Europäisches Parlament fordert wirksamere EU-Krebsbekämpfungsstrategie

Das Parlamentsgebäude in Strasbourg (Frankreich). Foto: olrat – stock.adobe.com

Das Europäische Parlament in Strasbourg (Frankreich) hat am 16.02.2022 die endgültige Fassung des europäischen Plans zur Krebsbekämpfung beschlossen. Schwerpunkte sind die Krebsprävention und -früherkennung sowie Erleichterungen für die Forschung.

Die Zustimmung des Parlaments war enorm: Der Bericht des Sonderausschusses des Parlaments zum Thema Krebsbekämpfung wurde mit 652 zu 15 Stimmen bei 27 Enthaltungen angenommen. Die Berichterstatterin des Sonderausschusses zu Krebsbekämpfung, Véronique Trillet-Lenoir (Renew Europe, Frankreich), sagte: „Zwölf Jahre nach der letzten europäischen Strategie zur Krebsbekämpfung ist die heute vorgestellte Strategie von historischer Bedeutung, sowohl in Bezug auf ihren Ehrgeiz und ihre Ziele als auch in Bezug auf die Mittel, die wir bereitstellen werden. Wir werden endlich in der Lage sein, gemeinsam die gesundheitlichen Ungleichheiten in der Europäischen Union wirksam zu bekämpfen und auf die Bedürfnisse von Millionen von Europäern einzugehen, die von dieser Krankheit betroffen sind.“

Krebsfrüherkennungsprogramm soll erweitert werden

Bedeutend für die frühzeitige Bekämpfung von Krebserkrankungen ist die Entscheidung des Parlaments, über Brust-, Gebärmutterhals- und Darmkrebs hinaus weitere Krebsarten in das neue EU-geförderte Krebsfrüherkennungsprogramm aufzunehmen. Dies betrifft Lungen-, Prostata-, Magen- und Eierstockkrebs. Das Europäische Parlament fordert die Kommission auf, “Leitlinien der EU zur Förderung von Forschungsanstrengungen auszuarbeiten, um die Aufnahme neuer, wissenschaftlich fundierter Krebsfrüherkennungsprogramme (…) und die Rolle der künstlichen Intelligenz (…) zu bewerten”, wie es in dem Abschlusspapier heißt. Das Parlament “legt dem Rat nahe, (…) die Aufnahme der Lungen- und Prostatakrebsvorsorge in die aktualisierte Empfehlung des Rates im Jahr 2022 zu erwägen”.

Ein wichtiger Punkt in dem jetzt beschlossenen Bericht besteht darin, dass sowohl Wissenschaftlern als auch Patienten das Forschen und die medizinische Behandlung EU-weit erleichtert werden soll. Das Parlament fordert ein einheitliches Regelwerk für die Genehmigung und Erstattung der Gesundheitsversorgung über Grenzen hinweg. Auch die multinationale Zusammenarbeit und die Durchführung länderübergreifender klinischer Studien müssten wirksamer werden. In einem Presse-Briefing wies Dr. Peter Liese, Arzt und Abgeordneter für die EVP (Christdemokraten) darauf hin, dass es derzeit noch unterschiedliche, teilweise sogar widersprüchliche Regelungen für die klinische Forschung gibt, insbesondere beim Datenschutz. „Wir brauchen eine einheitliche Umsetzung der Datenschutzgrundverordnung und eine Struktur in der Europäischen Kommission, an die sich Forscherinnen und Forscher wenden können, wenn sie auf Hindernisse stoßen, um diese dann gemeinsam zu beseitigen”, sagte Liese. Künftig solle es genügen, den Antrag für ein Forschungsprojekt in nur einem EU-Land zu stellen. Das käme insbesondere nichtkommerziellen Studieninitiatoren wie der Deutschen Krebshilfe zugute.

Auslandsbehandlungen, Arzneimittelmangel und das “Recht auf Vergessen”

Auch den Patienten sollen im Ausland weniger bürokratische Hürden auferlegt werden. Die EU-Parlamentarier fordern in dem verabschiedeten Bericht, dass der geltende Rechtsrahmen reformiert wird, um Mobilität und den Zugang zu hochspezialisierter Ausrüstung und Versorgung zu ermöglichen. „Es kann lebenswichtig sein, einen Experten im Ausland zu konsultieren, wenn etwa bei einer seltenen Krebsart im eigenen Land kein Spezialist vorhanden ist. Auch aus sehr persönlichen Gründen kann eine Behandlung im Ausland sehr sinnvoll sein, etwa wenn ein Patient alleine lebt und die wichtigsten Angehörigen im Ausland leben”, kommentiert Liese.

Um Engpässen entgegenzuwirken und Krebstherapien EU-weit zugänglicher und erschwinglicher zu machen, soll nach Ansicht der Abgeordneten umfangreicher auf gemeinsame Beschaffungsverfahren zurückgegriffen werden. Das gelte insbesondere für seltene, pädiatrische und neuartige Krebsmedikamente und -therapien. Außerdem will man die Lieferkette für Krebsmedikamente diversifizieren, Engpässe genauer überwachen und einen strategischen Vorrat an kritischen Krebsmedikamenten anlegen.

Eine weitere wichtige Empfehlung des Berichts besteht darin, dass allen Patienten in der EU, deren Krebstherapie vor zehn Jahren abgeschlossen wurde (bis zu fünf Jahre bei Patienten, bei denen die Diagnose vor dem 18. Lebensjahr gestellt wurde), das „Recht auf Vergessenwerden“ garantiert wird. Damit soll verhindert werden, dass Versicherer und Banken die Genesenen aufgrund ihrer Krankengeschichte ablehnen oder ihnen schlechtere Konditionen geben.

Prävention: Wie riskant sind Alkohol und E-Zigaretten?

Bezüglich der Prävention fordern die Abgeordneten wirksame Krebsvorsorgemaßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten und der EU, die auf unabhängigen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. Empfohlen wird unter anderem die Finanzierung von Programmen, die dazu anregen, mit dem Rauchen aufzuhören, und die Förderung von Maßnahmen zur Verringerung und Verhinderung alkoholbedingter Schäden im Rahmen der überarbeiteten EU-Alkoholstrategie. Das Parlament fordert außerdem eine obligatorische und einheitliche EU-Nährwertkennzeichnung auf der Vorderseite von Lebensmittelverpackungen. Des Weiteren sollen Grenzwerte für die Belastung am Arbeitsplatz für mindestens 25 weitere Stoffe festgelegt werden.

Das Thema Alkohol hatte in der letzten Debatte am 14. Februar, in der Änderungsanträge verhandelt wurden, zu erregten Diskussionen geführt. Gegen den strengen Kurs des Sonderausschusses regte sich Widerstand bei Parlamentariern, welche insbesondere die Weinindustrie und -kultur gefährdet sahen. Unter Bezugnahme auf die Weltgesundheitsorganisation (WHO) konstatiert das Europäische Parlament, dass Alkohol Krebs verursache und dass das Risiko bei Vollabstinenzlern am geringsten sei. EVP-Mann Liese betonte, die Vorstellung, moderater Alkoholkonsum fördere die Gesundheit, sei überholt. Das Parlament einigte sich darauf, dass auf alkoholischen Getränken Informationen über moderaten und verantwortungsbewussten Alkoholkonsum angebracht werden sollen. Ursprünglich waren “prominente Warnlabel” und ein totales Sponsoring-Verbot für die Hersteller alkoholischer Getränke bei Veranstaltungen vorgesehen. Letzteres soll nur noch für Veranstaltungen gelten, an denen hauptsächlich Kinder und Jugendliche teilnehmen. “Die Europäische Union sollte nicht regulieren, ob ein kleiner Sportverein durch die Dorfbrauerei unterstützt wird”, kommentiert Liese. Kritisch sieht diese Abmilderungen Sarah Wiener, parteilose Abgeordente für die österreichischen Grünen: „Der Bericht des Parlaments hat die Risiken von Alkoholkonsum klar ausgesprochen und das gefällt der Weinindustrie natürlich gar nicht. Also wollte man den Text mit gezielter Lobbyarbeit schwächen und hat dafür auch flugs Unterstützung im Lager der Konservativen gefunden.“

Zu Kontroversen könnte es noch führen, dass das Europäische Parlament in E-Zigaretten eine Option für schwere Raucher sieht, vom Tabak wegzukommen. Die Hersteller sollen ihre Produkte aber nicht für Kinder attraktiv machen, indem Kaugummi-Aroma deshalb verboten werden soll. Die Frage nach der noch unsicheren Datenlage zu E-Zigaretten kommentierte Parlamentarier Liese mit den Worten: „Wenn man große Not hat, dann muss man sich mit einer ersten Analyse aufgrund der vorhandenen Daten begnügen.” Es gebe kein Szenario, in dem E-Zigaretten gefährlicher wären als Tabak. Der Arzt sieht eine Parallele zur COVID-19-Pandemie, in der man auch die Impfstoffe bereits unter bedingter Zulassung anwende, weil sie unmittelbar gebraucht würden, und nicht erst auf eine Vollzulassung warte.

(ms)

 Quelle: Europäisches ParlamentAbschlussbericht “Stärkung Europas im Kampf gegen Krebserkrankungen”Dr. Peter Liese (EVP), Presse-Briefing und Pressemitteilung vom 16.02.2022

Sarah Wiener, Pressemitteilung vom 16.02.2022