraus. Die so gewonnenen Bilder werden zunächst bewertet; gegebenenfalls wird dann in den verdächtigen Arealen eine Biopsie durchgeführt. Durch die Fusionierung der MRT-Bilder mit den Echtzeit-Ultraschallbildern bei der eigentlichen Biopsie können die verdächtigen Areale sehr gezielt biopsiert werden.

Bürgeranfrage löste Bericht aus

Ausgangspunkt des jetzt vorliegenden vorläufigen Berichts war die im Rahmen des “ThemenCheck Medizin” gestellte Frage eines Bürgers, ob die Anwendung der Fusionsbiopsie die transrektale Ultraschallbiopsie als Erstbiopsie bei Verdacht auf ein Prostatakarzinom ersetzen kann.

Mit dieser Frage verbindet sich die Hoffnung, dass die Anwendung der Fusionsbiopsie als Erstbiopsie behandlungsbedürftige Prostatakarzinome frühzeitiger entdecken und unnötige Biopsien vermeiden kann. Die Fusionsbiopsie könnte so nicht nur die Gefahr an einem Prostatakarzinom zu versterben vermindern, sondern auch das Risiko, aufgrund einer Biopsie unerwünschte Ereignisse zu erleiden.

Zu den Besonderheiten von „ThemenCheck Medizin“ gehört, dass die Fragestellungen der Berichte immer auf Vorschläge aus der Bevölkerung zurückgehen. Das IQWiG sammelt diese und wählt pro Jahr bis zu fünf Themen aus. Ein Auswahlbeirat bringt dabei die Bürger- und Patientensicht mit ein, ein Fachbeirat die Expertenperspektive.

IQWiG bittet um Stellungnahmen bis 10. Juli

Zu diesem vorläufigen Bericht bittet das IQWiG bis zum 10.07.2020 um Stellungnahmen. Es handelt sich dabei um ein sogenanntes Health-Technology-Assessment (HTA) aus dem durch Gesetzesauftrag 2016 gestarteten IQWiG-Verfahren „ThemenCheck Medizin“. Stellungnahmen können alle interessierten Personen, Institutionen und Gesellschaften abgeben. Gegebenenfalls wird eine wissenschaftliche Erörterung zur Klärung von weitergehenden Fragen aus den schriftlichen Stellungnahmen durchgeführt. Die Anhörung kann zu Änderungen und/oder Ergänzungen des vorläufigen HTA-Berichts führen.

Die HTA-Berichte werden nicht vom IQWiG selbst verfasst, sondern von beauftragten externen Sachverständigen. Deren Bewertung wird gemeinsam mit einer allgemein verständlichen Kurzfassung (HTA kompakt) und einem Herausgeberkommentar des IQWiG veröffentlicht.

(IQWiG/ms)