Epigenetischer Proteinkomplex spielt wichtige Rolle bei aggressivem Prostatakrebs

Menschliche Prostatakrebszellen. Ein braunes Markerprotein weist nach, dass es sich hierbei um die aggressivste Form von Prostatakrebs handelt. Blau sind die Zellkerne zu sehen. Foto: © Anke Augspach / Rubin Lab / DBMR

Im Rahmen einer internationalen Zusammenarbeit haben Forschende der Universität Bern bisher nicht bekannte Schwachstellen von therapieresistentem Prostatakrebs identifizieren können. Diese Erkenntnisse könnten die Entwicklung neuer Therapieansätze für Männer vorantreiben, die an der aggressivsten Form von Prostatakrebs leiden.

Prostatakrebs ist mit 78.800 Todesfällen und einer Sterblichkeitsrate von zehn pro 100.000 Einwohner die dritthäufigste krebsbedingte Todesursache von Männern in der Europäischen Union im Jahr 2020. Während ein lokalisiertes Prostatakarzinom mittels Chirurgie und Strahlentherapie erfolgreich entfernt werden kann, muss bei einem fortgeschrittenen, metastasierten Karzinom auf die sogenannte Anti-Androgen- oder Hormontherapie zurückgegriffen werden. Bei einer solchen, länger andauernden Therapie entwickeln die Tumorzellen jedoch Resistenzen und sprechen nicht mehr auf die Therapie an. Es bildet sich ein sogenanntes kastrationsresistentes Prostatakarzinom.

Bisher haben sich die meisten Studien zu behandlungsresistenten Tumoren darauf konzentriert, inwiefern Veränderungen der DNA in Krebszellen für die Therapieresistenz verantwortlich sind. Therapieresistenz kann jedoch auch durch radikale Zelltyp-Veränderungen verursacht werden. Dies führt zu Tumoren, die nur noch wenig Ähnlichkeit mit den Tumoren aus dem Frühstadium der Behandlung aufweisen. Dieses Phänomen, welches als «lineage plasticity» bekannt ist, stellt einen noch wenig erforschten Mechanismus des Tumorwachstums dar. «Lineage plasticity» ermöglicht es den Krebszellen, ihr Aussehen und ihre Wachstumsmaschinerie zu verändern, um so der Therapie zu entgehen. Diese Transformation kann bei mehreren Krebsarten beobachtet werden, einschließlich Prostata- und Lungenkrebs. Im Fall von Prostatakrebs entwickeln etwa zehn bis 15 Prozent der mit Hormontherapie behandelten Männer eine durch «lineage plasticity» ausgelöste hochaggressive Prostatakrebs-Variante, für die bis heute keine anerkannte Therapieform existiert.

Tumor wechselt die Identität

In der Regel werden Identitätsveränderungen bei Tumoren durch spezifische genetische Mutationen ausgelöst. Dies allein reicht aber für einen Identitätswechsel nicht aus, wie eine internationale Forschungsgruppe um Prof. Mark Rubin vom Department for BioMedical Research (DBMR) und Center for Precision Medicine (BCPM) der Universität Bern und Inselspital, Universitätsspital Bern, entdeckt hat. Die Forschenden konnten zeigen, dass die Erklärung für das Auftreten der «lineage plasticity» in epigenetischen Veränderungen zu liegen scheint: Epigenetische Veränderungen regulieren die Genaktivität und -expression, ohne dabei die DNA-Sequenz zu verändern. In der Epigenetik bestimmen große Multiproteinkomplexe je nach Zusammensetzung die Art und Weise, wie eine Zelle die in ihrer DNA enthaltenen Informationen verwendet. Dies bestimmt wiederum die Zellidentität. «Krebszellen können diese Maschinerie zweckentfremden, um so ihr Wachstum gegenüber dem der umgebenden normalen Zellen zu fördern», erklärt Rubin.

Mit Dr. Anke Augspach (Postdoktorandin, Universität Bern) und Dr. Joanna Cyrta (ehemals Weill Cornell Medicine, derzeit am Institut Curie, Frankreich), haben zwei Wissenschaftlerinnen der Gruppe von Rubin erkannt, dass das Wachstum von Prostatakrebszellen von einem wichtigen epigenetischen Regulator abhängt, der SWI/SNF-Komplex genannt wird. Der SWI/SNF-Komplex verändert die Struktur der DNA und bestimmt so, welcher Teil der Informationen für die Zelle zugänglich ist und welcher Teil «still» bleibt. Eine solche Regulation kann verschiedenste Auswirkungen auf Zellen haben, und beeinflusst unter anderem das Wachstum oder die Bewegung von Zellen. «Da der SWI/SNF-Komplex aus bis zu 15 verschiedenen Proteinen besteht, war dies eine technisch sehr anspruchsvolle Studie», sagt Rubin.

Schwachstelle von Tumoren entdeckt

Das Team von Rubin konnte zeigen, dass bestimmte Einheiten des SWI/SNF-Komplexes in den aggressiven Prostatakrebstypen, die einen Identitätswechsel erfahren haben, überexprimiert werden. Das Team konzentrierte sich auf Schlüsseleinheiten des Komplexes und konnte beobachten, dass das Wachstum verschiedener Prostatakrebs-Zell-Linien von diesen Schlüsseleinheiten des SWI/SNF-Komplex abhängig ist. «Diese Abhängigkeit kann als Schwachstelle von therapieresistentem Prostatakrebs betrachtet und für die Entwicklung neuer Behandlungsansätze untersucht werden», sagt Augspach.

Das Team plant, die Forschung um SWI/SNF und Therapieresistenz auch in Zukunft weiter auszubauen. Die Entwicklung neuartiger Medikamente zur Unterstützung von Patienten, bei denen die Standardversorgung versagt, ist Anliegen und Schwerpunkt des Bern Center for Precision Medicine (BCPM), einer gemeinsamen Initiative der Universität Bern und der Insel Gruppe.

Die Studie wurde von den National Institutes of Health / National Institute of Cancer (USA) und Memorial Sloan Kettering Cancer Center (USA) finanziert, ebenso vom Europäischen Forschungsrat (ERC) und vom Schweizerischen Nationalfonds SNF. Die Universität Bern und die Cornell University haben eine Patentanmeldung zur SWI/SNF-Regulierung im Bereich des fortgeschrittenen Prostatakrebses als Biomarker und zur Therapie eingereicht. Cyrta, Augspach und Rubin sind als MiterfinderInnen aufgeführt.

(Universität Bern / ms)

Publikation:

Cyrta J, Augspach A, de Filippo MR et al. Role of Specialized Composition of SWI/SNF Complexes in Prostate Cancer Lineage Plasticity. Nat Commun, 3 November 2020, https://doi.org/10.1038/s41467-020-19328-1