Nächste Etappe für elektronische Patientenakte startet im Juli

Berlin – Das große Digitalisierungsprojekt des deutschen Gesundheitswesens, die elektronische Patien­ten­akte (ePA), hat einen wichtigen Meilenstein erreicht: Zum 1. Juli müssen alle Arztpraxen an die digita­le Telematikinfrastruktur des Gesundheitswesens (TI) angeschlossen sein.

Nach Auskunft der Kassen­ärztliche Bundesvereinigung (KBV) sind „nahezu alle Praxen der niedergelas­senen Ärzte und Psycho­thera­peuten“ an die TI angeschlossen, die einen sicheren und schnellen Daten­aus­tausch im Gesundheits­wesen ermöglicht. Der Teufel bei der ePA-Einführung liegt allerdings im Detail: Um die digitale Akte nutzen zu können, brauchen die Praxen nämlich noch ein Update für ihren Kon­nek­tor.Anzeige.

„Am Markt gibt es drei Hersteller, einer davon bietet derzeit das notwendige, zertifizierte Update an“, sagte KBV-Sprecher Roland Stahl. Bei den anderen beiden sei die Aktualisierung angekündigt. Hier sei es aber fraglich, ob es für die Praxen fristgerecht verfügbar sein werde. So könnte es noch einige Zeit dau­ern, bis tatsächlich alle Arztpraxen die ePA befüllen können.

Zunächst werden die Versicherten in der ePA die gesetzlich vorgegebenen Funktionen finden, etwa grund­legende medizinische Daten, den Notfalldatensatz und einen elektronischen Medikationsplan so­wie selbst eingegebene Werte wie Blutdruckmessungen oder Daten aus Fitnesstrackern. Einige Kassen bieten weitere Funktionen an, etwa Impf- und Vorsorgeempfehlungen, Übersichten zur Arbeitsunfähigkeit sowie Informationen über Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte.

Ab 2022 sollen dann auch der Impfausweis, der Mutterpass, das Untersuchungsheft für Kinder und das Zahnbonusheft digital abrufbar sein. Doppeluntersuchungen könnten somit zukünftig vermieden und das Risiko von Behandlungsfehlern minimiert werden, heißt es. Außerdem könnte die Forschung von anony­men digitalisierten Patientendaten profitieren.

Start des E-Rezeptes

Ebenfalls am 1. Juli startet ein Pilotversuch zum elektronischen Rezept (E-Rezept) in Berlin und Branden­burg: Rund 50 Arztpraxen und 120 Apotheken werden das E-Rezept testen und bewerten. Das E-Rezept erleichtere in der Arztpraxis den Ablauf, sagt Markus Leyck Dieken, Geschäftsführer der Gematik.

„Wir wissen aus der Pilotphase, dass auch für die Arzthelferin das Management als E-Rezept eine Zeit­ersparnis bedeutet. Für den Patienten bedeutet es häufig, bestimmte Wege gar nicht gehen zu müssen.“ Das E-Rezept soll zum Januar 2022 verpflichtend für alle Praxen kommen. Bereits ein Quartal zuvor, zum Oktober 2021, ist die elektronische Arbeitsunfähigkeits­bescheinigung (eAU), gesetzlich vorgeschrieben.

Die KBV bezweifelt, dass der Pilotversuch ausreicht, um das ambitionierte Digitalprojekt zum Erfolg zu führen. „Um den Start des E-Rezepts in ganz Deutschland zum Januar 2022 sicherzustellen, muss die Tech­nik für alle verlässlich rechtzeitig verfügbar sein“, so KBV-Sprecher Stahl. Die Praxen müssten sich darauf verlassen können, dass die Technik ausgereift sei. Dabei hätte sich die KBV einen größeren Pilot­versuch gewünscht.

Heyo K. Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Berliner Charité, dagegen hält die Einführung des digitalen Workflows für überfällig. „Das E-Rezept in Deutschland bedeutet sicherlich einen wesentlichen Fort­schritt. Aber der Fortschritt wäre natürlich noch besser gewesen, wenn er 2011 gekommen wäre und nicht erst 2021“, sagte er. „Wir müssen unbedingt das Bewusstsein dafür schaffen, dass eine umfassende Digitalisierung des Gesundheitswesens dringend notwendig ist.“

„Zum einen zwingt uns die demografische Entwicklung dazu: In den kommenden acht Jahren werden so viele Fachkräfte in der Medizin in den Ruhestand gehen, dass wir ohne eine kon­se­quente Digitalisierung die Leistungen, die in Deutschland selbstverständlich sind, auf gar keinen Fall aufrechterhalten können. Wir können uns nicht mehr leisten, dauernd Doppeluntersuchungen zu machen.“

Kroemer verwies außerdem auf die „neue Konkurrenz, die über das Internet und Gesundheitsgadgets vir­tuell mit am Tisch sitzt“. „Eine Apple Watch zum Beispiel kann mit einer Art EKG feststellen, ob ein Pa­tient Vorhofflimmern, eine häufige Herzrhythmusstörung, hat oder nicht. An so einer Diagnose hängen bislang drei Arbeitsplätze in einem Krankenhaus wie der Charité: ein Arzt, eine Pflegekraft und eine Ver­waltungskraft.“

Man werde Apple nicht unmittelbar Konkurrenz machen können. „Aber schon wenn wir mit solchen Anbie­tern im Sinne einer Systempartnerschaft zusammenarbeiten wollen würden, dann funktioniert das natürlich nur, wenn wir uns auf Augenhöhe begegnen können.“ Das setze voraus, dass die Krankenhäuser weitestgehend digitalisiert sind, was oft noch nicht der Fall sei. © dpa/kna/aerzteblatt.de