Leben mit Polyneuropathie

Im Gastbeitrag für selpers erzählt die Betroffene Ute Kühn von ihren Erfahrungen mit der Erkrankung Polyneuropathie und gibt hilfreiche Tipps für andere Betroffene.

Zeit um dankbar zu sein

Oftmals ist es ein langer Weg bis zur Diagnose „Polyneuropathie“. Zunächst sind es eigenartige Missempfindungen in den Füßen, ein Gefühl, als hätte ich viel zu enge Socken an. Dabei stecken meine Füße nicht in Socken! Es ist Sommer und warm, ich brauche keine Socken.

Beim nächsten Arztbesuch beim Neurologen wurde die Nervenleitgeschwindigkeit gemessen, mit nur mäßigem Ergebnis. Nun ja, die Nervenleitgeschwindigkeit war etwas verlangsamt, aber nicht besorgniserregend.

Wenn ich damals bereits von dem Krankheitsbild Polyneuropathie gewusst hätte, wären mir sicher viele Einschränkungen meiner Lebensqualität, wie die immer stärker werdende Missempfindungen, Schmerzen und Gangunsicherheiten, erspart geblieben. Ich hätte gleich etwas dagegen unternommen. Aber der Arzt sagte nur: „Alles in Ordnung.“ Also musste ich mit diesen eigenartigen Beschwerden leben, was ich auch Jahre lang tat. Irgendwann gewöhnt man sich an alles.

Viel später, als ich mich mehr mit dem Thema Polyneuropathie beschäftigt habe, erfuhr ich, dass die häufigsten Ursachen für dieses Krankheitsbild Diabetes mellitus, Alkoholabusus und Drogenkonsum ist. All dieses kam und kommt bei mir nicht in Frage.

Im Laufe der Zeit wurden mir wegen immer wiederkehrenden Infektionen Breitbandantibiotika mit dem Wirkstoff Fluorchinolon verordnet. Erst viel später nahm ich wahr, dass meine Beschwerden in den Beinen nach jeder Einnahme dieses Wirkstoffes schlimmer wurden. Zufällig sah ich eine Sendung im Fernsehen, in der über das Thema Fluorchinolone und Polyneuropathie berichtet wurde, just zu einem Zeitpunkt, als ich wieder einmal ein solches Präparat verordnet bekommen hatte. Für mich schloss sich hier der Kreis meiner Überlegungen, woher meine Probleme wohl kommen könnten, was aber leider nicht zu beweisen ist.

Durch einen Umzug in eine andere Stadt wurde auch ein Arztwechsel erforderlich. Wieder suchte ich eine Neurologin auf, da es bei mir auch eine weitere neurologische Erkrankung gibt. Ihr berichtete ich eines Tages von meinen immer schlimmer werdenden Problemen mit einer Gangunsicherheit. Ich sagte zu ihr, dass die Leute in meiner Nachbarschaft sicher denken würden: „Oh Gott, am frühen Morgen schon so betrunken.“ Die Ärztin lachte nur und sagte: „Dann lassen Sie sie doch.“ Das war für mich Anlass noch einmal den Arzt zu wechseln, und dieser stellte gleich beim ersten Besuch die Diagnose „Polyneuropathie“, machte einige Untersuchungen um die Ursache herauszufinden. Allerdings blieben diese Versuche der Ursachenerforschung ohne Erfolg. Also heißt die Diagnose ab diesem Zeitpunkt „idiopathische Polyneuropathie“.

Bei einer kürzlich durchgeführten Reha-Maßnahme in Bad Feilnbach wurden mir Therapiemöglichkeiten vermittelt, die das Leben mit der Erkrankung leichter machen können, wie Kneipp’sche Wechselbäder der Beine und vielfältige Bewegungstherapien. Bei sehr starken Schmerzen wurden Capsaicin-Pflaster empfohlen. Diese kann man sich in einer Schmerzambulanz applizieren lassen.

Bewegung in Form von Spaziergängen sind für mich sehr hilfreich. Mein tägliches halbstündiges Gassi-Gehen mit meinem kleinen Vierbeiner ist für mich sehr wohltuend.

Die Einnahme von hoch dosiertem Vitamin B12 hat meine Gangunsicherheit völlig beseitigt. Man sollte jedoch den B12-Spiegel im Blut messen lassen, um zu sehen, ob hier eine Ursache für den Schwindel liegen kann. Auch bei Werten, die im unteren Normbereich liegen, ist die Einnahme eines B12-Präparates indiziert. Der B12-Wert sollte jedoch immer wieder kontrolliert werden, um eine Überdosierung zu vermeiden.

Den Vorsitzenden der Deutschen Polyneuropathie Selbsthilfe e.V., Albert Handelmann, kenne ich schon viele Jahre aus der Selbsthilfearbeit auf Bundesebene. Ihn rief ich an und erzählte ihm, dass auch ich von einer Polyneuropathie betroffen sei. Es kam wie es kommen musste, bei einem weiteren Telefonat fragte er mich, ob ich ihn in seiner Arbeit für die Betroffenen unterstützen möchte. Ohne lange zu überlegen habe ich zugesagt, mache diese Aufgabe sehr gerne und habe auch gleich eine regionale Selbsthilfegruppe in Ingolstadt gegründet. Die Resonanz auf einen Artikel in unserer regionalen Zeitung über die Gründung unserer Gruppe war überwältigend. Es hat gezeigt, wie wichtig der Betroffenenaustausch ist, aber auch die zuverlässige Information durch die Selbsthilfeorganisation über Neuerungen der Patientenversorgung und neue Erkenntnisse über Therapiemöglichkeiten, sofern es hier Neues zu berichten gibt.

Ute Kühn

Seit Sommer 2019 engagiert sich Frau Kühn in der Polyneuropathie-Selbsthilfe, als Gründerin und Ansprechpartnerin der regionalen Selbsthilfegruppe Ingolstadt und unterstützt andere Betroffene. Seit Anfang 2020 ist sie auf Bundesebene als stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Polyneuropathie-Selbsthilfe e.V. tätig.

Hier finden Sie die Website der Deutschen Polyneuropathie-Selbsthilfe e.V.