Kuriose Studien für Zwischendurch

Mumienforschung in der Medizin: Mehr als l’art pour l’art?

Dr. med. Thomas Kron Smalltalk 27.01.2020

Kernbotschaften

Mumienforscher haben sich in den letzten Tagen mal wieder zu Wort gemeldet. Die eine Gruppe von Forschern hat einer ägyptischen Mumie wieder eine Stimme verliehen, die andere Gruppe hat bei Inuit, die im 16. Jahrhundert lebten, ein paar Verkalkungen  vermutlich vaskulär lokalisiert – festgestellt, was den Verdacht nährt, dass bereits diese Menschen Atherosklerose hatten.  

Die ägyptische Mumie

Bei der ägyptischen Mumie handelte es sich um den rund 3000 Jahre alten mumifizierten Priester Nesyamun. Ihm verliehen die Forscher um den Archäologen Dr. Stephan Buckley (Universitäten New York und Tübingen), indem sie seinen Sprechapparat mit mit einem 3D-Drucker rekonstruierten; ein elektronischer Kehlkopf erzeugte dann ein paar Töne, von denen allerdings nur angenommen werden kann, dass sie ungefähr so klingen wie die Stimme des ägyptischen Priesters ( „Scientific Reports“ ).

Die Grönland-Mumien

Die andere Gruppe von Wissenschaftlern (Horus Study Group) um den US-Kardiologen Dr. L. Samuel Wann (Ascension Healthcare, Milwaukee) hat – wie zuvor schon bei ägyptischen Mumien – nun auch bei Inuit (Grönland) aus dem 1600 Jahrhundert (nach Christus) Kalzifizierungen in arteriellen Gefäßen wie der Aorta und den Karotiden nachgewiesen, obgleich die Nahrung diese Menschen als Jäger ein körperlich anstrengende Lebensweise hatte und ihre Nahrung reich an Omega-3-Fettsäuren war. Zu den Inuit-Mumien gehörten ein Kind und je zwei junge Männer (18 bis 30 Jahre) und Frauen (16 bis 30 Jahre), deren Todesursachen nicht bekannt sind.

Nach Angaben der Forscher stützt die Studie ihre seit Jahren bestehende Vermutung, dass die Atherosklerose keine Erkrankung ist, von der nur Menschen der Gegenwart mit einer sogenannten ungesunden Lebensweise betroffen sind. Denn solche Befunde wie bei den untersuchten Inuit haben die Wissenschaftler auch schon bei Mumien aus Ägypten und Peru erhoben ( „The Lancet“ ). 

L’art pour l’art?

Über den Nutzen dieser Forschung kann man sicher unterschiedliche Meinungen haben. Ob etwa die Rekonstruktion des Kehlkopfes und des Sprechapparates einer ägyptischen Mumie hilfreiche Erkenntnisse für die Behandlung von Menschen ohne Kehlkopf liefert, mag bezweifelt werden. Und dass die Atherosklerose nicht allein von der Lebensweise abhängt, ist schon länger bekannt. Für diese Erkenntnis sind keine Untersuchungen an Mumien mehr erforderlich. 

Vielleicht haben Wissenschaftler ja einige Gemeinsamkeiten mit Extrembergsteigern. Der neuseeländische Bergsteiger Sir Edmund Hillary, der 1953 auf dem Gipfel des Mount Everest stand, wurde einmal gefragt, warum er auf hohe Berge steigt. Seine lapidare Antwort: „Weil sie da sind.“