Nerventransplantate sollen Erektionsfähigkeit nach Prostatektomie wiederherstellen

/Svyatoslav Lypynskyy, stockadobecom
Sao Paulo und Melbourne – Nerventransplantate aus dem Unterschenkel sollen Männern, die nach einer Prostatektomie unter einer erektilen Dysfunktion leiden, wieder zu einem befriedigenden Sexualleben verhelfen. Nach den Erfindern der Operation aus Brasilien berichten jetzt auch Urologen aus Australien in European Urology (2019; doi: 10.1016/j.eururo.2019.03.036) über Erfolge mit der ungewöhnlichen Operation, die auf die neuronale Plastizität des Gehirns setzt.
Nach einer radikalen Prostatektomie, aber auch nach einer Strahlentherapie, kommt es häufig zu einer erektilen Dysfunktion. Die Ursache ist meist eine Beschädigung der beiden Nervi pudendus, die an der Prostata vorbei verlaufen. Nervenerhaltende Operations­verfahren können die erektile Dysfunktion nicht immer verhindern und die Wirksamkeit von Phosphodiesterase-5-Hemmern ist begrenzt.
Die Lösung, die der brasilianische Chirurg Fausto Viterbo aus  Botucatu (westlich von Sao Paulo) vorschlägt, besteht aus 4 Nerventransplantaten. Sie stammen vom Nervus suralis, einem rein sensiblen und damit entbehrlichen Nerven des Unterschenkels, und werden für eine neue nervale Verbindung zum Penis genutzt.
Die Verbindung besteht auf der einen Seite aus einer End-zu-Seit-Verbindung zum Nervus femoralis in der Leistenbeuge. Die andere Seite endet einmal blind im Corpus cavernosum. Das andere Mal wird das Transplantat End-zu-End mit dem zu diesem Zweck durchtrennten Nervus dorsalis penis verbunden, einem Endast des Nervus pudendus. Viterbo schafft bei der Operation insgesamt 4 neue Verbindungen, 2 zur rechten und 2 zur linken Leiste.
Die Interponate sollen die Verbindungen zum Gehirn wieder herstellen, die durch Prostatektomie oder Radiotherapie verloren gegangen sind. Die Behandlung setzt zum einen darauf, dass durch die Nervennähte („Neurorrhaphie“) neue Axone sprießen und die glatten Muskelzellen des Penis neu innervieren. In anderen Bereichen haben sich Neurorrhaphien als erfolgreich erwiesen. Zum anderen muss das Gehirn lernen, die neuen Wege auch zu nutzen, was aufgrund der neuronalen Plastizität ebenfalls möglich sein sollte.
Die medizinische Evidenz kann sich bisher nur auf 2 Fallserien stützen. Die erste veröffentlichte Viterbo vor 2 Jahren in BJU International (2017; 119: 948-954). Von 10 Männern, die nach einer Prostatektomie seit mindestens 2 Jahren keinen Geschlechts­verkehr mehr hatten, waren nach der Neurorrhaphie 6 zur Penetration fähig. Die anderen 4 erreichten laut Viterbo eine partielle Erektion. Da die Axone einige zeit benötigen, bevor sie durch die neue Leitschiene den Schwellkörper erreichen, vergingen 5,1 Monate, bis die Männer erste leichte Erektionen hatten. Nach etwa 8,5 Monaten kam es zu mittelstarken Erektionen und nach 9,9 Monaten zu starken Erektionen. Der erste Geschlechtsverkehr war im Durchschnitt nach 13,7 Monaten möglich, wobei die Häufigkeit zwischen einmal täglich und einmal monatlich schwankte.
Ein Team um Christopher Coombs von der Universität in Sydney hat die Operation jetzt modifiziert. Die australischen Urologen verzichten auf eine Verbindung zum Nervus dorsalis penis. Auf beiden Seiten wurde nur ein Transplantat zwischen dem Nervus femoralis und dem Corpus cavernosum geschaffen, das sie wie die brasilianischen Kollegen aus dem Nervus suralis entnahmen.
 
Die ersten 17 Patienten waren im Durchschnitt 64 Jahre alt und seit ihrer Prostatektomie, die im Mittel 2,2 (nervenschonende) und 2,4 Jahre (nicht nervenschonende Operation) zurücklag, nicht mehr zu Erektionen in der Lage.
12 Monate nach der Operation berichteten 12 der 17 Patienten, dass sie wieder Geschlechtsverkehr hätten. Darunter waren laut Coombs 2 Patienten, die das erste Mal seit 12 Jahren eine Erektion erlebten. 3 weitere Männer hatten keinen penetrativen Sex, berichteten aber über eine signifikante Verbesserung ihrer Sexualfunktion.
Beide Chirurgenteams führen die Operation, die zwischen zweieinhalb und 4 Stunden dauert, minimalinvasiv durch. Die australischen Patienten konnten die Klinik bereits am nächsten Tag verlassen. Schwere Komplikationen scheinen nicht aufgetreten zu sein.
Da die Fallzahlen jedoch insgesamt gering sind, lassen sich die Möglichkeiten der Operation derzeit nicht abschätzen. Da es in beiden Studien keine Vergleichsgruppe gab (im Idealfall mit Scheinoperation), kann ein Placeboeffekt nicht ausgeschlossen werden. © rme/aerzteblatt.de