Omega-3-Fettsäuren: viel Reklame, viele Studien, aber wenig Evidenz

Dr. med. Thomas Kron  Medizinische Nachrichten  22.03.2022

Nahrungsergänzungsmittel, die Omega-3-Fettsäuren enthalten, werden seit Jahren nicht nur gerne konsumiert, sondern auch wissenschaftlich erforscht. Im Fokus der Forscher steht dabei im Wesentlichen der Nutzen solcher Präparate bei kardiovaskulären und bei neurologischen sowie psychischen Erkrankungen. Eine kürzlich erschienene Studie zu Omega-3-Fettsäuren bei Depressionen hat den Neurologen Professor Dr. Hans-Christoph Diener (Duisburg-Essen) dazu angeregt, sich etwas näher mit wissenschaftlichen Publikationen zu Omega-3-Fettsäuren oder Fischöl-Kapseln zu befassen. Über seine Erkenntnisse hat er in einem Video-Beitrag auf „medscape.de” berichtet. 

Beugen Omega-3-Fettsäuren Depressionen vor?

Im Dezember sei er, erzählt Diener, auf eine interessante Publikation im Fachmagazin „JAMA“ gestoßen. Es handelte sich um eine placebo-kontrollierte Studie, in der untersucht wurde, ob Omega-3-Fettsäuren das Entstehen einer Depression verhindern können. Wie die Autoren der Studie berichteten, war die Behandlung mit Omega-3-Präparaten bei Erwachsenen im Alter von 50 Jahren oder älter ohne klinisch relevante depressive Symptome bei Studienbeginn mit einem geringen, aber statistisch signifikanten Anstieg des Risikos für Depressionen oder klinisch relevante depressive Symptome assoziiert; einen Unterschied bei den Stimmungswerten über einen medianen Follow-up von 5,3 Jahren habe es hingegen nicht gegeben. Diese Ergebnisse sprächen nicht für die Gabe von  Omega-3-Präparaten zur Prävention von Depressionen, so das Fazit der Studienautoren.

Diese Studie war, wie Diener nun berichtet hat, zwar negativ, habe aber sein Interesse geweckt an Fragen wie jene, welche  biologischen Wirkungen Omega-3-Fettsäuren hätten und was „man über diese Thematik auch in Bezug auf die Neurologie“ wisse. Was ihm dann bei einer Literaturrecherche aufgefallen sei, „waren Assoziationsstudien, also Studien, die beschreiben, dass möglicherweise die Einnahme von Omega-3-Fettsäuren mit einem geringeren Risiko für bestimmte Krankheiten einhergeht“.

Es begann mit Eskimos

Begonnen habe „das Ganze mit Beobachtungen bei Eskimos in Grönland und Alaska nach dem 2. Weltkrieg, weil dort auffiel, dass sich diese Menschen viel von Fisch und Robbenfleisch ernähren und eine sehr niedrige Inzidenz von kardiovaskulären Erkrankungen haben“. Im Lauf der Jahre seien dann fast unendlich viele Assoziationsstudien publiziert worden, die zu der Vermutung geführt hätten, dass Omega-3-Fettsäuren positive gesundheitliche Effekte bei einer Vielzahl unterschiedlicher Erkrankungen  hätten – und zwar bei:

  • Kardiovaskulären Erkrankungen
  • Hyperlipidämie
  • Typ-2-Diabetes
  • verschiedene Malignome
  • kognitive Beeinträchtigungen
  • Alzheimer-Erkrankung
  • Depression und Angsterkrankungen
  • Herzinsuffizienz
  • Bandscheibenvorfälle
  • Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom
  • Beschwerden während der Menopause
  • rheumatoide Arthritis
  • Asthma
  • Parodontitis
  • Epilepsie
  • Verträglichkeit von Chemotherapie
  • prämenstruelles Syndrom und
  • nicht alkoholische Fettleber.

Das Problem dabei ist laut Diener, dass es sich um Assoziationsstudien handelt. Aber Assoziation heiße nicht, dass ein kausaler Zusammenhang bestehe.

Enttäuschende Resultate in randomisierten und kontrollierten Studien 

Wirklich frustrierend sind nach Angaben des Neurologen hingegen die Ergebnisse der randomisierten placebo-kontrollierten Studien. So gebe es eine Metaanalyse zum Einsatz von Omega-3-Fettsäuren bei kardiovaskulären Erkrankungen. Eingeschlossen wurden 86 Studien mit über 162.000 Patienten. Hier ergab sich laut Diener kein Nutzen für die Gesamt- und kardiovaskuläre Sterblichkeit, kein Nutzen für die Reduktion von Herzinfarkt und Schlaganfall. Es sei lediglich ein Trend für eine reduzierte Sterblichkeit bei koronarer Herzkrankheit festgestellt worden; doch die NNT liege bei 334, das bedeute, es müssten 334 Menschen über Jahre hinweg Omega-3-Fettsäuren zu sich nehmen, um ein tödliches kardiales Ereignis zu verhindern.

Gefunden hat Diener bei seiner Recherche außerdem sechs Studien zur Alzheimer-Erkrankung und drei weitere Studien zur Demenz mit Patientenzahlen zwischen 600 und 800. Auch in diesen Studien seien keine positiven Effekte von Omega-3-Fettsäuren festgestellt worden. Dann habe er noch 31 placebo-kontrollierte Studien zur Frage der Therapie oder der Verhinderung von Depression und Angsterkrankung entdeckt. Auch diese Studien mit über 50.000 Patienten hätten keine positiven Effekt gezeigt.

Dieners Fazit: „Ich sehe eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Werbung für Omega-3-Fettsäuren, sei es im Fernsehen, sei es in der Yellow Press, sei es in Anzeigen, und der tatsächlichen wissenschaftlichen Evidenz. Zumindest in der Neurologie gibt es keinen Beleg dafür, dass Omega-3-Fettsäuren einen Nutzen haben. Das gilt für Schlaganfälle, Demenz, Alzheimer-Krankheit, Depression und Angsterkrankungen.“

Bei hoher Dosierung vielleicht schädlich

Möglicherweise haben Omega-3-Fettsäuren sogar eher unerwünschte, also gesundheitsschädliche Effekte. So hat zum Beispiel erst kürzlich eine Studie – die VITAL-Rhythmus-Studie – einen Hinweis darauf geliefert, dass Präparate mit Omega-3-Fettsäuren in Abhängigkeit von der Dosis das Risiko für Vorhofflimmern erhöhen könnten. Die Ergebnisse sprechen den Autoren zufolge nicht dafür, zur Prävention von Vorhofflimmern Omega-3-Fettsäuren einzunehmen. 

2019 erreichte der globale Markt für Omega-3-Fettsäuren 4,1 Milliarden US-Dollar; es werde erwartet, dass er sich bis 2025 verdoppeln werde, hieß es in einem Kommentar von Dr. Gregory Curfman (stellvertr. Chefredakteur des „JAMA“). Diese beeindruckenden Ausgaben zeigen laut Curfman, wie beliebt diese Produkte sind und wie stark der Glaube vieler Menschen ist, dass Omega-3-Fettsäuren ihrer Gesundheit zuträglich seien. Wichtig sei daher, potenzielle Risiken solcher Präparate zu kennen. Dazu zähle zum Beispiel das Risiko für Vorhofflimmern.

In den letzten zwei Jahren haben laut Curfman vier randomisierte klinische Studien Daten zum Risiko von Vorhofflimmern bei Einnahme von Omega-3-Fettsäuren geliefert. In der STRENGTH-Studie wurden 13078 Hochrisiko-Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen randomisiert auf zwei Gruppen aufgeteilt; die Teilnehmer erhielten entweder eine hohe Dosis (4 g/d) einer Kombination aus Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) oder Maisöl. Nach einem Median von 42 Monaten gab es zwar keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Gruppen beim primären zusammengesetzten kardiovaskulären Endpunkt, aber häufiger Vorhofflimmern in der Omega-3-Fettsäuren-Gruppe im Vergleich zur Maisöl-Gruppe (2,2 % vs. 1,3 %; Hazard Ratio, 1,69; 95 % CI, 1,29-2,21; P < .001).

In der REDUCE-IT-Studie wurden 8179 Teilnehmer auf eine hohe Dosis (4 g/d, wie in STRENGTH) eines Omega-3-Fettsäure-Präparats, bestehend aus gereinigtem EPA (Icosapentethyl) oder Mineralöl, randomisiert. Nach einer medianen Beobachtungszeit von 4,9 Jahren führte Icosapentethyl im Vergleich zu Mineralöl zu einer relativen Reduktion des primären zusammengesetzten kardiovaskulären Endpunkts um 25 Prozent. Wie in der STRENGTH-Studie war das Risiko für Vorhofflimmern unter Omega-3-Fettsäuren im Vergleich zu Mineralöl auch in dieser Studie signifikant erhöht (5,3 % gegenüber 3,9 %; p = .003).

In einer dritten Studie (OMEMI) wurden, wie Curfman weiter berichtete, 1027 ältere Patienten, die kürzlich einen Myokardinfarkt erlitten hatten, randomisiert, um eine mittlere Dosis, 1,8 g/d, Omega-3-Fettsäuren (eine Kombination aus EPA und DHA) oder Maisöl zu erhalten. Nach zwei Jahren gab es keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Gruppen beim primären zusammengesetzten kardiovaskulären Endpunkt, aber 7,2 Prozent der Patienten mit Omega-3-Fettsäuren entwickelten Vorhofflimmern; in der Maisöl-Gruppe betrug der Anteil 4,0 Prozent (Hazard Ratio, 1,84; 95% CI, 0,98-3,45; P = .06).

Zusammengenommen deuten laut Curfman die Daten aus den vier Studien darauf hin, dass es ein dosisabhängiges Risiko für Vorhofflimmern bei der Einnahme von Omega-3-Fettsäuren geben könnte:  So  habe es bei einer Dosis von 4,0 g/d einen hoch signifikanten Anstieg des Risikos gegeben (fast eine Verdoppelung). Bei einer mittleren Dosis von 1,8 g/Tag habe die Risikoerhöhung (Hazard Ratio1,84) keine statistische Signifikanz erreicht; bei einer täglichen Standarddosis von 840 mg/Tag sei keine Risikoerhöhung festgestellt worden.

Empfehlung von Curfman: Patienten, die Präparate mit Omega-3-Fettsäuren einnehmen oder einnehmen wollen, sollten zur möglichen Entwicklung dieser Arrhythmie bei hoher Dosierung aufgeklärt und auch kardiologisch überwacht werden.