Metastasiertes Prostatakarzinom: Mehr Chemotherapie durch neue Onkologievereinbarung?

s gibt Situationen beim metastasierten Prostatakarzinom, in denen laut Leitlinien und aktueller Studienlage sowohl eine Therapie mit Hormonmanipulation als auch mit Chemotherapie möglich ist. Foto: ©Tyler Olson – stock.adobe.com

Laut einer aktuellen Stellungnahme von urologischer Seite könnte der Ausschluss der antihormonellen Therapien aus der Definition “medikamentöse Tumortherapie” in der neuen Onkologievereinbarung die Therapienentscheidung der Urologen beeinflussen.

“Die in der Onkologievereinbarung fehlende Berücksichtigung der medikamentösen Therapien für Patienten mit metastasierten Prostatakarzinomerkrankungen für die Erreichung der geforderten Mindestmenge an Therapiezyklen birgt das Risiko, dass die Therapieentscheidung hierdurch wesentlich beeinflusst wird”, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme des Arbeitskreises Onkologie (AKO) der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) und der Arbeitsgemeinschaft Urologische Onkologie (AUO) in der Deutschen Krebsgesellschaft vom 07.04.2020. Denn in der seit Anfang des Jahres geltenden neuen Version werden “im Sinne einer negativen Bewertung der Vergleichbarkeit mit einer intravasalen Chemotherapie (Docetaxel) alle für die Behandlung des metastasierten oder lokal fortgeschrittenen Prostatakarzinoms verfügbaren antihormonellen Optionen (…) als für die Erreichung der geforderten Mindestmenge an Therapiezyklen nicht mehr relevant deklariert”. Heißt konkret: Es ist zu befürchten, dass tendenziell mehr Chemotherapien als orale Therapien beim metastasierten Prostatakarzinom verordnet werden. Denn nur erstere zählen nach wörtlicher Auslegung als Fälle, welche die Urologen überhaupt an der Teilnahme an der Onkologievereinbarung berechtigen.

Was ist „medikamentöse Tumortherapie”?

Hintergrund der Verwirrung ist eigentlich eine Klarstellung. In der Neufassung der Onkologievereinbarung, die seit 2009 die qualifizierte ambulante Behandlung krebskranker Patienten in der vertragsärztlichen Versorgung regelt, wurde der Begriff „medikamentöse Tumortherapie“ eingeführt und in §4 definiert. In der Fassung von 2019 war in der Beschreibung der Kostenpauschalen noch von „zytostatischer Tumortherapie“ die Rede, während der Terminus “antineoplastische Therapie” in den “Voraussetzungen zur Teilnahme” verwendet wurde. Letztere erfordern in der neuen Version die „medikamentöse Tumortherapie“ . Das Problem besteht nun darin, dass in der neuen Definition der „medikamentösen Tumortherapie“ die (anti)hormonellen Therapien eindeutig daraus ausgeschlossen werden. Dies hatte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) allerdings bereits am 19.12.2019 angekündigt.

Noch in der Fassung von 2019 waren KBV und GKV-Spitzenverband als Vertragspartner offenbar anderer Meinung: Hier wird die hormonelle Therapie in der Anlage 1, welche die Dokumentation regelt, unter Punkt 2.2 noch als Teil der “medikamentösen Tumortherapie” – der Begriff wurde also hier schon verwendet – aufgeführt: “Art der medikamentösen Tumortherapie (Hormone, Zytostatika etc.) unter Angabe des Medikamentennamens, ggf. Gesamtdosis”.

KBV sorgt nicht für Klarheit

Zwei Tage nach der DGU-Stellungnahme hat die KBV nochmals klargestellt, dass nur die drei Kostenpauschalen 86514 (Zuschlag für die intrakavitär applizierte medikamentöse Tumortherapie), 86516 (Zuschlag für die intravasal applizierte medikamentöse Tumortherapie) und 86520 (Zuschlag für die orale medikamentöse Tumortherapie) für die Neudefinition der “medikamentösen Tumortherapie” gelten, nicht aber die Kostenpauschalen 86510 und 86512. Das bedeutet, die Hormontherapien sind weiterhin ausgeschlossen. Zwar heißt es in der Klarstellung auch, die Definition beziehe sich “nicht auf die durchschnittliche Mindestpatientenzahl”. Da eine Änderung der “Voraussetzungen zur Teilnahme” aber nicht erwähnt wird, dürfte das Problem keineswegs gelöst sein, bis die Vertragspartner eine abermals neue Version der Onkologievereinbarung vorlegen. Darin müsste dann entweder die (Anti-)Hormontherapie eindeutig zur “medikamentösen Tumortherapie” gezählt werden, oder letztere dürfte in ihrer neuen Definition nicht mehr Teil der “Voraussetzungen zur Teilnahme” sein, was schwer vorstellbar ist. Die Urologen müssen also nach wörtlicher Auslegung pro Quartal und Arzt “60 Patienten, die mit medikamentöser Tumortherapie behandelt werden, davon 20 mit intravasaler und/oder intrakavitärer und/oder intraläsionaler Behandlung” nachweisen, ohne dass die hormonell behandelten Patienten dazu zählen.

“Unverantwortlicher Eingriff in die Therapieentscheidung”

“Es ist nicht nachvollziehbar, dass eine komplexe medikamentöse Therapie mit zum Beispiel Abirateron in Kombination mit Prednisolon oder Enzalutamid oder Apalutamid für diese metastasierten Tumorstadien bei Prostatakrebserkrankungen nicht als medikamentöse onkologische Therapie für die Berechnung der Fallzahlen gewertet wird”, kritisieren die Urologen dementsprechend in ihrer Stellungnahme. “Eine Abwertung eines wesentlichen Teiles dieser komplexen medikamentösen Therapie des metastasierten Prostatakarzinoms als nicht Fallzahl-relevant stellt einen unverantwortlichen Eingriff in die daraus resultierende Therapieentscheidung dar.” Der einzelne Urologe wird also, so lässt sich aus der Stellungnahme herauslesen, im Falle des Falles zwischen einer nicht Fallzahl-relevanten oralen Therapie oder einer Chemotherapie, die ihm möglicherweise die geforderten Mindestzahlen sichern würde, entscheiden. “Eine mögliche Beeinflussung der Therapieentscheidung durch einen unterschiedlichen Bewertungsmaßstab als onkologische Therapie ist abzulehnen”, formulieren die Urologen denn auch und fordern, “die beschriebenen antihormonellen Therapien (…) als Therapiezyklen für die Erfüllung der geforderten Mindestmenge zu erachten”.

(ms)