Prostatakarzinom: Androgene von Darmbakterien gefährden Therapieerfolg

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London – Die Hormonbehandlung, die beim fortgeschrittenen Prostatakarzinom die Ausschaltung der Androgenproduktion zum Ziel hat, fördert offenbar im Darm die Ausbreitung von Bakterien, die eben diese Hormone bilden und damit die Wirksamkeit der Behandlung gefährden. Zu diesem Ergebnis kommen experimentelle Studien in Science (2021; DOI: 10.1126/science.abf8403), die Anregungen für neue Therapien liefern.

Die von den Hoden gebildeten Testosterone sind der wichtigste Wachstumsfaktor für das Prostatakar­zinom, und die hormonelle Androgen-Deprivation gehört seit langem zur Standardbehandlung fortge­schrittener Erkrankungen. Doch weder eine chirurgische Kastration noch eine Hormonbehandlung können das Wachstum der Krebszellen auf Dauer stoppen. Für diese Resistenz gibt es mehrere Gründe, eine könnte eine Veränderung der Darmflora sein.

Ein Team um Andrea Alimonti von der Università della Svizzera italiana in Bellinzona hat den Einfluss der Darmflora auf das Krebswachstum zunächst an Mäusen untersucht, bei denen die Erkrankung durch eine Transplantation oder einen Gendefekt ausgelöst wurde. Bei den Tieren kommt es wenige Wochen nach einer Kastration zu einem erneuten Krebswachstum.

Die Behandlung mit einem Breitbandantibiotikum, das die Zahl der Darmbakterien radikal reduzierte, verzögerte das Krebswachstum und verlängerte die Überlebenszeit der krebskranken Tiere. In einem weiteren Experiment konnten die Forscher das Krebswachstum per Stuhltransplantation auf andere Mäuse übertragen, die sich nach der Kastration noch in einer Remission befunden hatten.

Die gleiche Wirkung erzielte eine Stuhltransplantation von Patienten, bei denen es unter der Hormon­therapie erneut zum Tumorwachstum gekommen war: Die menschlichen Darmbakterien stimulierten bei den Mäusen das Krebswachstum.

Die Forscher analysierten dann Stuhlproben von Männern mit Prostatakrebs. Sie fanden heraus, dass ein bestimmtes Bakterium – Ruminococcus gnavus – offenbar eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Resistenzen spielt. Im Gegensatz dazu wurde das Bakterium Prevotella stercorea mit einem günstigen klinischen Ergebnis in Verbindung gebracht. Bei Mäusen führte die orale Gabe von Ruminococcus gnavus dazu, dass es nach einer Kastration zu einem beschleunigten Krebswachstum kam.

Die Forscher konnten auch nachweisen, dass die Darmbakterien in der Lage waren, Testosteron zu produzieren. Die intravenöse Injektion einer markierten Vorstufe (Pregnenolon) führte nach der Ausscheidung über die Galle zur Synthese von Testosteron im Darm der Tiere, das später in der Blutbahn der Tiere nachgewiesen wurde.

An Minitumoren, sogenannten Organoiden, die im Labor aus den Krebszellen von Patienten gezüchtet wurden, konnten die Forscher die bakteriellen „Fingerabdrücke“ ermitteln, die ein erneutes Krebswachs­tum fördern oder verhindern. Diese Erkenntnisse könnten Anregungen für neue Behandlungsansätze liefern.

So könnte versucht werden, bei Patienten, die sich einer Hormontherapie unterziehen, durch eine gezielte Antibiotikagabe die testosteronproduzierenden Bakterien im Darm abzutöten und/oder mit einer Stuhltransplantation durch andere Bakterien zu ersetzen, die das Krebswachstum hemmen.

Auch eine probiotische Behandlung mit günstigen Bakterien in einem Joghurtgetränk könnte sich anbieten. Beides müsste zunächst in klinischen Studien untersucht werden. Völlig unklar ist derzeit, wieso es unter der Hormontherapie Androgenüberhaupt zur Änderung der Darmflora kommt. © rme/aerzteblatt.de